Gemeinsam wachsen, gemeinsam handeln? Stadtregionale Kooperationsmöglichkeiten in Hinblick auf grenzüberschreitende Betroffenheitsräume und Akteurskonstellationen

ZIEL DES PROJEKTS

Das Forschungsprojekt „Gemeinsam wachsen, gemeinsam handeln?“ steht in einer Reihe von der Wiener Wohnbauforschung initiierten Untersuchungen, die sich mit einer höchst relevanten Fragestellung auseinandersetzen: Wie können die mit der in Wien und seinem Umland anhaltenden Wachstumsdynamik einhergehenden planerischen Herausforderungen möglichst nachhaltig gemanagt werden?

Das Projekt steckte sich das Ziel, einige Aspekte und Fragestellungen zu vertiefen, die im bislang geführten planungspolitischen Diskurs eher eine Nebenrolle spielten: Welche Gemeinden sind mit Wien eigentlich am stärksten vernetzt und wandeln sich diese funktionalen Beziehungen im Laufe der Jahre? Welche Kooperationsnetzwerke lassen sich innerhalb des stärksten Verflechtungsbereichs identifizieren? Gibt es neben Städten und Gemeinden andere institutionelle und marktwirtschaftliche KooperationspartnerInnen, die in der Stadtregion Wien erfolgreich grenzüberschreitend kooperieren und von denen man lernen kann, wie man Zusammenarbeit und Austausch über Gemeinde- und Ländergrenzen hinweg verbessern kann?

Am Ende des Projekts stehen Handlungsempfehlungen, die sich aus den Forschungsergebnissen ableiten lassen und die Kernbotschaft ist die: Siedlungsentwicklung und Wohnbau können in Wien und seinem Verflechtungsraum dann am besten aufeinander abgestimmt werden, wenn man eine stadtregionale Strategie der „kleinen Schritte“, die auf den bisherigen Kooperationsstrukturen aufbaut und sich konkreten Planungs- und Umsetzungsaufgaben in klar abgegrenzten Teilräumen widmet, mit einer integrierten Entwicklungsstrategie für die gesamte Stadtregion kombiniert, die als übergeordnetes Planungsinstrument die grundsätzliche Entwicklungsrichtung vorgibt.

DAS FORSCHUNGSPROJEKT IM DETAIL

AUSGANGSLAGE
Die Stadtregion+, die sich aus Wien und 272 kleineren Städten und Gemeinden in Niederösterreich und dem Burgenland zusammensetzt, wächst seit über einem Jahrzehnt kontinuierlich und war Anfang 2018 Wohnort für etwas mehr als 2,9 Millionen Menschen. Zwischen 2013 und 2018 lag die EinwohnerInnenentwicklung bei +7,65% und auch wenn sich die Dynamik damit in der jüngsten Vergangenheit etwas abgeschwächt hat, stehen die Zeichen auch künftig auf Wachstum. Die Anteile am Bevölkerungszuwachs sind dabei aber sehr unterschiedlich verteilt: Während die Umlandgemeinden in den Jahren 2013 bis 2018 insgesamt um 23.626 EinwohnerInnen gewachsen sind, erreichte alleine der 22. Wiener Gemeindebezirk im selben Zeitraum eine ähnlich starke Bevölkerungszunahme (+ 21.742); die Bundeshauptstadt insgesamt verzeichnete ein Bevölkerungsplus von 147.530 Menschen. Wachstumsmanagement ist also in Wien und seinem engeren Verdichtungsraum nach wie vor das Gebot der Stunde.

Das von der Wiener Wohnbauforschung (MA50) im Jahr 2018 in Auftrag gegebene Forschungsprojekt „Gemeinsam wachsen, gemeinsam handeln?“ trägt dieser planungspolitischen Herausforderung Rechnung. Denn mittelfristig kommt Wien an seine Grenzen, nicht nur, was die Flächenpotenziale für neue Siedlungsentwicklung betrifft, sondern auch räumlich: große Entwicklungsgebiete wie die Seestadt Aspern oder das Gaswerk Leopoldau liegen z.T. unmittelbar an der Stadt- und somit der Landesgrenze zu Niederösterreich. Auf der anderen Seite entwickeln sich auch dort viele Städte und Gemeinden in den an die Bundeshauptstadt angrenzenden Bezirken stark. So stellt sich die Frage, ob und wie die künftige Siedlungsentwicklung in der Stadtregion+ noch besser aufeinander abgestimmt werden könnte, um sozial, ökonomisch und ökologisch möglichst nachhaltig und ressourceneffizient zu sein.

Aufbauend auf der hier kurz beschriebenen stadtregionalen Ausgangssituation und der damit verbundenen grundlegenden Fragestellung, versucht das Forschungsprojekt „Gemeinsam wachsen, gemeinsam handeln?“ auszuloten, welche Ansätze für grenzüberschreitende Kooperations- und Planungsstrategien dazu beitragen könnten, die sich in den letzten Jahren bereits immer deutlicher abzeichnende Kooperationsmotivation zwischen Wien und seinem Umland zu unterstützen bzw. auf ein neues konzeptionelles Level zu hieven. Die zentrale Handlungsempfehlung, die am Ende des Projekts steht, ist die Notwendigkeit eines Zugangs, der eine übergeordnete und integrierte Entwicklungsstrategie für die gesamte Stadtregion+ mit einer stadtregionalen Strategie „der kleinen Umsetzungsschritte“ kombiniert.

Dem Projekt liegen drei forschungsleitende Vorannahmen zugrunde:
  1. Die starke Entwicklungsdynamik in der Stadtregion+ wird sich nicht aufhalten lassen. Sie muss politisch und planerisch gemanagt werden.
  2. Zusätzlich zu den Stadtregionen, die man sich in Wien bislang als mögliche Beispiele und Vorbilder angeschaut hat, gibt es noch weitere Fallregionen, die einen genaueren Blick wert sind.
  3. In den letzten 20 Jahren hat man bereits enorm viel Wissen über die Stadtregion+ angehäuft und sehr viele Lösungsansätze angedacht. Deshalb muss man weder datentechnisch noch konzeptionell bei Null anfangen, sondern sollte auf dem vorhandenen Wissen aufbauen und es weiterentwickeln.

In diesem Sinne konzentriert sich die Untersuchung auf die Analyse von Sachverhalten, die in den bisherigen Forschungen über die Stadtregion+ bislang noch nicht im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses standen und versucht die Synthese mit den bereits existierenden Studien und Grundlagenforschungen über Wien und seinen Verdichtungsraum. Ziel ist es, eine Grundlage für (neue) planungspolitische Strategien zu liefern, die mit kooperativen und grenzüberschreitenden Zugängen einen Beitrag zur Bewältigung des künftigen Wachstums in der Stadtregion+ leisten können. Es wurden dazu unterschiedliche quantitative und qualitative Raumanalysen durchgeführt und eine Vielzahl unterschiedlicher ExpertInnen und Stakeholder befragt, die entweder als Fachleute oder als ReprästentanInnen von Wohnbaugenossenschaften oder Infrastrukturdienstleistern (z.B. Wien Energie, Wiener Linien oder Wiener Wasser) für die Frage nach stadtregionalen Kooperationsperspektiven relevant sind.

ANALYSE 1: DER VERFLECHTUNGSINDEX
Die Stadtregion+ umfasst neben der Großstadt Wien 272 weitere Städte und Gemeinden in zwei Bundesländern; wie sich innerhalb dieses sehr großen räumlichen Gebildes die Verflechtungsbeziehungen und -intensitäten der Umlandorte mit Wien unterscheiden, wurde im ersten Schritt analysiert. Dafür wurde der sog. Verflechtungsindex entwickelt, der verschiedene Indikatoren kombiniert, die funktionale Beziehungen zwischen Wien und einer Gemeinde abbilden (Wanderungsbeziehungen, Pendlerbeziehungen). Ziel dieser Analyse ist es, den engsten Verflechtungsbereich um die Bundeshauptstadt zu ermitteln; dieser stellt die räumliche Grundlage für die weitere Untersuchung dar. Mit Hilfe dieser Analyse konnte darüber hinaus nachgewiesen werden, was in der politischen und planerischen Praxis zwar „bekannt“, aber bislang so noch nicht für die Stadtregion+ analysiert wurde: Verflechtungsbeziehungen zwischen der Großstadt Wien und den Umlandgemeinden sind räumlich und im Zeitverlauf dynamisch und nicht immer gleich intensiv. Es liegen dabei nicht nur verschiedene Gemeinden „im Trend“, was Wanderungen und Pendelbeziehungen zwischen einzelnen Gemeinden und Wien anbelangt, sondern auch unterschiedliche Teilräume in der Stadtregion+. In Hinblick auf Überlegungen für neue, flexible und der realen Situation entsprechende, grenzüberschreitende Planungszugänge ist das eine wichtige Erkenntnis.

ANALYSE 2: NETZWERKANALYSE
Wie stark und in welchen Aufgabenbereichen arbeiten Städte und Gemeinden im Umland untereinander oder mit Wien zusammen? Diese Frage nach der Kooperationskultur wird mit Hilfe einer Netzwerkanalyse beantwortet. In einer Onlinebefragung wurden gut 50 Gemeinden im engsten Verflechtungsbereich und Wiener Bezirke, die „Außengrenzen“ haben, danach gefragt, ob und wie intensiv sie mit anderen Gemeinden kooperieren, um kommunale Aufgaben interkommunal zu bewältigen. In die Analyse konnten 29 Fälle einfließen (27 Umlandgemeinden, 2 Wiener Bezirke) und zwei wichtige Erkenntnisse abgeleitet werden: 1. Die Kooperationskultur ist im technisch-infrastrukturellen Bereich interkommunal stark ausgeprägt und etabliert (z.B. Zweckverbände), umfasst aber auch zunehmend die interkommunale Abstimmung bei Planungsthemen. 2. Zwischen Wien und dem Umland findet so gut wie keine interkommunale Kooperation statt und falls doch, beschränkt sie sich zumeist auf informelle Formen der Zusammenarbeit. Aus Sicht der befragten Gemeinden und der zusätzlich interviewten ExpertInnen, gäbe es aber eine Vielzahl an „handfesten“ Themenfeldern (v.a. Verkehr, Siedlungsentwicklung, technische Infrastruktur), in denen eine intensivere Kooperation zwischen Wien und den Umlandgemeinden dringend notwendig wäre. Die jetzige Situation führt aber zu einem „Verflechtungs-Kooperations-Paradoxon“: die funktionalen Verflechtungen in Bezug auf Wanderungs- und Pendelbeziehungen zeigen die dominierende Ausrichtung vom Umland aus Wien, während die identifizierten Kooperationsnetzwerke durch eine deutliche räumliche und funktionale Trennung zwischen Wien und seinem Umland charakterisiert werden.

ANALYSE 3: EXPERTINNEN-INTERVIEWS
Die Auswahl der Unternehmen, Institutionen und Gebietskörperschaften für die Interviews erfolgte zu zwei unterschiedlichen Zwecken. Die Vertreterinnen und Vertreter von Bezirken, Gemeinden, grenzüberschreitend agierenden Institutionen und Wohnbaugenossenschaften sollten zu Fragen der Siedlungsentwicklung in der Stadtregion, stadtregional bedeutsamen raumplanerischen Herausforderungen und über künftige Kooperationsstrukturen vertiefende und weiterführende Inhalte beisteuern; ebenso wurden die Ergebnisse der Netzwerkanalyse und der Onlinebefragung aus ihrer jeweiligen Fachperspektive interpretiert. Die qualitative Befragung wurde zweitens dazu genutzt, nach Kooperationen und Stadt-Umland-Beziehungen zu suchen, wo im Kontext der Stadtregion+ bislang noch nicht gesucht worden war: bei Magistraten und Unternehmungen der Stadt Wien (Wien Kanal und MA31 – Wiener Wasser) sowie in den Konzernbereichen der Stadtwerke Wien (Wien Energie, Wiener Linien). Die Erfahrung aus deutschen Stadtregionen zeigt, dass einige der heute intensiven und stark institutionalisierten stadtregionalen Kooperationen (z.B. in der Region Hannover) ihren Ausgangspunkt in grenzüberschreitenden Ein-Themen-Kooperationen (etwa Müllentsorgung) hatten. Was grenzüberschreitende Aktivitäten von Wiener Magistraten und Unternehmungen betrifft, so konnte durchaus eine Fülle an fachlichen Themen und/oder Herausforderungen gesammelt werden, bei der eine intensivere interkommunale Kooperation sinnvoll wäre. Demgegenüber stehen aber diverse politische und institutionell-legistische Restriktionen, die eine in Zukunft verstärkte Zusammenarbeit mit Gemeinden jenseits von Wien realistisch erscheinen lassen. Gerade auf informeller Ebene scheint es hier aber einen pragmatischen Austausch und eine bedarfsbezogene Zusammenarbeit zu geben, die auf gegenseitigem Vertrauen und persönlichen Netzwerken aufbaut – und sich damit einreiht in die Fülle an etablierten informellen Austauschbeziehungen, die sich in den letzten Jahrzehnte zwischen Wien und seinem Umland etabliert haben.

KONSEQUENZEN FÜR DIE PLANUNG: STADTREGIONALE FOKUSRÄUME
Wie die erste Analyse zeigte, wandeln sich die Verflechtungsbeziehungen zwischen Umlandgemeinden und Wien im Laufe der Jahre. Aus diesem Grund ist es notwendig, planungsstrategisch darauf zu reagieren und entsprechend flexible Planungsräume einzuführen; ausgehend vom Konzept flexibler Regionalisierungen schlagen wir dafür „stadtregionale Fokusräume“ vor: Diese sind sich – während einer bestimmten, zeitlich beschränkten, Entwicklungsphase – strukturell ähnlich, weisen funktionale Interdependenzen auf und stehen vor Planungsaufgaben, die sich mit kooperativen Zugängen einfacher bewältigen lassen. Diese Fokusräume müssen nicht zwangsweise eine unmittelbare räumliche Nachbarschaft mit Wien aufweisen; aus diesem Grund sind die in Niederösterreich seit einigen Jahren in der Stadtregion+ erfolgreich eingesetzten „Regionalen Leitplanungen“ ein gutes Beispiel für einen interkommunalen Planungsansatz, an dem sich weitere Überlegungen für Planungszugänge über Fokusräume orientieren können. Im Forschungsprojekt wurde ein Vorschlag für die Identifizierung solcher stadtregionaler Fokusräume ausgearbeitet (Kombination aus dem Verflechtungsindex und Siedlungspotenzialen je Gemeinde).

EMPFEHLUNGEN FÜR GRENZÜBERSCHREITENDE STADTREGIONALE ENTWICKLUNGSSTRATEGIEN
In der Stadtregion+ hat sich in den vergangenen Jahrzehnten eine Kooperations- und Austauschkultur zwischen Wien und seinem Umland etabliert, die sehr stark auf informellen Aktivitäten und persönlichen Beziehungen basiert. Bei „handfesten“ Themen steht nicht nur die rechtliche Dimension im Weg, die eine Kooperation zwischen zwei Bundesländern erschwert, es ist vor allem auch eine Frage der „Augenhöhe“ zwischen der Millionenmetropole Wien und den im Vergleich kleinen Umlandstädten und -gemeinden. Nichtsdestotrotz machen Entwicklung und Wachstum nicht vor administrativen Grenzen halt und erfordern eine abgestimmte Planung. Am Ende des Forschungsprojekts stehen Empfehlungen in Form von zwei konzeptionellen Säulen einer Stadtregionalen Strategie: Einerseits eine Strategie der kleinen Schritte, um schrittweise Augenhöhe zwischen den Gemeinden untereinander, vor allem aber mit Wien herzustellen; andererseits die gleichzeitige gemeinschaftliche Erarbeitung eines Integrierten Entwicklungsleitbilds für die gesamte Stadtregion+, das inhaltlich, konzeptionell und strategisch auf übergeordneter Ebene die Richtung der Entwicklung vorgibt:

1. Säule: Stadtregionale Strategie der kleinen Schritte
  • Schrittweise Herstellung von Augenhöhe (Regionale Leitplanungen in Umlandgemeinden bzw. planerischen Fokusräumen)
  • Einheit von Orientierung und Umsetzung (kontinuierliche Umsetzung von konkreten, grenzüberschreitenden Projekten)
  • Planungsinstrumente weiterentwickeln (Abstimmung bei der Siedlungsentwicklung innerhalb klar abgegrenzter stadtregionaler Fokusräume mit gleichen Planungsherausforderungen)

2. Säule: Integrierte Entwicklungsstrategie für die Stadtregion+
  • Integrierter Ansatz für den Gesamtraum (Gemeinsam entwickelte, integrierte stadtregionale Entwicklungskonzepte in Form eines nicht verbindlichen, aber gemeinsam verabschiedeten Leitbilds)
  • Flexible Regionalisierungen (kontinuierliche Identifizierung grenzüberschreitender Fokusräume als Grundlage einer situations- und bedarfsangepassten stadtregionalen Planung)
  • Planungsinstrumente weiterentwickeln (mittel- bis langfristig: schrittweise Institutionalisierung und „Verbindlichmachung“ der stadtregionalen Raumordnung)

Die zentrale Handlungsempfehlung betrifft also Institutionalisierung der Kooperationskultur, die sich in den letzten Jahrzehnten in der Stadtregion+ etabliert hat, jedoch aus analytischer Sicht zu informell und inhaltlich zu wenig aufeinander abgestimmt ist, wodurch sie in Summe nicht so wirksam ist, wie sie sein könnte. Dafür muss, wie eingangs erwähnt, nicht alles neu erfunden werden: Das bereits gesammelte Wissen über die Stadtregion+, die über die administrativen Grenzen hinaus wirkenden Akteure, die interkommunale Kooperation schon heute „leben“ und die hier vorgeschlagenen Strategien, all das bereits Vorhandene strategisch und konzeptionell neu zu ordnen und „unter einen Hut“ zu bringen, können aus der im Titel des Forschungsprojekts formulierten Frage in naher Zukunft eine Erfolgsmeldung werden lassen: Gemeinsam wachsen, gemeinsam handeln!
Fakten
  • Projektträger
    Universität Wien
    Institut für Geographie und Regionalforschung
  • Projektteam
    Dr. Peter Görgl
    Stefanie Döringer MA
    Mag.a Isabel Heiß
    Johannes Herburger MA
  • Laufzeit
    2018
  • Downloads
  • Kurzfassung 120.02 KB
    Studie 44.18 MB