Neue Wohnqualitäten und Planungsstrategien für Stadtentwicklungsprojekte am Beispiel der Programmierung des Asperner Flugfeldes

Fragestellung und Ansatz der Studie

Die Studie ging von der Fragestellung aus, inwieweit künftig in größeren Stadtentwicklungsprojekten spezifische - das Wohnen / den Wohnungsbau betreffende - Qualitäten gefordert sind, die über die in laufender Optimierung begriffenen Wohnqualitäten hinausgehen. Als "Stadtentwicklungsprojekte" sollen dabei jene Planungs- und Entwicklungsvorhaben verstanden werden, bei denen Wohnungsneubau in größerem Umfang inkludiert ist und von denen - im Verbund mit anderen Nutzungen - ein wesentlicher Einfluss auf die Entwicklung eines Stadtteils ausgeht. Dazu gehören insbesondere Vorhaben, bei denen es um eine Neudefinition oder tiefergehende Veränderung der stadträumlichen bzw. städtebaulichen Strukturen geht, also nicht nur um Wohnbau als Einfügung in eine bereits definierte städtische Struktur.

Wohnbau wird zu einem Operator von Standortpolitik

Eine Ausgangsthese lautet, dass Wohnbau sich zunehmend weniger auf die reine Erfüllung der Wohnfunktion bezieht, vielmehr die Wohnungspolitik sich künftig stärker zu einem zentralen Teil von Standortpolitik entwickeln wird. Die sich internationalisierenden Märkte beeinflussen unmittelbar das private Investment in Büros, Betriebe, Konsum- und Erlebnisräume; dies wird in mittelfristiger Perspektive zunehmend auf für den Wohnungsbau bzw. für die lokalen Wohnungsmärkte gelten. Die Effekte der Globalisierung betreffen nicht nur die Standards des Wohnens für globalisierte Eliten, sondern generell Lage und Qualitäten des Wohnens verschiedenster Bevölkerungsgruppen: die mobilen mittleren Ränge von Beschäftigten, das Wohnen von ZuwanderInnen, "Ausbildungswohnen", aber ebenso das leistbare Wohnen für finanziell schwache Gruppen oder das SeniorInnenwohnen. Bei diesen tendenziell "globalisierten Wohnformen" handelt es sich zunehmend auch um verschiedene Formen eines "temporären Wohnens", mit sehr unterschiedlichen Raum-Zeit-Mustern, Fristigkeiten und Eigengesetzlichkeiten.

Mit einer solchen neuen Auffächerung von Bewohnersegmenten werden die immer noch dominierenden mittelgroßen "Normalwohnungen" (wie sie überwiegend gebaut bzw. gefördert werden), an Bedeutung und Mengenanteilen verlieren. Für den Wohnbau als integrierten Teil der Standortpolitik wird dies auf der einen Seite die Ablösung eines "sozialen Gleichheitsparadigmas", auf der anderen Seite eine gezieltere Adressierung von Wohnbedürfnissen und Nachfrage unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zur Folge haben. Dies bedeutet neue Kopplungen von Wohnformen und Wohnungstypen mit den Potentialen und Attraktionen von Standorten.

Die Region als integrierter Wohn- und Lebensraum

In einer erweiterten, globalen Perspektive bilden Regionen zunehmend funktionelle und ökonomische Einheiten im Standortwettbewerb. Damit verschärfen sich aber auch innerhalb der Regionen Konkurrenzdruck und Nutzungskonflikte um begrenzte Ressourcen. Zwar sind Abwanderung, Randwanderung und der Verlust von Kaufkraft bereits seit Jahrzehnten Themen: sie wurden aber als Probleme isoliert und verengt behandelt. Wenn die "Region" ein dominierendes ökonomisches, funktionelles und lebenspraktisches Paradigma wird, muss die reale Entwicklung in den verschiedenen Segmenten des Wohnens und Lebens neu und chancenorientiert thematisiert werden. Damit verstärken sich auch die Querbezüge zwischen Wohnen, Arbeitsplätzen, Bildungs- und Freizeitangeboten sowie einer Verkehrsorganisation, die nicht primär auf den PKW ausgerichtet ist.

Strategisch orientierte Wohnbaupolitik im engen Konnex mit Stadtentwicklungspolitik wird zur Schaffung neuer attraktiver Standorte Wohnformen entwickeln müssen, die zwischen dem Zentrumsmodell und dem Wohnen im Grünen etwas deutlich Neues bilden, das zugleich die Modelle der "Stadterweiterung", die Defizite der "Peripherie" die negativen Seiten der "Zwischenstadt" (Th. Sieverts) überschreitet. Zu entwickeln sind Attraktionswerte, die als "dritter Pol" den Attraktoren Zentrumsmodell und Wohnen im Grünen gewachsen sind und eine Alternative für die Zukunft bilden, auch im Sinne der Entwicklung neuer und global bzw. regional weiträumig attraktiver Standorte.

Vom Wohnungsnahbereich zum öffentlichen Raum

Sobald größere Entwicklungsprojekte den dicht bebauten und urban definierten Stadtraum verlassen, besteht nach wie vor große Unsicherheit über das, was dort als städtische Qualitäten geschaffen werden kann, wenn man über eine lokale Zentrumsbildung von Supermärkten, neuen Schulstandorten sowie einer beschränkten Reihe von Büros, sozialer Infrastruktur etc. hinausgehen möchte.

Der geforderte neue Attraktionswert von Stadtentwicklungsprojekten im regionalen Kontext, in der Konkurrenz mit innerstädtischen urbanen Angeboten bzw. als europäisch wie global wahrgenommene Standorte wird wesentlich auf der Qualität der Freiräume basieren. Öffentliche und halböffentliche Freiräume im Konnex mit Wohnbau konstituieren zunächst einen Wohnungsnahbereich. Komplementär dazu müssen diese Freiräume in Zukunft wesentlich stärker auch vom übergeordneten öffentlichen Raum her gedacht werden. Flächenwidmungs- und Bebauungspläne im Sinne immer noch traditionell definierter städtebaulicher Masterpläne sind nicht ohne weiteres in der Lage, den Freiräumen bzw. öffentlichen Räumen jene Priorität und Qualitätsdefinitionen zukommen zu lassen, wie sie die Entwicklung eines hochwertigen, gemischt genutzten Standorts erfordern. Hier müssen von Projekt zu Projekte Hypothesen und neue Lösungsmodelle gesucht und in einem "Observatorium für Urbanität" bzw. für neu zu definierende "urbane Qualitäten" beobachtet und evaluiert werden. Diesbezügliche Wechselwirkungen werdem auch anhand der Raummuster einer Reihe größerer Stadtentwicklungsprojekte analysiert.

Qualitative und kooperative Planungsverfahren zur Entwicklung städtischer Qualitäten

Zur Erzielung neuer Wohn- und Lebensqualitäten reichen die Ansätze einer gewissen Nutzungsmischung oder einer "anspruchsvolleren" Grün- und Freiraumgestaltung allein nicht aus. Auch die "Dichte" als positiver wie negativer Einflussfaktor ist planungs-praktisch noch keineswegs geklärt. Wann und unter welchen Umständen der städtebaulichen Detaillierung aus Dichte und Nutzungsmischung attraktive Räume mit entsprechender Belebtheit, mit Wahlmöglichkeiten, Kommunikationsangeboten ohne Beengtheit und einer gewissen erwünschten städtischen Anonymität entstehen, ist von Projekt zu Projekt zu verfolgen. Zu empfehlen ist eine Sparsamkeit von baulichen und gestalterischen Maßnahmen im öffentlichen Raum in der ersten Projektphase, um Spielräume der Nachrüstung, der Verdichtung, der Reaktion auf die Bedürfnisse des neu entstehenden städtischen Lebens vor Ort offen zu halten.

Erforderlich sind in jedem Fall kooperative Verfahren, die über "Bürgerbeteiligung" hinausgehen und die Frontstellungen von Nutzern und Anrainern, Bauträgern bzw. Stadtplanung vermeiden und statt dessen von Beginn der Projektentwicklung an eine kontinuierliche Gesprächs- und gemeinsame Arbeitsbasis schaffen, mit der Möglichkeit, die laufenden Entwürfe zu diskutieren und Vorschläge und Abänderungswünsche einzubeziehen.

Dies betrifft neben der Ausgestaltung der Straßen- und Wege-Querschnitte, der Plätze, Höfe, öffentlichen und halböffentlichen Grünflächen vor allem auch die Erdgeschosszonen, für die ebenfalls - von Projekt zu Projekt - eine spezifische "Bauordnung" auszuarbeiten ist, die in PPP-Verfahren beschlossen und finanziert und durch ein kooperatives Gebietsmanagement laufend zu betreuen sein wird.

Wesentlich ist generell eine - gegenüber klassischen Verfahren - stärkere Einbeziehung des Zeitfaktors in die Planung durch Prozesshaftigkeit und Veränderbarkeit. Entscheidend für den Erfolg eines größeren Projekts ist auch, die städtebauliche Lösung so zu entwickeln, dass eine gewisse "tendenzielle Vollständigkeit" bereits in der ersten Stufe erreicht wird, d.h. die künftige Qualität und Atmosphäre bereits nach den ersten Realisationen erkennbar und wirksam wird.

Wesentlich ist in jedem Fall die intensive Arbeit an einem qualitativen städtebaulichen Leitbild, d.h. an einer über den Masterplan als Verkehrslösung sowie Verteilung der Dichten und Nutzungen hinausgehenden "Raumfigur". Das Fehlen einer spezifischen stadträumlichen Vorstellung kann auch kaum nachträglich - etwa durch bloße "Architekturqualität" - in einen funktionalistischen Masterplan eingeführt werden. Ebenso kontraproduktiv können aber auch simple städtebauliche Figurationen sein, die sich als zunächst leicht eingängige Mega-Form ausgeben und zu sehr nur von der Flugzeug- oder Modellbau-Perspektive her entwickelt wurden, nicht aber von der durchfahrbaren, durchschreitbaren und benützbaren Ebene der VerkehrsteilnehmerInnen bzw. der verschiedenen Nutzergruppen (Kinder, PassantInnen, alte Menschen, Berufstätige etc.) her entwickelt und durchgearbeitet sind.

Die Potentiale des Flugfelds - Kopplungen von Operatoren

Schließlich werden die Ergebnisse der Bearbeitung auf Fragestellungen und Aufgaben der Entwicklung des Flugfelds Aspern bezogen.

Die Potentiale des Flugfelds Aspern sowie die qualitativen Standortansprüche bei einem Projekt dieser Größenordnung werden in der Wechselwirkung von Wohnqualitäten, allgemeinen funktionellen und stadträumlichen Qualitäten anhand einer Reihe der wesentlichen Parameter, Attraktoren bzw. Operatoren reflektiert.

Die einzigartigen Potentiale durch die Größe, Offenheit und Verfügbarkeit der Grundstücke des Flugfeldes, die Lage zu Bratislava (und zur zweiten Achse Richtung Bratislava, Schwechat, Flughafen etc.) bzw. die Anforderungen an übergeordnete Attraktoren wie Hochschule, hochrangige Kultureinrichtung, Kur- bzw. Wellness-Bezirk werden behandelt und immer in Beziehung zu den Wohnqualitäten gesetzt. Was indes bei der Rede von Nutzungsmischung nicht selten unterschätzt wird, ist die mehr oder weniger strenge Eigenlogik der verschiedenen Funktionen: Die konkrete planerische Aufgabenstellung besteht in der Programmierung entsprechender "struktureller Kopplungen" und Synergien, ohne die Anforderungen für die jeweiligen Nutzungen zu vermischen oder abzuschwächen.
Fakten
  • Projektträger
    Arbeitsgemeinschaft Gottfried Pirhofer / Rudolf Kohoutek
  • Projektteam
    Gottfried Pirhofer
    Rudolf Kohoutek
  • Laufzeit
    09/2004 - 12/2004
  • Kontakt
    rudolf.kohoutek1[at]chello.at
  • Downloads
  • Abstract 173.38 KB
    Projektbericht 339.74 KB