Lohnt sich das? Chancen der barrierefreien Bestandssanierung von Wohngebäuden in Wien

Am Beginn der Untersuchung standen zwei grundsätzliche Fragen: Wie hoch sind die tatsächlichen Kosten für barrierefreien oder barrierefrei zugänglichen Wohnraum, wenn man sie im Kontext von Stadtentwicklung, Gesundheits- und Pflegekosten betrachtet? Und wäre die gezielte Förderung von Bestandssanierung für barrierefreies Wohnen langfristig ein Gewinn für die Stadt und ihre Bewohner_innen?

Die abschließende Beantwortung dieser Fragen übersteigt die Möglichkeiten dieser Studie bei Weitem. Das Ziel der Vorstudie war, eine Entscheidungsgrundlage zu schaffen, ob, bzw. in welcher Form barrierefreie Renovierung vertieft werden sollte.

In Interviews mit beteiligten Magistratsabteilungen und externen Expert_innen in den Bereichen Pflege, Bauen, Gesundheit, Finanzierung und Recht wurden die Themenfelder identifiziert. Eine intensive Literaturrecherche national und international befasste sich mit unterschiedlichen Strukturen und Modellen in den komplexen Zusammenhängen zwischen Bauen, Wohnen, Pflege, Sozialen Aspekten und Gesundheit.

Als Ausgangsbasis widmete sich die Erhebung dem Umfeld von Wohnen, Wohnformen und Pflege in der Bundeshauptstadt, der Rechtslage bezüglich barrierefreiem/altersgerechtem Bauen, Wohnen und Gleichstellung.

Wohnen und Wohnumgebung ganzheitlich betrachten


Leistbares Wohnen in zugänglicher Umgebung gehört zu den wichtigsten Erfolgsfaktoren für eine lebenswerte Stadt. Die OECD empfiehlt, drei Indikatoren gemeinsam zu betrachten: Wohnen, Verfügbarkeit von Pflegedienstleistungen und den Zugang zum öffentlichen Verkehr (und damit zu Beschäftigung, öffentlichen und privaten Dienstleistungen). Das deckt sich damit, was Senior_innen unter Lebensqualität verstehen: im Grätzl bleiben, Kontakte pflegen können – aber nicht unbedingt in der derzeitigen eigenen Wohnung. Ausschlaggebend ist nicht nur die barrierefreie Wohnung. Mindestens ebenso wichtig sind Geschäfte, Apotheken, Arztpraxen, Nachbarschaftszentren. Daher ist es nicht erstaunlich, dass gewachsene Strukturen beliebter sind als Neubaugebiete, doch gerade im Altbestand ist es besonders schwierig, barrierefreie Wohnungen bereitzustellen.

Barrierefreie Wohnungen und Wohnumgebungen tragen jedenfalls zur Sturzprävention bei, ein nicht unwesentlicher Faktor für die selbstständige Lebensführung von älteren Menschen. Erstaunlich ist jedoch die geringe Anzahl an aktuellen Ansuchen für die Zuteilung von altersgerechten (140) und barrierefreien (81) Mietobjekten bei Wiener Wohnen angesichts 252.123 mobilitätseingeschränkten Personen (13,5 %) und 9.338 Rollstuhlfahrer_innen (0,5 %) in Wien.

Für Menschen mit Behinderung besteht kein expliziter Rechtsanspruch auf eine barrierefreie Wohnung, aber mit Hinblick auf die UN-Behindertenkonvention und die Nichtdiskriminierungsbestimmungen der Bundesverfassung kommt der freien Wahl des Wohnorts und der Wohnform eine immer stärkere Bedeutung zu. Derzeit wird an der Weiterentwicklung des Rechtsschutzinstrumentariums des Bundesbehindertengleichstellungsgesetzes BGStG gearbeitet. Vor allem der Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch von Barrieren sowie die Ausweitung der Verbandsklage werden gefordert.

Es ist anzunehmen, dass diese rechtlichen Änderungen Druck auf die Baugesetzgebung ausüben werden. Der Konsensschutz zum Beispiel steht der barrierefreien Sanierung oft im Weg. Es gibt aber sehr wohl Beispiele, wo der Konsnesschutz im Sinn von sicherheitsrelevanten Nachrüstungen durchbrochen wurde. Derzeit fehlt jedenfalls Evidenz für Planungsempfehlungen, sollte Barrierefreiheit im vollen Umfang tatsächlich nicht möglich sein.

Fördermodelle und Finanzierung
Wie verhalten sich die unterschiedlichen Wohnbauförderungen zueinander, welche Auswirkungen haben sie, wo können Veränderungen und Verbesserungen ansetzen?

Bei frei finanzierten Bestandsobjekten ist der Sanierungswille allgemein sehr gering, hier gilt die ganz normale Kosten-Nutzenrechnung. Wenn Förderungen vorhanden sind, dann wird bis zur Fördergrenze investiert – und kein Cent mehr. Anreize jenseits der finanziellen Förderung existieren in der Praxis nicht. Barrierefreiheit als Bestandteil der Gebäudebewertung im Sinn der Qualitätsverbesserung wäre hier sinnvoll.

Die Anträge von Einzelpersonen für altersgerechte Adaptierung bleibt bei Weitem hinter den Erwartungen zurück und damit auch die Durchdringung des Wohnungsbestands mit barrierefreier Sanierung. Änderungen der Rahmenbedingungen und aktive Informationspolitik könnten das rasch ändern. Derzeit müssen unter 65-Jährige, die vorbeugend ihre Wohnung adaptieren wollen, abgewiesen werden. Die Aufhebung der Zugangsbeschränkungen und eine Zuwendung zur Qualitätsförderung statt Subjektförderung wäre ein vielversprechender Ansatz mit positiven Auswirkung auf den gesamten Wohnungsbestand. Das heißt, die geförderten Maßnahmen müssten gewisse Grundqualitäten erfüllen.

Um diese Qualitäten und neue Rahmenbedingungen zu definieren, könnte auf die vorhandenen qualitativen und quantitativen Daten über bereits erfolgte Adaptierungsmaßnahmen zurückgegriffen werden.

Ein komplizierter Prozess für Subjektförderungen macht die Sache nicht einfacher, wie auf der Grafik unten zu sehen ist. Die Unterscheidung zwischen „Alter“ und „Behinderung“ scheint im Ablauf nicht sinnvoll, da die Anforderungen in weiten Teilen dieselben sind. Eine Vereinfachung mit bereichsübergreifender Kooperation zwischen Sozialem, Bauen und Wohnen könnte sich auch in den Verwaltungskosten positiv bemerkbar machen.

Auch bei Maßnahmen, die von einer Einzelperson beantragt werden, aber der Allgemeinheit zugutekommen, sollte über ganzheitlichere Lösungen nachgedacht werden. Die Adaptierungen verbleiben derzeit im Eigentum und in der Verantwortung der Einzelperson, mit allen rechtlichen und finanziellen Konsequenzen. Kombinierte Einzelförderungen (mehrere Wohnungsmieter_ oder Eigentümer_innen beantragen mehrere Maßnahmen gemeinsam) sind derzeit nur umständlich über jede einzelne Maßnahme getrennt handhabbar.

Positive Beispiele und belastbare Daten
Ist es überhaupt möglich, im Bestand qualitätvoll innerhalb eines vernünftigen Kostenrahmens zu sanieren? Die einfache Antwort gibt die Stadt Wien selbst: ja. Wien hat kreative und hochwertige Sanierungsbeispiele zu bieten. Sie sind auf der Webseite des Wohnfonds Wien zu sehen, allerdings ist auch hier eine begriffliche Trennung zu beobachten: „barrierefrei“ ist eine separate Kategorie. Aus Sicht der Nutzung weisen diese Gebäude jedoch die höchst mögliche Qualität für Alle auf. Qualitätskriterien sollten daher im Vordergrund stehen, nicht die „Schublade“ der Behinderung.

Dieser Mechanismus wirkt in der gesamten Bau- und Immobilienwirtschaft. Wenn Bauträger erzählen, dass die „rollstuhlgerechten“ Wohnungen dann auch nicht von „Gesunden“ genommen werden, und zumindest das Badezimmer wieder zurück gebaut werden muss, dann läuft etwas schief in der Gestaltung und Vermarktung dieser Wohnungen. Eine barrierefreie Wohnung bietet Raum für alle Lebensphasen und Generationen, das sollte doch eher ein Verkaufsargument als ein Hinderungsgrund sein?

Auch die Haustechnik ist im digitalen Zeitalter angekommen, und es spricht nichts dagegen, die moderne digitale Vernetzung auch in Vorbereitung für umfassendere Assistenzsysteme im Zuge der Sanierung zu integrieren.

Es fehlt einfach das Bewusstsein, dass Barrierefreiheit mehr Qualität für Alle bedeutet und dass dieses erweiterte Verständnis der Nachhaltigkeit mehr Komfort und besseren Werterhalt der Immobilie nach sich zieht.

Der Abbau von Hindernissen im Altbestand ist vor Allem bei den Wohnbauten der 1950er bis 80er Jahre eine große Herausforderung. Bei der Konzentration der Sanierungsbemühungen auf diesen Bestand müssten für die Optimierung der Barrierefreiheit Planungsempfehlungen verfügbar sein, die auf soliden, bereichsübergreifenden Daten beruhen. Dazu gehört die Erhebung von Gebäude- und Grundrisstypen in Kombination mit der Untersuchung von Lebensrealitäten.

Ganzheitliche Modelle
Von welchen Modellen können wir lernen, wo können wir ansetzen, um Wohnen in Wien zukunftssicher zu machen?

Bei Durchsicht der internationalen Beispiele ist auffällig, dass viele finanziell wirksame Einzelmaßnahmen, die in anderen Ländern genannt werden, auch in Österreich, bzw. in Wien existieren: das Pflegegeld, über das frei verfügt werden kann; die Zuschüsse zur Wohnungsadaptierung; die Förderung von Hilfsmitteln; städtische Beratungsstellen für Wohnen; die Förderung von innerstädtischer Sanierung; die gesetzlichen Rahmenbedingungen für barrierefreies Bauen, leistbaren Wohnraum und alternative Wohn- und Betreuungsformen. Es entscheidet also nicht die Summe der Einzelmaßnahmen über erfolgreiche, zukunftssichere Konzepte.

Den signifikanten Unterschied machen vermutlich die Koordination der Aktivitäten und die Grundeinstellung gegenüber Inklusion und Barrierefreiheit in allen Entscheidungen.

Erstaunlich ist, wie deutlich unsere Wahrnehmung aus den Gesprächen und Recherchen in Wien den Empfehlungen der OECD entsprechen. Zielführend ist ein umfassender Ansatz, der ökonomische und soziale Aspekte der Alterung integriert; horizontale Verwaltungsstrukturen, die „Denksilos“ aufbrechen und Wohnen, Gesundheit, Stadtinfrastruktur, öffentlichen Verkehr, Arbeit und urbane Gestaltung gemeinsam betrachten.

Qualitative Modelle wie Post Occupancy Evaluation (POE) könnten für die Nachevaluierung der positiven Beispielprojekte herangezogen werden, um Benchmarks für qualitätvolle Sanierung zu schaffen. Eine ganzheitliche Projektbegleitung und Bestimmung des sozialen Werts von barrierefreier Sanierung mit Social Return on Investment (SROI) vertieft den universellen Zugang.

Ein methodisches Szenario
Als Methode der Visualisierung und Bewertung entstand während des Projekts der „Grätzlquadrant“ (Arbeitstitel) mit vier relevanten Handlungsfeldern. Für jedes Handlungsfeld werden Indikatoren und Werte entwickelt. Möglicherweise fällt dann, je nach Beschaffenheit des Grätzls, die Gewichtung der Indikatoren unterschiedlich aus. So kann auf Eigenheiten eines Gebiets in der dort anzustrebenden Qualität Rücksicht genommen werden.

Ein ‚baseline‘ Szenario entsteht in der Datenauswertung und Evaluierung der aktuellen Situation im Grätzl wie oben beschrieben. Im Quadranten können der aktuelle und der gewünschte Status dargestellt werden. Die Darstellung erzeugt Vergleichbarkeit zwischen Grätzeln, macht Handlungsbedarf sichtbar und funktioniert als Basis für verschiedene Szenarien der Politikgestaltung. 
Fakten
  • Fördergeber
    Magistratsabteilung 50, Wohnbauförderung und Schlichtungsstelle für wohnrechtliche Angelegenheiten.
  • Projektträger
    design for all
    Zentrum für barrierefreie Lebensräume
  • Projektteam
    Egger Veronika
    Ehrenstrasser Lisa
    Jorda Beatrix
    Schweidler Franz
    Schweidler Gerald
  • Dauer
    11/17
  • Downloads
  • Kurzfassung_DE 872.38 KB
    Endbericht_DE 2.52 MB