Sicherheit und Wohnqualität

Abstract
Wohnsicherheit ist ein wesentlicher Faktor von Wohnqualität. Sie beeinflusst die Standortentscheidung bei der Wohnungssuche, die Zufriedenheit mit der Wohnsituation, das Wohlbefinden der BewohnerInnen und das Image der Wohnumgebung. Das Wohnquartier „Wien 21., Gerasdorfer Straße“ ist ein innovatives Beispiel im Bereich des geförderten sozialen Wohnbaus, bei dem das Thema „Wohnsicherheit“ im Zuge eines Bauträgerwettbewerbs bereits in der Ausschreibung, der Planungsphase wie auch in der Umsetzung und weiteren Betreuung systematisch berücksichtigt wurde. Eine Analyse der umgesetzten Qualitäten zeigt, dass im Untersuchungsgebiet ein breites Spektrum sicherheitsfördernder räumlich-struktureller Maßnahmen in Kombination mit einem effektiven Bündel technischer Sicherheitsvorkehrungen realisiert wurde. Diese ganzheitliche Herangehensweise ist wesentlich wirkungsvoller als Einzelmaßnahmen, da Sicherheit auf Ebene der Wohnung mit Sicherheit auf Ebene des Gebäudes und in weiterer Folge auch auf Ebene des Wohngebietes zusammenhängt. Die
Qualität der Freiräume und der Architektur sowie die kleinteilige Gliederung der Bebauung  fördern das positive Image des Quartiers und eine Identifikation der BewohnerInnen. Damit sind entsprechend den Standards der kriminalpräventiven Siedlungsgestaltung (vgl. Schubert 2005) wesentliche Grundvoraussetzungen für aktive Nachbarschaften, ein positives Image des Wohngebietes und ein stabiles Sicherheitsgefühl gegeben.

Zielsetzung
Das Thema „Sicherheit und Wohnqualität“ hat verschiedene Facetten, die auf objektiver und subjektiver Ebene zusammen wirken. Für das individuelle Sicherheitsempfinden ist neben dem Schutz vor Bedrohung ein Grundgefühl von Geborgenheit, Sorgenfreiheit, Kontrolle und Übersicht wichtig. Auf der materiellen Ebene wirken neben technischen Vorkehrungen zur Einbruchssicherung, Vermeidung von Angsträumen und Dunkelzonen die räumliche und architektonische Gestaltung sowie die Abgrenzung öffentlicher, (teil)öffentlicher und privater Zonen sicherheitsfördernd. Für das Sicherheitsgefüge in einem Wohngebiet spielen außerdem soziale Prozesse der gegenseitigen Rücksichtnahme, Kontrolle und Übernahme von Verantwortung eine Rolle. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde untersucht, durch welche Qualitäten Sicherheit präventiv, also bereits bei der Planung im Wohnungsneubau berücksichtigt werden kann. Die Ergebnisse fließen in eine Broschüre für PlanerInnen und Bauträger ein, die vom wohnfonds_wien herausgegeben wird und zahlreiche Umsetzungsbeispiele für die Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten in der Planung enthält.

Methode

Die Analyse der umgesetzten sicherheitsbezogenen Maßnahmen erfolgte anhand einer Auswertung von eingereichten Projektunterlagen und Juryprotokollen, von Experteninterviews und vor dem Hintergrund des aktuellen Wissensstandes. Als Grundlage dienten einschlägige Forschungsergebnisse bzw. internationale Normen und Richtlinien, insbesondere der Europäische Standard für vorbeugende Kriminalitätsbekämpfung im Bereich der Stadt- und Gebäudeplanung (CEN/TR 14383-3). Ergänzend dazu wurden konkrete Erfahrungen im  Rahmen von Leitfadeninterviews mit HausbetreuerInnen vor Ort erhoben.

Ergebnisse
Sicherheit ist zwar ein wesentlicher Faktor von Wohnqualität, ruft aber auch rasch negative
Assoziationen im Hinblick auf mögliche Bedrohungen oder Gefahren hervor. Reflexartig können dadurch Gedanken an Abschottung, Einzäunung und Überwachung in den Vordergrund treten. Daher sind präventive Strategien sinnvoll, wenn Sicherheitsaspekte in der Planung explizit berücksichtigt werden sollen, wobei Sicherheit als indirektes Ergebnis von räumlichen, architektonischen und sozialen Qualitäten angestrebt wird.

Die Aufgabenstellung des Bauträgerwettbewerbes für das Wohnquartier „Wien 21., Gerasdorfer Straße“ zum Thema Wohnsicherheit bestand aus einer Kombination räumlich-struktureller Maßnahmen, technischer Vorkehrungen und begleitender Aufklärungsarbeit. Durch diesen integrierten Ansatz richtete sich der Fokus der WettbewerbsteilnehmerInnen nicht automatisch auf Fragen der Sicherheitstechnik, sondern auch auf sozialräumliche Faktoren. Dadurch sollten die Effektivität technischer Vorkehrungen gesteigert und eine nachhaltige Grundlage für das Sicherheitsgefüge im Quartier geschaffen werden. Als Nebeneffekt rückten durch die Aufgabenstellung menschliche Bedürfnisse und soziale Prozesse explizit in den Vordergrund von Planungsüberlegungen, die sonst eher an die soziale Begleitung angedockt werden.

Die eingereichten Sicherheitskonzepte entsprechen im Wesentlichen den Leitlinien kriminalpräventiver Siedlungsgestaltung (vgl. Schubert 2005). Nach dieser Konzeption besteht das übergeordnete Ziel sicherheitsbezogener Planung in der Schaffung von Territorien, die über die Privatsphäre der Wohnung hinausgehen und ein Gefühl der Verantwortlichkeit für das eigene Wohnviertel erzeugen. Wichtig sind außerdem die Möglichkeiten „natürlicher  Überwachung“, also die Schaffung räumlich-struktureller Situationen, die AnrainerInnen möglichst viele Gelegenheiten bieten, informelle soziale Kontrolle auszuüben. Voraussetzungen dafür sind Einsehbarkeit und Überschaubarkeit, aber auch die Belebung des Außenraumes durch Nutzungsmischungen in Erdgeschoßzonen, attraktive Wegesysteme und die Integration des Quartiers in ein gesamtstädtisches Ensemble.

Die Analyse der im Untersuchungsgebiet umgesetzten Qualitäten zeigt, dass vor allem die Grundsätze der Zonierung, Überschaubarkeit und Einsehbarkeit bei der Planung und Gestaltung von Freiräumen, Tiefgaragen, Eingangsbereichen und Erschließungskernen gut berücksichtigt wurden.

Wege, Bepflanzungen, Möblierungen und Geländemodellierungen unterteilen und differenzieren die Außenbereiche. Die Trennung von privaten, teilöffentlichen und öffentlichen Bereichen macht unterschiedliche Zutrittsrechte aber auch Pflichten sichtbar. Diese Klarheit erzeugt ein Gefühl von Kontrolle, fördert die Nutzungsintensität und individuelle Aneignungsprozesse. Nach außen wird die Verbundenheit der BewohnerInnen mit ihrer unmittelbaren Wohnumgebung vermittelt. Nach innen wird die Verantwortungsübernahme durch BewohnerInnen gestärkt. Beide Faktoren erzeugen eine abschreckende Wirkung für potenzielle Täter.

Die niedrige Anzahl an Geschoßen, ein differenziertes internes Erschließungssystem, die abwechslungsreiche Gestaltung von Fassaden wie auch die Dimensionierung des Außenraumes schaffen eine „sozialverträgliche Maßstäblichkeit“ und verhindern Anonymität.

Bezüglich der Anordnung der Baukörper und der Situierung von Spielflächen, Gemeinschafts- und Hausnebenräumen sowie von Hauseingängen wurde auf Sichtachsen, Transparenz und Blickbeziehungen geachtet. In Tiefgaragen, Schleusenbereichen und Hausnebenräumen wurden uneinsehbare Winkel und Nischen weitgehend vermieden. Die Tiefgaragen sind übersichtlich, klar organisiert und gut belichtet.

Das Planungsprinzip der Einsehbarkeit steht in einem Spannungsfeld zu individuellen Bedürfnissen nach visueller und akustischer Abschottung. Die um eine „grüne Mitte“ angeordneten Baukörper in den Bearbeitungsgebieten 1 und 5 sind gute Beispiele dafür, dass auch gemeinschaftsorientierte Typologien dem Bedürfnis nach Rückzug und Privatheit gerecht werden können. Dies geschieht z. B. durch die qualitätsvolle Gestaltung von Freiflächen oder die Möglichkeit der Aneignung von – den Häusern vorgelagerten – Bereichen, wodurch die Individualität und Wertigkeit der BewohnerInnen unterstrichen werden. Generell ist das gesamte Untersuchungsgebiet überschaubar und einsehbar.

Zur Belebung des Wohnumfeldes tragen insbesondere die hohe Aufenthaltsqualität der Freiräume, deren durchgängige Beleuchtung und ein durchdachtes Wegesystem bei. An Kreuzungen, Wegen und Plätzen gibt es zahlreiche Sitzmöglichkeiten. Das Angebot reicht von ausladenden Sitzbänken und Holzdecks, zu Holzliegen und Bänken mit Arm- und  Rückenlehnen. Diese Vielfalt wird unterschiedlichen Komfort-, Distanz- und Kommunikationsbedürfnissen gerecht. Dämpfend auf das öffentliche Leben wirkt das derzeit fehlende gastronomische Angebot im Quartier. Das einzige Kaffeehaus hat aufgrund niedriger Umsätze den Betrieb eingestellt. Geschäftsflächen, die ursprünglich für eine Handelskette vorgesehen waren, sind wegen der notwendigen Kundenfrequenz noch nicht vermietet. Da die
entsprechenden Strukturen vorhanden sind, ist aber ein Potenzial verfügbar, das in den nächsten Jahren entsprechend genutzt werden kann. Als weiteres Problem könnten sich mittelfristig zu geringe Angebote für Jugendliche herausstellen. Aufgrund der demographischen Struktur der Bewohnerschaft ist jedoch in den kommenden Jahren mit einem hohen Anteil an Jugendlichen im Untersuchungsgebiet zu rechnen. Noch gibt es weder Ballspielplätze, „Lungerpunkte“ oder Skateboard-Bahnen. Es ist allerdings ein Abenteuerspielplatz in Planung, der diese fehlenden Angebote teilweise kompensieren kann. Die Experteninterviews machen deutlich, dass zielführende Maßnahmen zur Belebung des Außenraumes eine  bauplatzübergreifende Koordination erfordern, um die Orientierung der Planung auf hin zu einer Quartiersbildung zu lenken.

Die Qualität der Beziehungen zwischen den BewohnerInnen ist Grundlage für ein Gefühl der Vertrautheit mit dem Wohnort und für den sozialen Zusammenhalt. Räumliche Strukturen bilden einen Rahmen für Nähe und Identifikation, der durch soziale Begleitung ergänzt werden muss. Nachbarschaftliche Beziehungen entwickeln mit zunehmender Wohndauer spezifische Muster. In der ersten Besiedlungsphase muss die Bewohnerschaft beim Kennenlernen unterstützt werden, um Verunsicherungen abzubauen und den Grundstein vertrauensbasierter Nachbarschaftsbeziehungen zu legen. Mit Fortdauer bilden sich danach soziale Gruppierungen und bringen trennende Strukturen hervor. Aktivitäten, die auf Dauer angelegt sind – wie z. B. das Kultivieren eines Gemeinschaftsgartens – sind wichtig, um soziale Kontakte zu  verfestigen. Für das Sicherheitsgefühl ist außerdem der Umgang mit Konflikten zwischen BewohnerInnen wichtig. Nachbarschaftskonflikte laden sich rasch emotional auf und nehmen häufig höhere Eskalationsstufen an. Dies nicht zuletzt, weil rivalisierende Gruppen im direkten Wohnumfeld ebenso rasch Verbündete finden. HausbetreuerInnen spielen dabei eine wichtige
Rolle als neutrale Ansprechstellen, um Probleme frühzeitig aufzugreifen.

Mechanische und elektronische Maßnahmen zeigen gemäß polizeilicher Information vor allem auf „SpontantäterInnen“ abschreckende Wirkung. BewohnerInnen vergessen jedoch häufig, während ihrer Abwesenheit Fenster und Türen zu schließen bzw. abzusperren. Auch Gegensprechanlagen erfüllen nur dann ihren Zweck, wenn sie gewissenhaft benutzt werden. Die im Wohnquartier angebotenen Informationsveranstaltungen sind daher eine sinnvolle Ergänzung zu sicherheitstechnischen Vorkehrungen. Ein weiterer – nicht zu unterschätzender – Unsicherheitsfaktor sind hohe oder blickdichte Zäune und Mauern. Zäune sind sowohl für BewohnerInnen als auch für Hausverwaltungen ein Standardmittel zur Einfriedung von Mietergärten. Hierzu sind entsprechende Vorgaben und Informationen bezüglich alternativer Möglichkeiten der Gartengestaltung und -einfriedung zielführend.

Insgesamt ist im Untersuchungsgebiet von guten räumlichen, architektonischen und freiraumbezogenen Voraussetzungen für überschaubare Nachbarschaften und informelle Kontrolle auszugehen. Die Gestaltung der Freiräume, die Architektur und die kleinteilige Gliederung der Bebauung unterstützen Kontakte und Begegnungsmöglichkeiten unter den BewohnerInnen. Schlussendlich tragen die qualitätsvolle Ausgestaltung von gemeinschaftlichen Innen- und Außenbereichen sowie die klare Zonierung zwischen öffentlichen, teilöffentlichen und privaten Bereichen zum Sicherheitsgefüge im Wohngebiet wesentlich bei, da sie das subjektive Sicherheitsgefühl stärken, gegenseitige soziale Kontrolle fördern und Tatgelegenheiten reduzieren.
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