Evaluierung der Sozialen Nachhaltigkeit im geförderten Wohnbau

Im Jahr 2009 wurde dem 3-Säulen-Modell zur Bewertung von geförderten Wohnbauvorhaben in Wien eine vierte Säule hinzugefügt. Die Säulen „Architektur“, „Ökonomie“ und „Ökologie“ wurden um die Säule „Soziale Nachhaltigkeit“ ergänzt. Vier Jahre nach der Einführung untersucht die vorliegende Evaluierung die Auswirkungen anhand von neun geförderten Wohnbauprojekten, wovon fünf im Rahmen von Bauträgerwettbewerben und vier vom Grundstücksbeirat zur Förderung empfohlen wurden. Ziel der Evaluierung war eine projektbezogene Darstellung der Schwerpunktsetzung im Bereich „Soziale Nachhaltigkeit“ auf Basis von Planungsunterlagen sowie eine stichprobenartige Überprüfung der Umsetzung und Um-setzungsqualität. Ziel war es darüber hinaus, erste Ableitungen für eine mögliche Weiterentwicklung der Kriterien aus der Evaluierung zu gewinnen.

Ergebnisse
Insgesamt zeigt sich, dass die Bauträger der neuen Anforderung der „Sozialen Nachhaltigkeit“, trotz unterschiedlicher Schwerpunktsetzungen und Orientierung an der Kriterienliste, gut gerecht werden und eine vielversprechende Berücksichtigung der Kriterien der sozialen Nachhaltigkeit bei den betrachteten Projekten erfolgte. Neben der Beachtung in der Planung wird von den EvaluatorInnen auch die Umsetzung als gut gelungen betrachtet: Gute Grundrissqualität, Verwendung passender und zum Teil hochwertiger Materialen in den Gemeinschaftsräumen, Werkstätten und Proberäumen, engagierte Prozessmoderation und (soziale) Konzepte etc. sind ausschlaggebend für diese Einschätzung. Bei keinem der neun Bauprojekte kam es zu einer Abweichung zwischen Planung und Umsetzung im Sinne einer Minderung unter dem Kriterium „Soziale Nachhaltigkeit“.

Einschränkend muss angemerkt werden, dass sich einige Kriterien aufgrund ihres qualitativen Charakters einer objektiven Überprüfung entziehen bzw. dass es an Richtwerten oder Mindeststandards fehlt. Außerdem bedeutet Nachhaltigkeit per Definition das dauerhafte Verhalten eines Systems über eine längere Zeitspanne. Eine aussagekräftige Einschätzung der sozialen Nachhaltigkeit kann daher erst nach einer ausreichenden Betrachtungszeit erfolgen.

Schwerpunkte
Durch alle Projektbeschreibungen zieht sich das Thema Leben in Gemeinschaft, das sich in den Bauten vor allem durch die großzügigen Gemeinschaftsräume und Gemeinschaftsterrassen zeigt. Durch das vielfältige Angebot unterschiedlicher Wohnungstypen für unterschiedliche Wohnbedürfnisse sowie die Anwendung verschiedener Fördermodelle wurde bei allen Projekten eine wichtige Voraussetzung für eine soziale Durchmischung der BewohnerInnen geschaffen.

Mitbestimmungskonzepte bei Planung, Bau und Nutzung stellen bei fast allen betrachteten Projekten einen Schwerpunkt dar. Unterschiede zeigen sich hier hinsichtlich der „Reichweite“, das heißt, ob die Mitbestimmung eher auf die Planung und/oder auf die spätere Nutzung ausgerichtet ist, und hinsichtlich des Grades der Partizipation, das heißt, bei welcher Art von Themen eine Einbeziehung der BewohnerInnen erfolgt.

Auch die Form der Hausbetreuung wird bei den meisten Projekten bereits in der Planung mitbedacht. Dabei zeigen sich unterschiedliche Modelle, die von vor Ort anwesenden HausbetreuerInnen über interne HausbetreuerInnen (ein/e BewohnerIn übernimmt die Aufgabe der Hausbetreuung) bis hin zu einer Einbettung der Hausbetreuungsfrage in den Mitbestimmungsprozess reichen.

Mobilitätskonzepte finden sich bei allen Projekten wieder, sind aber mehrheitlich wenig innovativ. So ist lediglich bei einem Projekt die Nutzung eines Carsharingmodells geplant. Der Reduktion von Mobilitätserfordernissen durch örtliche Integration von Funktionen wie Wohnen, Versorgung, Erholung wurde in einem Projekt durch einen integrierten Verbrauchermarkt und bei zwei Projekten durch die Schaffung zumietbarer Büroräumlichkeiten Rechnung getragen.

Handlungsempfehlungen
Aufgrund der bisher positiven Ergebnisse, lautet die erste Empfehlung, dass weiterhin an dem Konzept der „Sozialen Nachhaltigkeit“ im Säulenmodell festgehalten werden soll.
Soziale Nachhaltigkeit stellt zwar eine Querschnittsmaterie dar und sollte immer im Zusammenhang mit den anderen drei Säulen „Architektur“, „Ökonomie“ und „Ökologie“ betrachtet werden, die Kriterienliste fördert jedoch die Anschaulichkeit. Insofern stellt sie aus Sicht der EvaluatorInnen ein hilfreiches Mittel dar. Einzelne Kriterien könnten genauer formuliert werden bzw. Empfehlungen oder Richtwerte enthalten (z.B. ausreichend Stauraum). Dies würde eine spätere Überprüfung erleichtern. Andererseits birgt eine zu genaue Definition der einzelnen Kriterien die Gefahr, dass Handlungsspielräume in der Planung verloren gehen, was negative Konsequenzen für die Qualität der Wohnbauprojekte haben kann und insbesondere ein Weiterdenken der Kriterien entlang aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen erschweren könnte.

Für die soziale Nachhaltigkeit stellt die städtebauliche Ein- und Anbindung einen wichtigen Punkt dar. In der Kriterienliste bzw. bei der Beurteilung der Qualität durch die Jury, sollte deshalb auch das Umfeld der Wohnanlage differenziert in Betracht genommen und die bauliche „Reaktion“ darauf bewertet werden.

Die Jury orientiert sich bei ihren Beurteilungen teilweise sehr stark an der jeweiligen Schwer-punktsetzung der vorliegenden Projekte. Eine umfangreichere Berücksichtigung und Würdigung aller Kriterien der sozialen Nachhaltigkeit kann verhindern, dass wichtige Elemente für sozial nachhaltigen Wohnbau übersehen werden.

Darüber hinaus könnten folgende Handlungsempfehlungen in Betracht gezogen werden:
  • Mehrdimensionales Verständnis von Barrierefreiheit und damit eine Berücksichtigung unterschiedlicher Formen der Behinderung.
  • Eine stärkere Berücksichtigung von Lärmbelästigungen durch ein koordiniertes Nutzungsmanagement von Gemeinschaftsräumen und verstärkte Mediation.
  • Alternativen Mobilitätskonzepten sowie einer Reduktion von Mobilitätserfordernissen sollte noch mehr Beachtung geschenkt werden.
  • Stärkere Einbindung der Gebietsbetreuungen bereits in der Planungsphase, soweit diese in den jeweiligen Bezirken vorhanden sind.
  • Künstlerische Interventionen können einen wichtigen Beitrag zur Identifikation der BewohnerInnen leisten. Eine Einbindung der BewohnerInnen ist dabei allerdings eine wichtige Voraussetzung.
Fakten
  • Projektträger
    abif – analyse, beratung und interdisziplinäre forschung
  • Projektteam
    Andrea Egger-Subotitsch
    Martin Stark
    Mark Gilbert
    Sonja Gruber
  • Laufzeit
    2013
  • Kontakt
    office[at]abif.at
  • Downloads
  • Abstract 384.83 KB
    Projektbericht 803.25 KB