Die Wohnzufriedenheit im Kontext von Sicherheit und Wohnen

Einleitung

Im Jahr 2010 schrieb die Stadt Wien einen Bauträgerwettbewerb mit dem übergeordneten Schwerpunktthema „Wohnsicherheit“ aus. Sowohl bei der Planung, als auch bei der weiteren Betreuung der Projekte sollte auf dieses Thema in räumlicher, struktureller, technischer, aber auch sozialer Hinsicht besonderer Wert gelegt werden.

Der Wettbewerb, bezogen auf einen Teilbereich des ehemaligen OMV-Areals in der Gerasdorferstraße im 21. Bezirk, umfasste fünf Bearbeitungsgebiete. Neben dem Thema Sicherheit wurde der Schwerpunkt „Neue Siedlerbewegung“ für drei der fünf Bearbeitungsgebiete in die Ausschreibung mit aufgenommen. So auch für das Bearbeitungsgebiet 5, für das das Projekt „die grüne welle“ (WBV-GÖD, Architekturbüro SUPERBLOCK, Landschaftsplanungsbüro Land in Sicht und wohnbund:consult) zur Realisierung empfohlen wurde.

Die Leitidee des Projekts umfasste ausgehend von einer Reihenhaustypologie eine schlichte Siedlungsstruktur aus sich annähernden und wieder entfernenden Kurven, die ein offenes Wohnfeld mit vielfältigen Freiraumangeboten entstehen lassen sollte.

Das vom Projektteam erarbeitete Sicherheitskonzept umfasste unterschiedliche Maßnahmen im technischen, vor allem aber im räumlichen, strukturellen und sozialen Bereich. Bewusst wurde versucht, das Thema „Sicherheit“ aus dem vorgegebenen Denkschema herauszuheben, weniger Richtung „Gated-Community“ und technische Maßnahmen zu gehen und stattdessen auf gemeinschaftliches Wohnen, Nachbarschaft und gegenseitige Verantwortung zu setzen. Sicherheit sollte nicht durch Abschottung passieren, sondern durch Offenheit und Einsehbarkeit der halböffentlichen Flächen und privaten Gartenräume gefördert werden. Einen weiteren Schwerpunkt bildete die hundefreundliche Gestaltung der Anlage. Diese Maßnahme wurde damit begründet, dass Hunde sowohl einen objektiven Sicherheitsfaktor darstellen, als auch erheblich zum subjektiven Sicherheitsgefühl beitragen.

Aufgabenstellung und Untersuchungsdesign

Im Mittelpunkt der Post-Occupancy-Evaluierung steht die Wohnzufriedenheit der BewohnerInnen der Modellwohnanlage „die grüne welle“ mit einem Schwerpunkt auf dem Leitthema „Wohnsicherheit“, wie es im Bauträgerauswahlverfahren Gerasdorfer Straße formuliert war. Analysiert werden die themenbezogenen Ziele und der Innovationsgehalt des Projekts aus dem Wettbewerb, die Umsetzung der konkreten Maßnahmen, die Rolle des Projektleitbilds „Wohnsicherheit“ sowie allem voran die Akzeptanz und Wohnzufriedenheit durch die Mieterinnen und Mieter.

Die leitenden Forschungsfragen sind:
  • Was waren die Schwerpunkte in der Projektplanung und –umsetzung?
  • Wie wurde das Leitthema „Wohnsicherheit“ von den Planenden umgesetzt?
  • Wie wird die allgemeine Wohnzufriedenheit in der Anlage bewertet?
  • Wie werden einzelne Aspekte der Wohnzufriedenheit bewertet?
  • Wie ist das subjektive Sicherheitsempfinden in der Wohnanlage und Wohngegend?
  • Wie werden die getroffenen Planungsmaßnahmen von den BewohnerInnen angenommen?
  • Wie wird speziell der Projektschwerpunkt „Hundefreundlichkeit“ angenommen?

Für die Post-Occupancy-Evaluierung wurde ein Methodenmix aus quantitativen und qualitativen Methoden gewählt, um das Thema gleichermaßen in einer gewissen Breite, aber auch Tiefe behandeln zu können.

Eine Dokumentenanalyse der Ausschreibung und Projekteinreichung bildete den Einstieg in das Thema und die Grundlage für die nachfolgenden quantitativen und qualitativen Befragungen.

Die quantitative Online-Befragung sollte eine Beteiligung möglichst vieler BewohnerInnen an der Studie ermöglichen, um ein umfassendes Bild über die aktuelle Wohnzufriedenheit in der Wohnanlage zu bekommen.

Qualitative Interviews mit 12 BewohnerInnen dienten zur Stützung bzw. vertiefenden Beschreibung der Befragungsergebnisse aus der Online-Erhebung. 7 Interviews wurden mit beteiligten PlanerInnen aus dem Bereich Freiraumplanung, Architektur und externen ExpertInnen zu den Themen Planung und Umsetzung des Projekts, Wohnsicherheit und Hunde durchgeführt.

Ergebnisse der Evaluierung

Das Wohnbauprojekt „die grüne welle“ entwickelte sich auf Basis des Schwerpunktthemas „Wohnsicherheit“ im Bauträgerwettbewerb Gerasdorfer Straße zu einer Wohnanlage mit modellhaftem Charakter. Die Flächenwidmung erlaubte einen besonderen städtebaulichen Ansatz, mit dem grundlegend auf das Thema Wohnsicherheit reagiert wurde, indem von Beginn an eine intensive Auseinandersetzung auch mit sozialen Fragen erfolgte. Das Ergebnis ist ein Projekt, das Sicherheit vor allem über Offenheit, Gemeinschaftlichkeit, Nachbarschaft und Nutzungsmischung spielt und dabei weitgehend auf Abgrenzung und technische Sicherheitsmaßnahmen verzichtet.

Neben der Wohnzufriedenheit wird in dieser Studie besonderer Wert auf das Thema „Wohnsicherheit“ gelegt, das durch die Interpretation des Projekts nicht getrennt von den Aspekten Nachbarschaft und Hundefreundlichkeit betrachtet werden kann.

Hohe Wohnzufriedenheit in der „grünen welle“
Die Wohnzufriedenheit in der Wohnanlage „die grüne welle“ ist generell als hoch zu bewerten. Über 80% der Befragten geben an, dass die Wohnung den ursprünglichen Erwartungen sehr bzw. eher entspricht. Mit ihrer Wohnsituation insgesamt sind 83% der Teilnehmenden sehr bzw. eher zufrieden. Knapp 90% der Befragten geben an, gerne in der Wohnung zu wohnen. Fast 70% würden die Wohnanlage Freunden weiterempfehlen.

Differenziertes Bild bei einzelnen Aspekten der Wohnung...
Bei genauerer Betrachtung einzelner Aspekte ergibt sich ein differenziertes Bild: Sehr zufrieden sind die Befragten mit der Helligkeit, Größe und Anzahl der Räume in ihrer Wohnung/ihrem Haus. Zufriedenheit herrscht auch in Bezug auf Raumaufteilung und Ruhe in der Wohnung/im Haus. Geringere Zufriedenheitswerte ergeben sich bei der baulichen Qualität (vor allem hinsichtlich Warme- und Schalldämmung).

Unzufrieden sind die Befragten mit dem Heizaufwand und den Wohnkosten. Letzteres ist vor allem auf teilweise sehr hohe Nachzahlungen bei den Betriebs--‐ und Energiekosten etwa zwei Wochen vor Beginn der Befragung zurückzuführen. Als Gründe für diese Kosten werden von Seiten des Bauträgers vor allem zusätzliche Ausgaben in der Bezugsphase (Müllentsorgung, Erstanschaffungen, zusätzlicher Heizaufwand durch Restfeuchte) und zu geringe Einstufung bei den laufenden Kosten angegeben. Für einige BewohnerInnen stellen diese Nachzahlungen eine Untergrabung der Leistbarkeit des Wohnens in der Anlage dar. Es ist davon auszugehen, dass auch die allgemeinen Zufriedenheitswerte von diesen Nachzahlungen negativ beeinflusst wurden.

Auch in den Interviews spiegelt sich die hohe Wohnzufriedenheit vor allem in Bezug auf die Gestaltung und Größe der Wohnungen/Häuser wider. Unzufriedenheit wird auch hier vor allem in Bezug auf die Nachzahlungen, die Kommunikation mit der Hausverwaltung, aber auch bezüglich mangelnder Mitbestimmungsmöglichkeiten bei Grundrissen, Sonderausstattung und Gestaltungsmöglichkeiten, v.a. bei der Anbringung von Sonnenschutz angegeben.

....der Wohnanlage
Hohe Zufriedenheit besteht in Bezug auf die Architektur und die Sauberkeit/Gepflegtheit der Anlage. Zur Barrierefreiheit enthalten sich relativ viele Befragten einer Aussage. Werden nur die Antworten unter Ausschluss der Nicht-Antwortenden betrachtet, ergeben sich sehr hohe Zufriedenheitswerte von über 85%.

Nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten ist mit dem Freiraumangebot sehr bzw. eher zufrieden. In den Interviews zeigt sich, dass sich dies vor allem auf die Möblierung, die mangelnden Spielmöglichkeiten und die Pflege des Grünraums bei Trockenheit bezieht. Gleichzeitig wird vor allem der Anger als Treffpunkt und Bewegungsmöglichkeit für die Kinder sehr intensiv genutzt und positiv hervorgehoben. Unzufriedenheit herrscht in Bezug auf die gestalteten Spielmöglichkeiten für Kinder: Kritisiert werden dabei vor allem die Ausführung des Kinderspielplatzes (Kiesfläche) und das fehlende Angebot für Kinder und Jugendliche. Relativ hohe Unzufriedenheit besteht auch mit der Hausverwaltung. Als Grund werden vor allem Schwierigkeiten in der Kommunikation und Organisation angegeben.
Das Angebot an gemeinschaftlicher Infrastruktur im Projekt (Gemeinschaftsraum, Gästewohnung, Service--‐Zentrale, gemeinschaftliche Ausstattung) wird generell sehr gut angenommen und von einem Großteil der Befragten genutzt.

...und der Wohnumgebung
Bei der Wohnumgebung werden vor allem die Luftqualität und die Kinderfreundlichkeit sehr positiv beurteilt. Auch mit der Anbindung an den öffentlichen Verkehr ist ein Großteil der Befragten zufrieden. Nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten ist mit den Einkaufsmöglichkeiten, der Freizeitinfrastruktur und der gesundheitlichen Versorgung in der Wohnumgebung zufrieden. Das Image bzw. Ansehen der Wohnumgebung wird (sehr) positiv beurteilt.

Offene Gestaltung unter Gewährleistung von Privatheit hat sich bewährt
Die offene Gestaltung der Wohnanlage bildet ein grundlegendes Element des Konzepts. Durch Einsehbarkeit, Verzicht auf (blickdichte) hohe Umfriedungen und die Schaffung eines großzügigen halböffentlichen Freiraums sollen Kommunikation, Nachbarschaft, Gemeinschaftlichkeit und gegenseitige Verantwortung gefördert werden. Dieser Anspruch scheint insbesondere durch die intensiven nachbarschaftlichen Kontakte und die hohe soziale Kontrolle erfüllt zu sein. Gleichzeitig zeigte sich im Projektverlauf, dass eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Privatheit und (Halb-)Öffentlichkeit notwendig wurde und die Gewährleistung von einem Stück Privatheit auch durch ein gewisses Ausmaß an Abgrenzung erforderlich ist. Trotzdem leisten gerade auch die halböffentlichen Bereiche, wie die Vorgärten, einen wesentlichen Beitrag zur Nachbarschafts- und Gemeinschaftsbildung.

Sehr intensive nachbarschaftliche Kontakte in der Wohnanlage
Bezogen auf die gesamte Wohnanlage herrscht die höchste Zufriedenheit mit dem nachbar--‐ schaftlichen Kontakt: Knapp 85% geben an, damit sehr (46%) bzw. eher (39%) zufrieden zu sein.

Diese hohe Zufriedenheit spiegelt sich auch in der Intensität des nachbarschaftlichen Kontakts wider: Fast 60% geben an, dass sie hin und wieder kurze Gespräche mit ihren NachbarInnen führen, ebenso viele geben an, gegenseitige Besuche und gemeinsame Aktivitäten zu unternehmen. Diese Entwicklung ist vor allem bezüglich der Einstellungen vor Bezug interessant: Sowohl bei den InteressentInnen, als auch den zukünftigen BewoherInnen spielte Nachbarschaft vor Bezug bzw. in ihrer alten Wohnumgebung eine vergleichsweise geringe Rolle.

Dies spricht für die nachbarschaftsfördernden und gemeinschaftsbildenden Elemente im Projekt durch die räumliche und strukturelle Gestaltung, aber auch durch die Veranstaltungen im Rahmen des Besiedlungsmanagements.

Subjektives Sicherheitsempfinden differenziert wahrgenommen
Fast 85% der Beteiligten beurteilen ihre Wohnumgebung tagsüber als (sehr) sicher. Nachts sind es mit 56% deutlich weniger, die sich sicher fühlen. Am geringsten sind die subjektiven Sicherheits--‐ gefühle in Bezug auf Autodiebstahl/--‐einbruch und Wohnungseinbruch ausgeprägt. Bei allen Sicherheitsaspekten zeigt sich ein, teilweise sehr ausgeprägter, Unterschied zwischen Wohnungs--‐ bewohnerInnen und HausbewohnerInnen. Letztere fühlen sich in allen Punkten deutlich unsicherer als BewohnerInnen der Wohnungen. Diese Ergebnisse werden in anderen Studien bestätigt. Auch in der Studie „Leben und Lebensqualität in Wien“ ist das Sicherheitserleben in Bezug auf Wohnungseinbruch und Autoeinbruch/-diebstahl am geringsten ausgeprägt. Zudem zeigt sich auch hier, dass sich Personen in locker bebauten Gebieten am Nordostrand am unsichersten in Bezug auf Wohnungseinbruch fühlen. Auf einen ausgeprägten Unterschied im Sicherheitsempfinden zwischen Wohnungs-und HausbewohnerInnen weist auch die Studie „Wohnsicherheit in Wien“ der WKO hin. Interessant bei den Ergebnissen der Online-Befragung in der „grünen welle“ ist, dass eine Diskrepanz zwischen dem angegebenen Sicherheitsempfinden und den getroffenen technischen Vorkehrungen in Bezug auf Einbruchsschutz besteht. Im Vergleich zu anderen (Reihen-)HausbewohnerInnen in Wien wurden in der Anlage wenig zusätzliche technische Sicherheitsmaßnahmen, wie das Anbringen einer Alarmanlage, von den BewohnerInnen getroffen.

In den qualitativen Interviews gaben alle Befragten an, dass sie sich sehr sicher fühlen würden und zusätzliche technische Maßnahmen deshalb nicht notwendig seien. Hier werden vor allem auch der nachbarschaftliche Kontakt und die soziale Kontrolle als wesentliche „Sicherheitsmaßnahmen“ angeführt.

Projektschwerpunkt „Hundefreundlichkeit“ sehr gut angenommen
Die hundefreundliche Konzeption der Wohnanlage ergab sich in erster Linie aus den Überlegungen zum Sicherheitskonzept. Die Erhöhung der Präsenz und Frequenz von Personen im halböffentlichen Raum sollte unter anderem durch den Hundeschwerpunkt gefördert werden und damit ein Beitrag zur objektiven Sicherheit und dem subjektiven Sicherheitsempfinden in der Anlage geleistet werden. Auch die Rahmenbedingungen der Siedlung, mit einem direkten Zugang zum Grüngürtel und einem sehr weiten Wegenetz, boten einen optimalen Standort für dieses Konzept.

Wesentlich dabei war die frühzeitige Kommunikation der ausdrücklichen Erwünschtheit von Hunden, damit auch Nicht-HundebesitzerInnen wussten, worauf sie sich einlassen.
Das Projektthema „Hundefreundlichkeit“ wird von einem überwiegenden Teil der Befragten sehr positiv gesehen. Ein Viertel der Befragten gibt an, einen oder mehrere Hunde zu besitzen, was verglichen mit dem restlichen Stadtgebiet eine sehr hohe Hundedichte darstellt. Über zwei Drittel der HundebesitzerInnen sind mit dem Angebot für Hunde in der Anlage zufrieden. Das Angebot der Hundezone wird sehr positiv gesehen und gut genutzt. Es stellt trotz umgebendem Grünraum eine wichtige infrastrukturelle Ergänzung dar, um Hunde frei laufen lassen zu können.

Auch von den Nicht-HundebesitzerInnen gibt ein Großteil an, Hunde gern zu mögen. Konflikte, die sich trotzdem ergeben, beziehen sich vor allem auf Verschmutzung und Beeinträchtigung durch Hundebellen. HundebesitzerInnen führen keinerlei Probleme mit Nicht--‐HundebesitzerInnen an, was darauf schließen lässt, dass das Thema Hundefreundlichkeit gut kommuniziert und im Projekt verankert worden ist.

Das Thema „Hundefreundlichkeit“ wird als besonderes Asset im Projekt gesehen, das sehr gut angenommen wird und für einige BewohnerInnen mit ein Grund war, in die Anlage einzuziehen. Auch in Bezug auf die Wohnsicherheit kann der Hundeschwerpunkt positiv bewertet werden: Mehr als ein Viertel der Befragten fühlt sich durch die Hunde in der Anlage sicherer.
Fakten
  • Projektträger
    wohnbund:consult - Büro für Stadt.Raum.Entwicklung
  • Projektteam
    Raimund Gutmann
    Margarete Huber
    Manuel Hanke
  • Laufzeit
    06-08/2015
  • Kontakt
    consult[at]wohnbund.at
  • Downloads
  • Abstract 108.26 KB
    Projektbericht 12.69 MB