Miteinander leben: Integration alternsgerechter Wohnformen im geförderten Wohnungsbau in Wien

Integration und Vernetzung sind Schlüsselworte für das zukunftsfähige Wohnen – und das nicht erst im Alter. Vor dem Hintergrund zunehmender Singularisierung – gerade auch von älteren Menschen – werden verstärkt Wohnformen nachgefragt, die – in unterschiedlichem Umfang – ihre Bewohner und Bewohnerinnen zur lebendigen Kommunikation anregen. Unterstützung in ihrer persönlichen, alltäglichen Lebensführung benötigen vor allem durch körperliche Einschränkungen oder psychische Krankheit vulnerable Personen. Da in den nächsten drei Jahrzehnten der Anteil der Hochbetagten (75 Jahre und älter) an der Wiener Bevölkerung mit 118.000 Personen (Statistik Journal Wien 1/2014) deutlich zunehmen wird, kann man davon ausgehen, dass damit auch der Bedarf an leistbaren Betreuungs- und Pflegedienstleistungen steigen wird.

Die Lebenssituationen dieser Bevölkerungsgruppe werden sehr heterogen sein. Um auf den daraus entstehenden Unterstützungsbedarf angemessen reagieren zu können, ist eine weitere Diversifizierung des Wohnangebots erforderlich, das sich nicht nur auf die Beschaffenheit der Wohnung und des Wohnumfelds konzentriert, sondern unterschiedlichste Formen der sozialen Interaktion und bei Bedarf auch der Unterstützung in der Haushaltsführung bis hin zu pflegerischer Betreuung mit einbezieht.

In den letzten Jahren ist in Wien – initiiert von verschiedenen Akteuren – sowohl im Bestand, als auch im Neubau – eine Vielzahl an Projekten entstanden, die unterschiedlichen Einkommensgruppen Alternativen zum bestehenden Wohnungsangebot bieten. Das Spektrum reicht von nachbarschaftlich orientierten Projekten, unterschiedlichsten Formen der Hausgemeinschaft, gemeinschaftsorientierten Wohngruppen bis hin zu Kooperationsprojekten zwischen Wohnbauträgern und Pflegedienstleistern. In einigen der Projekte werden auch alltagserleichternde Dienstleistungen und/oder bedarfsgerechte Unterstützung angeboten. Manche ermöglichen den Verbleib in der eigenen Wohnung (Hauskrankenpflege), während andere wie zum Beispiel Wohngemeinschaften einen Umzug aus der bisherigen Wohnung erfordern. Um die Pflege bestehender Kontakte zu erleichtern, sollte der Wohnungswechsel möglichst innerhalb der vertrauten Umgebung stattfinden. Ihre Attraktivität für BewohnerInnen und InteressentInnen liegt darin, dass sie alle die eigenständige Lebensführung unterstützen und gleichzeitig – in unterschiedlicher Weise und Verbindlichkeit – Versorgungssicherheit bieten.

Forschungsprojekt

Um Hinweise aus der Praxis für die Entwicklung zukünftiger Projekte zu erhalten wurden in dem Forschungsprojekt exemplarische Fallbeispiele analysiert und die Erfahrungen unterschiedlicher Akteure in einer Reihe von Workshops ermittelt.
Für die Analyse ist es erforderlich die, noch immer viel zu oft getrennt betrachteten Bereiche der Wohnversorgung einerseits und der sozialen und gesundheitlichen Betreuung andererseits gemeinsam zu betrachten.

„Wohnen“ kann man als eine Ein- bzw. Ausgrenzung von Tätigkeiten und Personen innerhalb eines Haushalts beschreiben. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird der städtische Haushalt durch komplementäre Institutionen der sozialen Sicherung und der technischen Infrastruktur ergänzt. Damals wurden für viele – bis dahin in den privaten Haushalt integrierte – Tätigkeiten, zu denen u.a. auch die Betreuung von Kindern oder die Pflege Kranker und Hilfsbedürftiger gehörte, Organisationsformen und bauliche Typologien, wie Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser aber auch Pflegeheime geschaffen.

Im 20. Jahrhundert führt das Konzept der sozialen Daseinsfürsorge zu einer weiteren Differenzierung der Anspruchsgruppen und damit zu sich immer stärker spezialisierenden organisatorischen Strukturen der sozialen Infrastruktur, in denen das kalendarische Alter zu einer entscheidenden Bezugsgröße wird.

Der in den 1970er Jahren begonnene Strukturwandel hat nicht nur zu neuen Organisationsformen von Arbeit, sondern auch zur Entstehung neuer Haushalts- und Lebensformen und zu Veränderungen in der Alltagskultur beigetragen. Die Reduktion struktureller Kontinuitäten im Arbeitsleben ist mit einer allgemeinen Lockerung der Formen sozialer Interaktion verbunden. Bisher gewohnte Muster und gesellschaftliche Übereinkünfte über die Art zu arbeiten und zu leben werden in Frage gestellt. Es ist immer weniger üblich, einen Beruf, einen Arbeitsgeber, einen Arbeitsort, eine Ehe und immer gleich getaktete Arbeitstage und Ladenöffnungszeiten zu haben. Zugleich verliert das kalendarische Alter als Marker in vielen Lebensbereichen an Bedeutung.

Die Grenzen zwischen den Lebensbereichen „Arbeiten“, „Wohnen“ und „Freizeit“ werden fließend. Unterschiedliche Formen des Zusammenlebens, ein zunehmendes Neben- und Miteinanderwohnen unterschiedlicher Kulturen, sowie die Singularisierung von Haushalten und steigender ökonomischer Druck auf den einzelnen Haushalt, machen kollektiv organisierte Modelle, die allen Altersgruppen räumliche und soziale Synergien ermöglichen, interessant und verändern die an das Wohnumfeld gestellten Anforderungen. Das wohnungsnahe Umfeld verwandelt sich in einen Optionsraum mit vielfältigen Angeboten für alle Generationen. Denn nicht nur von Älteren, sondern auch von Jüngeren, die auf Grund zunehmender Mehrfachbelastung in Beruf und Familie einen immer komplexer werdenden Alltag zu bewältigen haben, werden leistbare Angebote, die die Organisation des privaten Haushalts erleichtern oder die Pflege von Kontakten und Netzwerken unterstützen, zunehmend nachgefragt.

Parallel hat in den Konzepten der Unterstützung und Pflege ein Paradigmenwechsel stattgefunden.  Sie orientieren sich nicht mehr an Defiziten, sondern stellen die Förderung von Fähigkeiten und die Erweiterung von Kompetenzen in den Mittelpunkt. Die altersgerechte Infrastruktur des 20. Jahrhunderts beginnt sich im 21. Jahrhundert in ein Netzwerk alternsgerechter Unterstützung zu verwandeln, das im ganzen Stadtgebiet kleinräumig in bestehende und neu zu schaffende Siedlungsstrukturen integriert wird.

Für die weitere Bearbeitung wurden die unterschiedlichen Ansätze den drei sozial-räumlichen Kategorien – Nachbarschaft, Hausgemeinschaft und Wohngemeinschaft – zugeordnet, die sich in ihrer baulichen Struktur, in ihrem Raumangebot und in ihrer Organisationsform voneinander unterscheiden und durch eine unterschiedliche Intensität der sozialen Interaktion charakterisiert sind.

Nachbarschaft. Neue Wohnanlagen werden meist als generationengemischte Wohnquartiere konzipiert. Kommunikationsdrehscheiben & siedlungsbezogene Ansprechstellen unterstützen hier durch moderierte Prozesse die Entstehung einer lebendigen Nachbarschaft. Sie informieren niedrigschwellig über soziale Angebote im Stadtteil und Bezirk und können im Bedarfsfall auch Unterstützungsangebote vermitteln.

Hausgemeinschaft. Internationale und Wiener Beispiele zeigen, dass das Konzept der Hausgemeinschaft, sowohl in adaptierten bestehenden Gebäuden, als auch im Neubau ein breites Interesse findet. In Ergänzung zur eigenen, privaten Wohnung werden – je nach Interessenslage der Bewohner – Gemeinschaftsräume für unterschiedlichste Nutzungen, Werkstätten, aber auch Autos, Fahrräder und anderes geteilt. Manche Hausgemeinschaften verfügen auch über eine Gästewohnung, die im Bedarfsfall einer Pflegeperson zur Verfügung gestellt werden kann.

Wohngemeinschaft. In betreuten Wohngemeinschaften für ganz unterschiedliche Zielgruppen (Jugendliche, Personen mit körperlichen Einschränkungen oder psychischen Problemen, ebenso wie für ältere Menschen) ist die Moderation des Zusammenlebens ein integraler Bestandteil des Konzepts.
Die Projekte unterscheiden sich in der gewählten Organisationsform und hinsichtlich der beteiligten Akteure. In einigen Projekten sind Initiatoren, Auftraggeber, Projektkoordinatoren und unter Umständen auch BewohnerInnen ident, bei anderen Projekten hingegen verteilen sich die Rollen auf unterschiedliche Akteure. Um diesen die Möglichkeit zu geben, ihr Erfahrungswissen in zukünftige Planungsprozesse einbringen zu können, wurden gemeinsam mit Franziska Leeb drei Workshops gestaltet. BauträgerInnen, QuartiersmanagerInnen, PflegedienstleisterInnen, SoziologInnen und BewohnerInnen wurden eingeladen, um Fragen nach Möglichkeiten und Grenzen unterschiedlicher Wohnmodelle, der Erfordernis neuer Raumprogramme, dem Umgang mit Moderations- und Kommunikationsprozessen und notwendigen Veränderungen in den bau- und förderungsrechtliche Rahmenbedingungen, sowie bisher gemachte Alltagserfahrungen zu diskutieren.

Ergebnis & Conclusio

Alternsgerechtes Wohnformen sind leistbar und bedarfsgerecht und ermöglichen in einem barrierearm gestalteten Umfeld unterschiedlichste Formen sozialer Interaktion. Eine weitgehend barrierefreie Gestaltung der Wohnung, des Wohngebäudes und des Wohnumfeldes sollte ein Qualitätsmerkmal jeder Wohnung sein. Sie ermöglicht Bewohnern ihre bisherige Wohnung auch bei Eintreten einer Behinderung oder Pflegebedürftigkeit weiter nutzen zu können und trägt damit zur Verzögerung oder Verhinderung eines erzwungenen Wohnungswechsels bei und verbessert zudem die Vermietbarkeit der Wohnungen für alle Zielgruppen. Alle wichtigen Infrastruktureinrichtungen, wie Geschäfte des alltäglichen Bedarfs, aber auch ein Café oder eine Apotheke sollten leicht zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein.

Da jeder Ort, jede Siedlung ist anders, sind diversifizierende Vorgehensweisen erforderlich, die bedarfsgerecht auf die jeweilige Herausforderung reagieren und die ortsspezifischen Potentiale nutzen. Bei der Konzeption und Umsetzung sind folgende Punkte zu bedenken:

! Alternsgerechte Konzepte sind Integrierte Konzepte
Nur integrierte Konzepte können die Problematik der Querschnittsmaterie erfassen und sektoriale Aufteilung überwinden. Sozialräumliche Konzepte können sich auf der Ebene der Wohnsiedlung besonders gut entfalten und müssen die folgende Aspekte berücksichtigen:
Sie müssen themenübergreifend sein, um übergeordnete Zusammenhänge darstellen zu können.
Sie müssen ressortübergreifend sein, damit die einzelnen städtischen Fachabteilung der Bereiche Baudirektion, Stadtplanung, sowie Gesundheit & Soziales in einem kooperativen Prozess gemeinsam ein Konzept erarbeiten, das dann auch über den entsprechenden Rückhalt verfügt.
Sie müssen akteureübergreifend sein, und auch BewohnerInnen, Pflegedienstleister und nicht institutionalisierte Organisationen und Personen bei der Entwicklung und Umsetzung mit einbeziehen.
Sie müssen ressourcenübergreifend, d.h. Finanzquellen aus verschiedenen Ressorts bündeln, und u.U. neu verteilen.
Sie müssen prozessorientiert sein, um sich an ändernde Rahmenbedingungen anzupassen.
Sie müssen räumlich gegliedert sein und gebietsbezogene Aussagen und die gesamtstädtische Perspektive zusammen bringen.

! Alternsgerechte Wohnformen als „inserts“
Alternsgerechte, gemeinschaftlich orientierte Wohnformen, die kleinräumig in neue oder bestehende Wohnhausanlagen und in die bestehende Stadtstruktur als „inserts“ integriert werden, vermögen einen Beitrag zur sozialen Kohäsion der gesamten Wohnsiedlung leisten.
Inserts können sein:

Niedrigschwellige Koordinations- und Beratungsmöglichkeiten für alle Bewohner können ganz unterschiedlich organisiert sein.

Kommunikationsdrehscheiben & siedlungsbezogene Ansprechstellen. In der OASE 22 ist das von der Stadtteilarbeit der Caritas Wien betriebene Quartiersmanagement eine bauteilübergreifende Ansprechstelle für alle Bewohner in sozialen und kulturellen Fragen. Die Mitarbeiter unterstützen u.a. den Aufbau eines BewohnerInnenforums, setzen Impulse für Kulturen und Generationen übergreifende Aktivitäten und bieten Serviceleistungen für verschiedene Bewohnergruppen an. Aber auch Pflegedienstleister können diese Aufgabe übernehmen. So verantworten die Wiener Sozialdienste Alten- und Pflegedienste GmbH in der sanierten Kornhäuselvilla nicht nur die Pflege der BewohnerInnen einer betreuten Wohngemeinschaft für SeniorInnen, sondern stehen der gesamten Bewohnerschaft für Beratungen und zur Vermittlung von Dienstleistungen zur Verfügung.

Hausgemeinschaften unterstützen durch eine lebendige Kommunikation einen solidarischen Umgang der Bewohner untereinander. In einigen Projekten sind Initiatoren, Koordinatoren und BewohnerInnen ident, doch gibt es vermehrt auch Projekte in denen die Initiative von einem Bauträger oder einer Genossenschaft ausgeht. Beim Pilotprojekt „Wohnen für Fortgeschrittene“ des gemeinnützigen Bauträgers GEWOG wurde beginnend mit der Bewerbungsphase bis zur ersten Zeit nach dem Bezug der Wohnungen die sozialwissenschaftliche Begleitung und Moderation durch wohnbund:consult in Anspruch genommen. Somit konnten zuerst die zielgruppenspezifischen Anforderungen erfasst, der Gruppenbildungsprozess und die Planungspartizipation professionell begleitet und die Bewohnerinnen schließlich durch die Moderation zur Selbstorganisation ermächtigt werden. Hausgemeinschaften sollten auch in der baulichen Struktur, durch einen eigenen Baukörper oder durch ein verbindendes Stiegenhaus oder ein gemeinsam genutztes Stockwerk, als eigene Einheit innerhalb der Anlage identifizierbar sein.

(Betreute) Wohngemeinschaften bieten Angebote der Unterstützung, die auch Personen mit Schwierigkeiten bei einer eigenständigen Haushaltsführung den Verbleib im gewohnten Umfeld ermöglichen können. Sie werden oftmals nach außen nicht sichtbar, doch ist ihre Integration in die Wohnumgebung und die Vernetzung mit anderen BewohnerInnen ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts.

! Alternsgerechte Wohnformen brauchen Moderation
Gemeinschaftliches Zusammenleben ist ein Prozess, der einer Begleitung bedarf. Manchmal braucht es nur in der Anfangsphase eine Moderation, die den Gruppenbildungsprozess fördert und die BewohnerInnen dazu ermächtigt, das Zusammenleben später selbst zu organisieren. In anderen Projekten ist die kontinuierliche Begleitung Teil des Konzepts, wie z.B. in den von einem Pflegedienstleister betreuten Wohngemeinschaften. Umfang, Dauer und Kosten der Moderation sind wesentliche Elemente der Projektentwicklung und im Finanzierungskonzept entsprechend zu berücksichtigen.
Fakten