Fahrradfreundliche Wohnbauten

In Zeiten steigenden Umweltbewusstseins und steigender Treibstoffpreise gewinnen umweltfreundliche Verkehrsmittel zunehmend an Bedeutung. Untersuchungsziel war es, das Mobilitätsverhalten und insbesondere die Fahrradnutzung der Bewohnerinnen und Bewohner in fahrradfreundlichen Wohnhausanlagen zu erheben und zu analysieren. Ausgangsthese war, dass Bauträger durch fahrradfreundliche Wohnbauten einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Radverkehrs leisten können.

Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden folgende Wohnhausanlagen untersucht:

  • Bike City: fahrradfreundliche Wohnhausanlage in der Vorgartenstraße mit reduzierter Anzahl der Pkw-Pflichtstellplätze
  • Wohnen am Park: konventionelle Wohnhausanlage in der Vorgartenstraße
  • Bike & Swim: fahrradfreundliche Wohnhausanlage in der Vorgartenstraße mit reduzierter Anzahl der Pkw- Pflichtstellplätze
  • Autofreie Mustersiedlung: Wohnhausanlage zwischen der Donaufelderstraße und der Nordmanngasse, in der die Bewohnerinnen und Bewohner darauf verzichten einen eigenen Pkw zu besitzen

Die Erhebung erfolgte mittels schriftlicher Befragung aller Haushalte. Zusätzlich wurden in einem ExpertInnengespräch die Erfahrungen der Architekten und Bauträger mit den untersuchten Wohnhausanlagen diskutiert und qualitativ ausgewertet. Bei der Befragung wurden sozio-demografische Daten, die Verkehrsmittelverfügbarkeit und die zurückgelegten Wege an einem Stichtag erhoben. Darüber hinaus wurden Fragen zum Radfahren, zu den Einzugsmotiven und zur Zufriedenheit mit der Wohnqualität gestellt. Die Zufriedenheit mit der radverkehrsbezogenen Ausstattung wurde gesondert abgefragt.

Der Vergleich der verkehrsbezogenen Motive bei der Wohnungswahl zeigt die große Bedeutung der ÖV-Anbindung in allen Wohnhausanlagen. Die radverkehrsbezogenen Aspekte sind in allen Wohnhausanlagen im Mittelfeld der Motive zu finden und in den Wohnhausanlagen Bike City und Bike & Swim geringfügig wichtiger als in den beiden anderen Wohnhausanlagen. Die Pkw-bezogenen Aspekte sind in allen Wohnhausanlagen im unteren Drittel der Motive zu finden.

Deutliche Unterschiede gibt es bei der Zufriedenheit mit den Radabstellanlagen in den Wohnhausanlagen. Diese ist in den Wohnhausanlagen Bike City und Bike & Swim sehr hoch, in der Autofreien Mustersiedlung hoch und in der Wohnhausanlage Wohnen am Park niedrig. Die Zufriedenheit mit der Anbindung an das Radverkehrsnetz und mit der ÖV-Anbindung ist in der Autofreien Mustersiedlung niedriger als in den Wohnhausanlagen in der Vorgartenstraße.

In der Wohnhausanlage Bike City ist die Verfügbarkeit von Fahrrädern am größten, in der Wohnhausanlage Wohnen am Park am niedrigsten. Die Unterschiede bei der Pkw-Verfügbarkeit sind zwischen den Wohnhausanlagen in der Vorgartenstraße überraschend gering.

Die Erfüllung der Stellplatzverpflichtung von einem Pkw-Stellplatz pro Wohneinheit führt in der Wohnhausanlage Wohnen am Park zu einem Überangebot und leer stehenden Pkw-Stellplätzen. Dem gegenüber sind in den Wohnhausanlagen Bike City und Bike & Swim mehr Pkw vorhanden als Garagenstellplätze zur Verfügung stehen. Da einige Bewohnerinnen und Bewohner ihren Pkw im öffentlichen Straßenraum parken, entspricht hier das Stell-platzangebot in der Garage jedoch etwa der Nachfrage. Diese Ergebnisse werfen Fragen hinsichtlich eines angemessenen Stellplatzregulatives auf. Die Anzahl der Wege pro mobiler Person und Tag sind in allen Wohnhausanlagen ähnlich. Deutliche Unterschiede ergeben sich bei der Verkehrsmittelwahl.

Die meisten Wege pro Tag mit dem Fahrrad werden von Bewohnerinnen und Bewohnern der Autofreien Mustersiedlung zurückgelegt. In den Wohnhausanlagen Bike City, Bike & Swim und Autofreie Mustersiedlung ist der Radverkehrsanteil deutlich höher als in Wohnen am Park. In diesen drei Wohnhausanlagen wird sowohl das Ziel des Masterplans Verkehr von 8 % Radverkehrsanteil an Werktagen als auch jenes des Wiener Regierungs-übereinkommens (10 % Radverkehrsanteil) deutlich überschritten. Der ÖV-Anteil ist bei allen untersuchten Wohnhausanlagen sehr hoch.

Die Wohnhausanlagen unterscheiden sich hinsichtlich der Pkw-Verfügbarkeit wesentlich weniger voneinander als hinsichtlich der Verkehrsmittelwahl. Der MIV-Anteil ist in der Wohnhausanlage Wohnen am Park rund doppelt so hoch wie in den Wohnhausanlagen Bike City und Bike & Swim. Das ist insofern bemerkenswert, da die Pkw-Verfügbarkeit der Haushalte nur um 11 % größer ist als in der Bike City und um 30 % größer als in der Wohnhausanlage Bike & Swim. Der niedrige MIV-Anteil in den Wohnhausanlagen Bike City und Bike & Swim zeigt, dass die fahrradfreundliche Gestaltung der Wohnhausanlagen eine geringere Pkw-Nutzung trotz ähnlicher Pkw-Verfügbarkeit zur Folge hat. Die Autofreie Mustersiedlung nimmt wegen des Verzichts der Bewohnerinnen und Bewohner auf einen eigenen Pkw diesbezüglich eine Sonderstellung ein.

Die unterschiedliche Fahrradnutzung ist im Wesentlichen auf folgende Ursachen zurückzuführen:

  • Auf die positive Einstellung der Bewohnerinnen und Bewohner der fahrradfreundlichen Wohnhausanlagen gegenüber dem Fahrrad. Das Angebot für den Radverkehr wurde zumindest teilweise bereits bei der Wohnungswahl berücksichtigt.
  • Auf das Angebot, die hohe Qualität und die gute Erreichbarkeit der Radabstellanlagen. Dies zeigen unter anderem die Befragungsergebnisse in der Wohnhausanlage Bike & Swim. Hier haben ca. 15 % Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner angegeben, das Fahrrad nach dem Wohnungswechsel aufgrund der besseren Abstellmöglichkeiten öfter zu nutzen als vorher.

Aus den Erhebungen kann weiters abgeleitet werden, dass Personen, die vor dem Einzug am Radverkehr wenig interessiert waren, in der fahrradfreundlichen Wohn-hausanlage zum Radfahren animiert wurden. Neben den Fahrradabstellanlagen spielen hier möglicherweise die Präsenz des Themas "Fahrrad" in der Wohn-hausanlage und eine gewisse Vorbildwirkung durch andere Radfahrerinnen und Radfahrer eine Rolle.

Für die Verkehrsmittelwahl ist die Lage im Stadtgebiet, das Wohnumfeld und die Qualität der ÖV- und Radverkehrsanbindung ein wichtiger Aspekt. Die Kennwerte der Verkehrsmittelwahl der fahrradfreundlichen Wohnbauten in der Vorgartenstraße sind daher nicht direkt auf andere Standorte übertragbar. Bei fahrradfreundlicher Ausstattung von Wohnhausanlagen an anderen Standorten ist jedoch eine ähnliche relative Veränderung der Verkehrsmittelwahl in Richtung stärkerer Fahrradnutzung im Vergleich zu konventionellen Wohnbauten zu erwarten.

Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung bestätigen die Ausgangshypothese, dass Bauträger durch eine fahrradfreundliche Ausstattung von Wohnbauten einen wichtigen Beitrag zur Förderung des Radfahrens leisten können. Die aus der Untersuchung ableitbaren Wünsche und Anforderungen der Bewohnerinnen und Bewohner an eine fahrradfreundliche Ausstattung bestätigen bzw. präzisieren die entsprechenden Regelwerke und Leitfäden:

  • Anzahl der Fahrradstellplätze: Die Untersuchung ergibt einen Bedarf von 2,5 bis 3,0 Fahrradstellplätzen pro Haushalt. Dieser Wert entspricht etwa den aktuellen gesetzlichen Anforderungen der Wiener Bauordnung (1 Fahrrad je 30 m² Wohnnutzfläche). Zusätzlich ist der Platzbedarf für Fahrradanhänger, Scooter und andere nicht motorisierte Fahrzeuge (z. B. Dreiräder) zu berücksichtigen, da erfahrungsgemäß auch diese teilweise in Fahrradabstellräumen abgestellt werden.
  • Lage und Zugänglichkeit der Fahrradräume: Fahrradabstellräume sollten sich idealerweise im Erdgeschoß befinden und einen möglichst direkten Zugang zur Straße haben. Ein Zugang durch möglichst wenige, leichtgängige Türen mit Feststell-vorrichtung sind vielfach genannte Wünsche. Das ist insbesondere für Fahrrad-anhänger wichtig. Zusätzliche wohnungsnahe Abstellmöglichkeiten in den Ober-geschoßen werden sehr gut angenommen, wenn die Aufzüge ausreichend groß sind. Als Mindestmaße können die Abmessungen der Aufzüge in den Wohnhausanlagen Bike City (1,4 x 1,6 m) oder Bike & Swim (2,15 x 1,05 m) und eine lichte Türbreite von 1,0 m dienen.
  • Ausstattung der Fahrradräume: Empfehlenswert sind Fahrradbügel, an denen ein Abschließen des Rahmens möglich ist. Damit ist ein guter Diebstahlschutz gewähr-leistet. Von Hängeeinrichtungen ist Abstand zu nehmen. Sie entsprechen hinsichtlich Benutzungskomfort und Diebstahlschutz nicht den Anforderungen der Radfahrenden. Im Sinne der Diebstahlprävention (soziale Kontrolle) sollten die Fahrradräume vom Stiegenhaus gut einsehbar sein.
  • Fahrradstellplätze für Besucherinnen und Besucher: Fahrradstellplätze für Be-sucherinnen und Besucher sollten gut zugänglich und sichtbar in der Wohnhausanlage oder im öffentlichen Straßenraum bei den Eingängen vorgesehen werden. Auch Bewohnerinnen und Bewohner können sie bei kurzen Aufenthalten nutzen.
  • Serviceeinrichtungen, wie eine Pumpstation für Fahrräder, eine Fahrrad-reinigungsstelle und eine angemessen ausgestattete Fahrradwerkstatt erhöhen den Benutzungskomfort für die Radfahrenden.

Aus dem ExpertInnengespräch lassen sich darüber hinaus folgende Schlussfolgerungen ziehen:

  • Die Auslegung der Brandschutzbestimmungen in Wien betreffend das Abstellen von Fahrrädern sollte überdacht werden. Derzeit sind innovative Fahrradabstell-möglichkeiten, beispielsweise in Nischen neben Laubengängen wie in der Bike City, nur schwer oder nicht realisierbar.
  • Die Einhaltung der Pkw-Stellplatzverpflichtung führt teilweise zu Leerständen in Garagen. Erstrebenswert wäre es, die Kosten dafür einzusparen oder für andere Einrichtungen der Wohnhausanlagen nutzbar zu machen.
  • Weitere (Mobilitäts-)Themenwohnbauten werden einhellig als sinnvoll erachtet. Derartige "Flagship-Projekte" sind richtungsweisend im Wohnbau und erhöhen den Fokus auf bestimmte Themen. Da sich in solchen Wohnbauten Gleichgesinnte treffen, steigt die Kontaktintensität und die Gemeinschaft wird dadurch gestärkt. Eine Erweiterung der Mobilitätsaspekte um wohnstandortbezogenes Mobilitäts-management mit entsprechenden begleitenden Prozessen wird als sehr wichtig angesehen.

Hinsichtlich des Pkw-Stellplatzbedarfes und der Auswirkungen einer fahrradfreundlichen Ausstattung von Wohnbauten an unterschiedlichen Standorten im Stadtgebiet von Wien besteht weiterer Forschungsbedarf.
Fakten
  • Projektträger
    Rosinak & Partner ZT GmbH
    Herry Verkehrsanalyse - Beratung - Forschung
  • Projektteam
    Karl Mensik
    Michael Szeiler
    Markus Schuster
    Irene Steinacher
    Rupert Tomschy
  • Laufzeit
    04/2012 - 11/2012
  • Kontakt
    szeiler[at]rosinak.at
  • Downloads
  • Abstract 344.85 KB
    Projektbericht 5.16 MB