Selbstbestimmtes Wohnen für ältere Menschen

Selbstbestimmtes Wohnen

Ältere Menschen wollen selbstbestimmt leben. Und sie wollen so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden wohnen. Diesem Wunsch nach selbstbestimmtem Wohnen kann heute mit Hilfe von zahlreichen verschiedenen Planungsmodellen nachgekommen werden. Speziell im Neubau stellen die unterschiedlichen Formen, die selbstbestimmtes Wohnen ermöglichen, keine großen Probleme dar. Wichtig dafür ist lediglich, dass Barrieren in den Köpfen der PlanerInnen, Wohnungsgenossenschaften und der anderen Projektpartner ausgeräumt sind.

Alle Maßnahmen hingegen, die in bestehenden Wohngebäuden im Nachhinein getroffen werden um Barrierefreiheit, rollstuhlgerechte Wohneinheiten oder auch Wohnen mit Technik zu ermöglichen, stellen schon größere planerische Anforderungen dar und erfordern auch höhere finanzielle Investitionen.

Situation im Bestand

Wie sieht die Situation im Bestand aus? Die im großen Ausmaß anstehenden Modernisierungen der Wohnungsbestände der 1950er und 1960er Jahre stellen für die Wohnungswirtschaft eine erhebliche finanzielle und organisatorische Herausforderung dar. Auch in Österreich wird bereits fleißig saniert, und es gibt in Wien bereits Erfahrungen mit der Sanierung einzelner Großsiedlungen. Für die wirklich "kritischen" Wohnsiedlungen mit ihren komplexen Problemfeldern gilt es jedoch erst adäquate Modelle zu entwickeln. So wird sich in Wien der Anteil der älteren Menschen vor allem in den Bezirken Favoriten, Simmering, Fünfhaus, Liesing, Floridsdorf und Donaustadt drastisch erhöhen. Von dieser Entwicklung sind im verstärkten Ausmaß Wohngebiete betroffen, die in den 1960er und 1970er Jahren entstanden sind.

Schwerpunkt der Studie

Aufgrund der beschriebenen Situation konzentriert sich die Studie "Selbstbestimmtes Wohnen für ältere Menschen - Internationale Wohnmodelle als Lösungsansätze für den Wiener Raum" auf Projekte, die folgende Kriterien erfüllen:

  • errichtet ab den 1950er Jahren
  • urbane Lage in einem Randbezirk
  • sozialer Wohnungsbau bzw. Plattenbau
  • Siedlungen mit einem markanten Anteil älterer BewohnerInnen

Darüber hinaus galt es, bei den untersuchten Projekten, die verschiedenen getroffenen Maßnahmen, die selbstbestimmtes Wohnen ermöglichen sollen, näher zu untersuchen. Die Maßnahmen dabei sind:

  • Sanierung und Umbau
  • Modernisierungsmaßnahmen
  • Implementieren neuer Technologien
  • Alternative Wohnmodelle, z. B.: Wohnen von Alt und Jung, Mehrgenerationenwohnen etc.
  • private Vereine, deren Interventionen oft planerische Mängel reduzieren, z. B.: Auflösung der Ghettoisierung durch gemeinsame Aktionen.

Auswahl der internationalen Wohnmodelle

Ausgewählt und untersucht wurden folgende Projekte:

  • Wohnsiedlung Heerstraße-Nord, Berlin
  • Ernst Thälmann-Ring, Greifswald
  • Hans-Böckler-Siedlung, Offenbach-Bürgel
  • Hofje, Berlin
  • Eiselstraße, Gera
  • Cohnsches Viertel, Hennigsdorf
  • Service-Wohnhaus, Krefeld
  • Wohnüberbauung Davidsboden, Basel
  • Finnish Wellbeing Center, Sendai
  • Toimiva koti, Helsinki

Die ausgewählten Projekte lassen sich unter folgenden Gesichtspunkten zusammenfassen:

Dezentralisierung der Sozial- und Pflegedienste: Hierbei steht die Idee der Dezentralisierung der Sozial- und Pflegedienste im Vordergrund, frei nach dem Motto: Der ältere Mensch kommt nicht ins Pflegeheim, sondern die Pflegeeinrichtung kommt zum älteren Menschen.

Sanierung, Umbau: Bei einigen Projekten wurde das integrierte Konzept des nachhaltigen Sanierens exemplarisch umgesetzt. In einem Fall ging sogar eine intensive, interdisziplinäre Forschungsarbeit mit Schwerpunkt auf der soziale Dimension voraus. In einem anderen Fall machte neben dem Umbau auch ein bürgerschaftlicher Ansatz die Wohnanlage zu einem beispielhaften Wohnmodell. Es stellt sich aber auch hin und wieder die Frage, ob der Sanierungsaufwand dem Nutzen angemessen ist.

Wohnen mit Technik: Auch smarte Technologien wurden in dem einen oder anderen Projekt eingesetzt. Es kann allerdings geschehen, dass Mieter nicht wegen der smarten technischen Ausrüstung einziehen, sondern wegen der Attraktivität des Gebäudes, der behindertengerechten Ausstattung sowie den großzügig angelegten Wohnungen.

Vermittlung durch Vereine: Oftmals müssen auch in gelungenen aufgewerteten Gebieten Vereine (wie z.B. die grauen Panther) vermittelnd auftreten, sodass ältere Bewohner am gemeinschaftlichen Leben partizipieren können.

Städtebauliche Modelle: Pflegeeinrichtungen können auch eine zentrale Rolle innerhalb eines gesamten Stadtviertels einnehmen und als Kommunikationsplattform dienen. Zudem ist es möglich, private Häuser an das Pflegezentrum mit Hilfe von "Assistive Technologies" zu koppeln.

Service Einrichtungen: In einer umgebauten Wohnung, die als Beratungszentrum dient, wird mit handelsüblichen Produkten eine behindertengerechte Ausstattung veranschaulicht. Hier können sich Privatpersonen, die ihre Wohnung barrierefrei gestalten möchten, über die Produkte am Markt informieren und diese auch ausprobieren.

Zusammenfassung der Projekte

Selbstbestimmtes Wohnen im Bestand ist ein neuer Ansatz. International gesehen hat sich noch keine einheitliche Linie in Fragen der altersgerechten Adaptierbarkeit von bestehendem Wohnraum herauskristallisiert. Die unterschiedlichen Lösungsansätze reichen von der Intervention im städtebaulichen Bereich über die Adaptierung einzelner mehrgeschossiger Gebäude bis hin zu Low-Intervention-Projekten, in denen das Thema des selbstbestimmten Wohnens aufbereitet wird.

Der Ort selbst mit seinen Gegebenheiten, Eigenheiten und Problemstellungen entscheidet über den Lösungsansatz für das selbstbestimmte Wohnen. Vereinfachte Standardmodelle lassen sich - wenn überhaupt - erst dann identifizieren, wenn in Europa für ähnliche Problemstellungen mehrere Lösungsansätze gefunden wurden.

Zusammenfassend muss auch konstatiert werden, dass unterstützende Technologien erst spärlich eingesetzt werden. Das hat mit der mangelnden Vertrautheit der älteren Generation mit der Technik zu tun, doch konnte auch der reale Nutzen derartiger Technologien den Anwender noch nicht wirklich vermittelt werden. Trotzdem werden, unter der Annahme, dass die Mobilität in den nächsten Jahren generell steigen wird, nur solche Wohnungen konkurrenzfähig sein, die ein gewisses "Mehr" (ein "Mehr" an Lage, ein "Mehr" an Ausstattung etc.) aufweisen. Und die Technologieunterstützung bietet ein derartiges "Mehr".

Sozio-kultureller Aspekt

Bei den Projekten mit sozio-kulturellem Hintergrund (z. B.: Wohnen mit Alt und Jung etc.) müssen sich erst Erfahrungswerte herauskristallisieren, welche Bedingungen notwendig sind, um zum Erfolg zu führen. Viele der Projekte wurden mit viel Engagement begonnen, sind aber dann aus den unterschiedlichsten Gründen gescheitert. Als gescheitert muss auch die Tendenz angesehen werden, Alten- und Pflegeheime auf die "grüne Wiese" zu stellen: ältere Menschen wollen dort leben, wo das Leben ist. Und das Leben spielt sich an zentralen Punkten ab.

Eine derartige Entwicklung geht aber gleichzeitig mit einer Dezentralisierung der Service- und Pflegedienste einher. Nicht die Menschen werden um die Pflegeeinrichtungen angesiedelt, sondern die Servicedienste kommen zu den älteren Mitbürgern. Um der damit einhergehenden Kostenschere entgegenzuwirken, werden sich vermehrt kleine ehrenamtliche Gruppen bilden, die Zeit für gemeinnützige Arbeit investieren.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass neben den baulichen Aspekten die sozio-kulturellen von größter Bedeutung sind, um älteren Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Deswegen kann eine erfolgreiche Aufwertung einer Wohnanlage nur als Kombination von baulichen und sozio-kulturellen Interventionen gesehen werden.

Maßnahmen für Wien

Die Ergebnisse dieser Studie sind nur bedingt auf Wien übertragbar. Eine Problemanalyse auf Mikroebene wäre vonnöten, um eine maßgeschneiderte Lösung für Wiener Örtlichkeiten zu erarbeiten.

Pilotprojekt

Es wird daher vorgeschlagen, eine Bestandsanalyse in einer konkreten Problemzone (z. B.: eine der Großsiedlungen) durchzuführen, um den Ist-Stand darzustellen. Dabei sind nicht nur die baulichen Gegebenheiten, Infrastruktur, Dienstleistungen etc. zu untersuchen, sondern auch sozio-kulturelle Aspekte (z. B.: Kommunikation, soziale Komponenten, Atmosphärisches und Alltägliches, Vorstellungen der BewohnerInnen etc.).

Mit den Ergebnissen dieser Bestandsanalyse ließe sich ein Konzept erarbeiten, das neben den Sanierungsmaßnahmen, dem möglichen Einsatz von unterstützenden Technologien, gezielten Interventionen der Infra- und Dienstleistungsstruktur auch die Hebung der sozio-kulturellen Begegnungsqualität zum Ziel hat.

Kompetenzzentrum Wohnen

Auch in Wien könnte das finnische Projekt eines Toimiva koti (Kompetenzzentrums) mit wenig finanziellem Aufwand realisiert werden, um das Thema des selbstbestimmten Wohnens zu propagieren. Das "Wohnservice Wien" beispielsweise könnte mit solch einer Einrichtung zu einem Komplett-Dienstleister in Wohnungsfragen avancieren.
Fakten
  • Projektträger
    ARGE Kanzian Merzedern
  • Projektleitung/Bearbeiter
    Barbara Kanzian
    Werner Merzeder
  • Laufzeit
    Juni bis Dezember 2004
  • Kontakt
    b.kanzian[at]chello.at
  • Downloads
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