Demographische Alterung und bauliche Strukturen in Wien

Ziel der Studie "Demographische Alterung und bauliche Strukturen in Wien" war es, insbesondere in Zeiten knapp bemessener Mittel, zu einem zielgerichteten Handeln beizutragen, indem die städtebaulichen und baulichen Bedingungen im Wohnumfeld präzisiert werden, die unterstützungsbedürftigen, älteren Menschen ein selbstbestimmtes Wohnen ermöglichen, und für Wien jene Wohngebiete zu ermitteln, in denen in den nächsten Jahren mit einem Anstieg der Altersgruppe 75+ an der Bevölkerung zu rechnen ist.

Die vorliegende Studie gibt daher zunächst eine Übersicht über die demographische Alterung Wiens, dokumentiert das in Wien bereits bestehende Serviceangebot für ältere Menschen, ermittelt die vom Prozess der demographischen Alterung besonders betroffenen Gebiete und beschreibt deren Bebauungsstrukturen. Im zweiten Teil der Studie werden die Charakteristika der Wohnsituation im Alter und die daraus resultierenden räumlichen und baulichen Anforderungen an das Wohnquartier darstellt.

Kurzfassung

Demographische Alterung in Wien: Die demographische Entwicklung der Bevölkerung verläuft unter regionalen Gesichtpunkten nicht gleichmäßig. Unterschiede lassen sich nicht nur zwischen den einzelnen Bundesländern, sondern auch innerhalb einer Stadt wie z.B. Wien feststellen.

In der Studie "Demographische Alterung und bauliche Strukturen in Wien" wurde auf Basis der von der MA 18 herausgegebenen Studie "Bevölkerungsvorausschätzung 2000 bis 2030 nach Teilgebieten der Wiener Stadtregion" untersucht, welche unterschiedlichen Entwicklungen in den einzelnen Gemeindebezirken erfolgen. Bis zum Jahr 2030 wird sich der Bevölkerungsanteil der Altersgruppe 75+ vor allem in den Bezirken Favoriten, Simmering, Fünfhaus, Liesing, Floridsdorf und Donaustadt stark erhöhen. In den übrigen Bezirken ist ein geringerer Anstieg zu verzeichnen und in den drei Bezirken Innere Stadt, Hietzing und Wieden wird der Anteil dieser Altersgruppe an der Gesamtbevölkerung des Bezirks sogar abnehmen.

Die Studie der MA 18 lieferte auch auf einer kleinräumigen Ebene für die Prognosedistrikte das erforderliche Datenmaterial, mit Hilfe dessen in der vorliegenden Untersuchung nachgewiesen werden konnte, dass nicht nur auf der Ebene der Gemeindebezirke, sondern es auch innerhalb der Bezirke unterschiedliche Entwicklungen in der Altersstruktur der Bevölkerung vorliegen.
Einrichtungen zur Unterstützung älterer Menschen in Wien: In Wien besteht bereits ein differenziertes Serviceangebot an stationären Einrichtungen und Einrichtungen der sozialen und gesundheitlichen Infrastruktur für ältere Menschen. Während sich die stationären Einrichtungen der Pflegeheime in den westlichen Außenbezirken konzentrieren, sind die Wiener Pensionistenwohnheime über das ganze Stadtgebiet verteilt. In Ergänzung sind in den letzten Jahren in Wien verstärkt auch teilstationäre Einrichtungen errichtet worden. Auch wenn sich das Angebot an Serviceleistungen insgesamt vergrößert hat, ist eine Erweiterung des Angebots an kleinräumig organisierten Einrichtungen (vgl. dazu auch räumliche und bauliche Anforderungen an das Wohnquartier) für eine am Bedarf eines Wohnquartiers orientierte Planung unbedingt erforderlich.

Keine oder kaum stationäre Einrichtungen für ältere Menschen sind jedoch in sieben Wiener Prognosedistrikten vorhanden, in denen im Jahr 2030 mehr als 2.000 Personen der Altersgruppe 75+ leben werden. In diesen Distrikten wurden die baulichen Strukturen untersucht.

Bauliche Strukturen ausgewählter Prognosedistrikte: Bei der Untersuchung der Bebauungsstrukturen der sieben Wiener Prognosedistrikte zeigte sich, dass es sich vor allem um Wohngebiete handelt, die innerhalb eines Zeitraumes weniger Jahre bezogen wurden und deren Bewohner nun gemeinsam altern. Dies trifft in einem verstärkten Ausmaß auf die in den Sechziger- und Siebzigerjahren in Wien errichteten Großsiedlungen zu, zu denen u.a. die Großfeldsiedlung und der Rennbahnweg gehören. Diese Siedlungen wurden zunächst von der Gemeinde Wien, später auch von Genossenschaften, in Montagebauweise errichtet. Zunächst wurden die Baukörper in Zeilenbauweise, meist parallel zueinander, aufgestellt, später entstanden dann auch gestaffelte oder terrassierte Anlagen und große Höfe wie beim Rennbahnweg.

Charakteristisch für die in den Siebzigerjahren in Wien, aber auch in anderen Städten entstandenen Großsiedlungen ist ihre Orientierung an einem auf die Kleinfamilie konzentrierten Leitbild. So wurden bei der Erstbesiedlung durch junge Familien sowohl die Einrichtungen der sozialen und gesundheitlichen Infrastruktur als auch die Außenraumgestaltung an den Bedürfnissen von Familien mit Kindern orientiert.

Handlungsbedarf besteht daher nun vor allem im Bereich der Gestaltung des Außenraums, da die großzügigen Grün- und Freiflächen wenig ansprechend gestaltet sind und die wenigen, oft unzureichenden Nutzungsangebote sich vorrangig an den Bedürfnissen von Kindern orientierten. Auch wenn viele der Gebäude bereits mit einem Lift ausgestattet sind, entsprechen sie in vielen Punkten, z.B. im Bereich des Hauseingangs, nicht den Kriterien des barrierefreien Bauens. Auch im Bereich der individuellen Wohnung sind Maßnahmen zur baulichen Adaption, vor allem im Sanitärbereich, erforderlich. Das Angebot der kommerziellen, sozialen und gesundheitlichen Infrastruktur entspricht ebenfalls häufig nicht den Bedürfnissen älterer Menschen und muss daher nach eingehender Standortanalyse dem Bedarf der jeweiligen Siedlung entsprechend ergänzt und erweitert werden.

Diese Entwicklung wird die Wohnungswirtschaft vor neue Herausforderungen stellen. Große Synergieeffekte können erzielt werden, wenn bei der Instandsetzung und Modernisierung des Gebäudebestands gleichzeitig Anpassungsmaßnahmen an die Bedürfnisse älterer Menschen (vgl. dazu auch räumliche und bauliche Anforderungen an das Wohnquartier) vorgenommen werden.

Wohnen im Alter: Bei der Gestaltung einer bedarfsgerechten Wohnsituation für ältere Menschen ist zum einen auf die Versorgungssicherheit, die Förderung der sozialen Kontakte und die Integration in die soziale Umwelt, sowie zum anderen auf eine die Selbständigkeit fördernde räumliche Gestaltung von Wohnung und Wohnumfeld zu achten.

In den letzten Jahrzehnten sind neue Wohnmodelle für ältere Menschen entstanden, die in unterschiedlichen Abstufungen Betreuung und Gemeinschaftsmöglichkeiten anbieten, jedoch einen Umzug erforderlich machen.

Auf das Wohnquartier bezogene Ansätze zur Versorgung, die eine Vielfalt von Angeboten in einem möglichst kleinräumigen Kontext anbieten, sind daher eine zukunftsweisende Alternative. Denn kleinräumige Einrichtungen unterstützen die Selbsthilfepotentiale älterer Menschen und vermitteln Sicherheit und Lebensqualität durch eine bedarfsgerechte Unterstützung. Integrative Planungsmethoden verbinden Maßnahmen zur Errichtung bzw. Erweiterung der bestehenden gesundheitlichen und sozialen Infrastruktur mit Maßnahmen zur barrierefreien Gestaltung der Wohnung und des Wohnumfeldes. Um diesen unterschiedlichen Anforderungen gerecht zu werden, wurden die Planungsempfehlungen systematisiert und räumlichen Ebenen zugeordnet.

Räumliche und bauliche Anforderungen an das Wohnquartier: Die aus der Literatur ermittelten Planungsempfehlungen wurden Strukturelementen zugeordnet, die die Selbstbestimmung fördern. Die Strukturelemente (z.B. Gestaltung der Sanitärräume, Gebäudeerschließung, Elemente der Außenraumgestaltung und Einrichtungen der sozialen und gesundheitlichen Infrastruktur) wurden den vier räumlichen Ebenen individuelle Wohnung, Mikroebene, Mesoebene und Makroebene zugeordnet.

Für eine erfolgreiche Bedarfsplanung ist die Berücksichtigung regionaler Faktoren, wie z.B. vorhandene Unterstützungsangebote, Wohnverhältnisse und soziale Strukturen, des jeweiligen Quartiers oder der Wohnsiedlung von wesentlicher Bedeutung. Dies ist ein sehr anspruchsvoller Ansatz, da Quartierskonzepte eine hohe Interdisziplinarität und eine große Koordinations- und Kooperationsfähigkeit der Akteure verlangen.

Ergebnis: Wohnungsquartierbezogene Unterstützung als ein Modell der integrierten Stadtteilentwicklung in Wien?

Im Rahmen eines Pilotprojekts könnte die Umsetzung eines auf das Wohnquartier bezogenen Ansatzes in die bauliche, soziale und gesellschaftliche Praxis übersetzt werden. Mit Hilfe einer gezielten Projektarbeit für einen Standort können in einem überschaubaren Zeitraum konkrete Ergebnisse erzielt werden, die dann für die weiteren in der Studie ermittelten Standorte entsprechend adaptiert werden können.

In Wien existieren dafür gute Voraussetzungen, da im Bereich der Versorgung bereits ein differenziertes System zur Verfügung steht, das weiter ausgebaut werden soll. Weiters blickt die Stadt Wien nicht nur auf eine lange Tradition im sozialen Wohnungsbau, der lange Zeit kommunaler Wohnungsbau war, zurück, sondern hat auch internationale Reputation in der Anpassung dieses Wohnungsbaus an zeitgemäße Bedürfnisse in Form der sanften Stadterneuerung erworben. Diese Erfahrungen und Konzepte könnten zur Lösung der anstehenden Herausforderungen verwendet werden und zur Umsetzung des vorgeschlagenen Pilotprojekts "Wohnquartiersbezogene Unterstützung als ein Modell der integrierten Stadtentwicklung" beitragen.
Fakten
  • Projektträger
    Architektur Feuerstein
  • Projektleitung/Bearbeiter
    Christiane Feuerstein
  • Laufzeit
    Juli bis Dezember 2004
  • Kontakt
    architect[at]christianefeuerstein.at
  • Downloads
  • Abstract 261.37 KB
    Projektbericht 69.81 MB