Senioren Single Haushalte in Wien
Wieder alleine wohnen - schrumpfende Haushalte im späten Lebensalter

Vor dem Hintergrund, dass Wohnungs- und Sozialpolitik fast überall in den mitteleuropäischen Städten bestrebt sind, den Seniorinnen und Senioren möglichst lange ein Leben in ihren eigenen Wohnungen zu ermöglichen, bekommen die mit der Zunahme der Senioren-Single-Haushalte verbundenen Adaptierungsaufgaben eine wachsende Dringlichkeit. Die notwendige Anpassung an die unübersehbare demographische Veränderung betrifft nicht nur die Wohnformen, die Ausstattungsqualität der Wohnungsbestände, die Wohnnutzungsrechte, die infra-strukturelle Ausstattung des Wohnumfelds, sondern auch das komplexe System der (extramuralen) Betreuung der älteren Stadtbewohnerinnen und -bewohner.

Die vorliegende Studie versucht darzustellen, in welchen Haushaltsstrukturen und in welchen Wohnungen die Seniorinnen und Senioren zur Zeit in Wien leben und welche konkreten Wohnprobleme und -verbesserungsvorschläge von ihnen benannt werden. Die Beschreibung und Analyse basieren auf Auswertungen statistischen Datenmaterials (Statistik Austria; Berichtssystem Wohnen (Neue Reihe); Großbefragungen i.A. der Stadt Wien 2003 und 2008 (Sozialwissenschaftliche Grundlagenstudie für Wien) und eigener empirischen Erhebungen (20 face-to-face-Intensivinterviews mit Seni-orinnen und Senioren).

Bevölkerungs- und Haushaltsstruktur 2008

Im Jahre 2008 wird für die Bundeshauptstadt Wien ein Bevölkerungsstand von 1,680 Millionen ausgewiesen (Quelle: Bevölkerungsstand Jahresdurchschnitt 2008: 1.680.170; Statistik Austria, erstellt am: 27.05.2009 lt. Mikrozensus 2008 der Statistik Austria: 1.653.000). Die 50- und mehr Jährigen stellen davon rund 578.000 Men-schen, was einem Bevölkerungsanteil von über einem Drittel entspricht; die 65- und mehr Jährigen machen zusammen 48 % (278.000) dieser Seniorinnen und Senioren aus. Der Frauenanteil ist mit knapp 57 % (327.000) deutlich größer als jener der Männer. Insgesamt leben 36 % der Wiener Seniorinnen und Senioren alleine, also in Senioren-Single-Haushalten. Die unter 50jährigen hingegen bilden nur zu 21 % Ein-Personen-Haushalte.

"Die Alten von heute sind nicht mehr jene Alten von früher", so oder ähnlich lauten Aussagen in zahlreichen Journalen, Aufsätzen und auch in wissenschaftlichen Beiträ-gen. Auch im fortgeschrittenen Lebensalter waren und sind Menschen sehr unter-schiedlich. Einteilungen in Alterstufen haben demgegenüber eine vereinheitlichende Wirkung, die aber keineswegs beabsichtigt ist, sondern nur pragmatischen Überlegungen folgt und die ältere Bevölkerung in drei Altersklassen gliedert:

  • Jungseniorin, Jungsenior: 50- bis 64jährige
  • Betagte Seniorin, Senior: 65- bis 79jährige
  • Hochbetagte Seniorin, Senior: 80jährige und ältere

Analog zur dieser Altersklassifizierung werden auch die Haushalte differenziert, in denen Seniorinnen und Senioren leben. Ein Seniorenhaushalt ist dadurch definiert, daß zumindest ein Senior oder eine Seniorin in diesem Haushalt lebt. Je nach der Kombination der Haushaltsmitglieder entstehen reine oder gemischte Seniorenhaushalte. Die reinen Seniorenhaushalte bestehen ausschließlich aus Personen, die 50 Jahre oder älter sind; in gemischten Seniorenhaushalten leben mindestens ein Senior oder eine Seniorin mit mindestens einer unter 50jährigen Person gemeinsam.Die rund 1,6 Millionen Einwohner leben (lt. Mikrozensus 2008) in rund 831.300 Privat-haushalten, wovon die Hälfte Senioren-Haushalte sind; von diesen sind rund 202.600 Senioren Single Haushalte, was einem Anteil von 49 % aller Wiener Senioren-Haushalte entspricht. Die anderen Senioren und Seniorinnen (360.500) leben in 210.200 Mehr-Personen-Haushalten, von denen etwas mehr als die Hälfte (109.800) reine Seniorenhaushalte sind, die also ausschließlich aus mindestens 50jährigen Haushaltsmitgliedern bestehen.

Die Wohnungen der Seniorinnen und Senioren

Unter Verwendung der "Sozialwissenschaftlichen Grundlagenstudie für Wien 2008", deren Stichprobenverteilung entsprechend der Bevölkerungsstatistik und der Haus-haltsstatistik 2008 gewichtet wurde, lassen sich einige wichtige Eckdaten und Dimensionen zur Wohnsituation der Seniorinnen und Senioren abbilden:

Seniorinnen und Senioren wohnen im allgemeinen in etwas größeren Wohnungen als die jüngere Bevölkerung. Eine auffallende Einschränkung ist dabei anzumerken: Die gemischten Senioren-Haushalte - vor allem sind es wohl die Mehr-Generationen-Haushalte - wohnen zur Hälfte in den größten Wohnungen.

Jene Haushalte, die in dieser Studie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen, näm-lich die Senioren-Single-Haushalte, wohnen im allgemeinen in größeren Wohnungen als die jüngeren Singles. Dies wird insbesondere bei den 90 und mehr m² großen Wohnungen erkennbar: Zwischen einem Fünftel (Jungsenioren)und einem Viertel (Hochbetagte) der alleine lebenden Seniorinnen und Senioren wohnt in Wohnungen dieser Größenklasse. Bei den unter 50jährigen Singles sind es nur 10 %. Auch bei der darunter liegenden Wohnungsgrößenklasse (60 bis unter 90 m²) sind die Jungsenioren- und die Betagten-Singles häufiger anzutreffen als die Nicht-Senioren-Singles. Während ein Viertel von diesen in Kleinwohnungen unter 45 m² wohnt, sind die entsprechenden Anteile bei den Senioren-Singles im Durschnitt nicht einmal halb so groß.

Die Wohnungen der Senioren-ein-Personen-Haushalte sind nicht nur flächenmäßig meistens größer, sie haben auch mehr Wohnräume: 25 % der von Hochbetagten-Singles bewohnten Wohnungen haben vier oder mehr Zimmer; bei den alleine lebenden Jungsenioren und Jungseniorinnen liegt der entsprechende Anteil mit 18 % noch doppelt so hoch wie bei den jüngeren Singles. In Ein-Raum-Wohnungen wohnt nur jeweils ein sehr kleiner Teil von Senioren-Singles (zwischen 5 und 11 %). Bei den Nicht-Senioren ist der Anteil mehr als doppelt so hoch (18 %).

Im Vergleich zu den Nicht-Seniorinnen wohnen die Älteren anteilsmäßig häufiger in Eigentumswohnungen und auch häufiger in Gemeindewohnungen.

Die Seniorenhaushalte verteilen sich über das gesamte Stadtgebiet, allerdings mit leichten Abweichungen gegenüber der gesamten Haushaltsmenge und den Haushalten der Nicht-Senioren.

Von den Senioren-Haushalten wohnt rund jeder fünfte (19 %) in einem Gründerzeitgebiet mit guter Wohnqualität; von den Nicht-Senioren-Haushalten ist es fast jeder vierte (23 %). Von den Jungsenioren- und den Betagten-Haushalten wohnen jeweils 12 % in großen Wohnhausanlagen, die nach 1960 errichtet wurden; hingegen wohnen nur 7 % der jüngeren (Nicht-Senioren-) Haushalte in diesen Stadtgebieten.

Wohnzufriedenheit der Seniorinnen und Senioren

Um herauszufinden, bei welchen Punkten ihrer Wohnsituation die ältere Wohnbevölkerung, insbesondere aber die Senioren-Single-Haushalte Probleme haben und wo sie sich Verbesserungen wünschen, wurde nach dem Maß der Zufriedenheit mit einigen wichtigen Wohnaspekten gefragt. Dabei wurden nicht nur die Wohnung einer Bewertung unterzogen, sondern auch das Wohnhaus und die unmittelbare Wohnumgebung.

Die "generelle" Zufriedenheit mit der Wohnung korreliert positiv mit dem Lebensalter: je älter um so zufriedener. Dies trifft fast auf alle Wohnaspekte zu. Klare Unzufriedenheitsbekundungen sind in allen Altersstufen verschwindend gering.

Die Zufriedenheit sinkt deutlich, wenn es um die Ruhelage der Wohnung geht. Die "Sehr-zufrieden-Werte" sinken bei allen Single-Senioren unter 40 %. Das Bedürfnis nach Ruhe, bzw. die Empfindlichkeit gegenüber störenden Lärmquellen, nehmen be-kanntlich im Alter zu.

Die Grünflächen in der Wohnumgebung werden wesentlich besser als die unmittel-bar wohnungsbezogenen Freiflächen bewertet. Markant schlechter fällt hingegen die Bewertung der Sitzgelegenheiten im Wohngebiet aus. Der Mangel ist vor allem für die ältesten Singles ein großes Problem. Der Begrünung des Innenhofes (beim eigenen Wohnhaus) wird nicht mehr ein so hoher Stellenwert beigemessen; im Vergleich mit den übrigen Wünschen zu Qualitätsverbesserungen im Wohngebiet befindet sich dieses Anliegen dennoch im oberen Bereich der Wunschliste.

Zur Frage (und Annahme), ob ältere Menschen sich deutlicher als jüngere mehr Si-cherheit für die zu Fuß Gehenden im öffentlichen Raum wünschen würden, liefern die Umfrageresultate kein einheitliches Bild. Wohnstraßen und Tempo-30-Zonen werden von Jungseniorinnen und Jungsenioren deutlich häufiger als Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität im Viertel gesehen als von den betagten und den hochbetagten Seniorinnen und Senioren. Gleich, und zwar in relativ hohem Maße, wichtig für jüngere und ältere Stadtbewohnerinnen und -bewohner ist die Sauberkeit der Gehsteige. Jeder bzw. jede vierte Wienerin fordert eine bessere Gehsteigreinigung und sieht darin einen wichtigen Aspekt der Lebensqualität im Wohngebiet.

Bei der infrastrukturellen Ausstattung des Wohngebiets spielen zwei Aspekte eine besondere Rolle: Zu den von vielen älteren Einwohnerinnen und Einwohnern realisierten Veränderungen der letzten Jahre gehört das "Sterben der kleinen Geschäfte". Dies zeigt sich z.B. an der deutlich bekundeten Wichtigkeit eines Postamtes und (kleinerer) Lebensmittelgeschäfte, die für die Älteren ein besonderes Qualitätsmerkmal des Wohnviertels darstellen. Überraschend gering fallen die Wünsche nach einer Apotheke oder einer praktischen Ärztin im Wohnviertel aus. Ein relativ hoher Grad an Verbesserung der Lebensqualität in der Wohnumgebung wird der Existenz eines Polizei-Wachzimmers von den Seniorinnen und Senioren, hier auch besonders von den hochbetagten, zugemessen.

Viele Verbesserungsvorschläge zur Erleichterung des Alltags im Wohnhaus ergeben sich zwingend aus Kritiken oder negativen Bewertungen einzelner Teile und Bereiche im Wohnhaus und in der Wohnung selbst. Die wichtigsten seien hier schlagwortartig zusammengefasst:

  • Anpassung der Phasenlänge in der Stiegenhausbeleuchtung an die langsamere Bewegungsgeschwindigkeit älter Menschen
  • Treppenkanten rutschsicher und sichtbarer machen
  • Aufzugstüren verbreitern und rollstuhltauglich adaptieren
  • Unterbrechungen in den Handläufen im Stiegenhaus schließen und durchgängige Führung herstellen
  • Funktionstüchtigkeit der Gegensprechanlagen und Türöffner verbessern
  • Müllcontainer - Standplätze (im Freien oder im Müllraum) hygienischer gestalten, Reinigungsdienste verbessern
  • WC-Türen verbreitern auf Rollstuhlbreite, Einbau von Haltegriffen, erhöhten Klomu-scheln
  • Einbau von Haltegriffen, Duschtassen oder Sitzwannen im Badezimmer
  • Bei Außenfenstersanierungen Verriegelungsgriffe erreichbar und leicht bedienbar machen, besonders für Oberlichtfenster (vor allem in Gründerzeitbauten)
  • Balkone wetterfest verkleiden

Wohnhilfen und Wohnalternativen

Das Schrumpfen zum Single-Haushalt ins fortgeschrittene, also Seniorenalter, ge-schieht oft fließend. Später, im Seniorenalter selbst, erst recht in der Altersstufe der betagten Seniorinnen und Senioren wird der Übergang zum Ein-Personen-Haushalt jedoch meist durch ein plötzlich eintretendes Ereignis - Scheidung, Trennung, Tod des oder der Partnerin - erlebt.

Mit diesem "Wieder-alleine-Wohnen" beginnt fast immer eine Phase, die selbst auch durch unterschiedlich tiefgreifende Veränderungen der Alltagsgestaltung charakterisiert ist, oft bedingt durch abnehmende Alltagskompetenz. Das Angewiesensein auf Wohnhilfen und Betreuungsdienste - verschiedenster Art und Trägerschaft - wächst. Dem Eingebundensein in das soziale Gefüge der Nachbarschaft kommt hierbei vielleicht eine wichtige Funktion zu.

Fast drei Viertel aller alleine wohnenden Wienerinnen und Wiener haben in ihrer unmit-telbaren Nachbarschaft - also in Gehdistanz - Verwandte oder Bekannte, an die sie sich im Notfall um eine Gefälligkeit oder Hilfe wenden können. Wie weit sich diese Notfallshilfsleistungen zu regelmäßigen Unterstützungen entwickeln, kann natürlich nicht vorausgesagt werden. Aber als Ansatzpunkt wäre dieses Integriertsein durchaus denkbar. Andererseits sollte die Gehdistanz angesichts der innerstädtischen Mobilitätsmöglichkeiten nicht überbewertet werden. Der Begriff der Nachbarschaftshilfe hat längst den alten, räumlichen Bezug - "im selben Haus, Wohnblock oder Grätzl" - verloren. Notfallshilfeleistungen sind von Freunden, Verwandten oder Bekannten schnell auch von viel größeren Entfernungen her machbar.

Rund die Hälfte der Gesprächspartner bei den Intensivinterviews gab an, dass sie derzeit gar keine regelmäßigen Wohnhilfsdienste in Anspruch nehmen - weder von Ver-wandten oder Freunden noch von professionellen Anbietern. Die andere Hälfte sprach von regelmäßigen Haushaltshilfen - meist von Freunden und Verwandten. Im Falle von Reinigungsarbeiten (Wohnung, Fenster) werden jedoch vorrangig professionelle Dienstleister beauftragt.

Eine wichtige Rolle im Segment der Wohnhilfen spielt der Fonds Soziales Wien. Eine der Voraussetzungen ist jedoch die Kenntnis dieser Einrichtungen bei der Zielgruppe in der Bevölkerung: Abgesehen vom Besuchsdienst sind unter den Single-Seniorinnen und Senioren die Informations- und Beratungseinrichtungen sowie angebotenen Dienste relativ gut bekannt, jedenfalls signifikant besser als unter den jüngeren Singles. Bei letzteren erzielt lediglich "Essen auf Rädern" einen Bekanntheitsgrad (74 %) auf dem Niveau der Senioren (zwischen 73 und 85 %).

Zur Unterstützung des Wohnalltags kommen Haushaltshilfen (Kochen, Einkäufe) sei-tens Verwandter oder Freundinnen am ehesten in Frage, kombiniert mit zuzukaufenden Putzdiensten. Essen auf Rädern, Heimhilfe und eventuell medizinische mobile Dienste werden vorausschauend ebenfalls in Betracht gezogen.

Ausblicke auf eine imaginäre Zukunft in einer anderen Wohnsituation stoßen auf sichtlich größere Hemmungen als die Vorstellung, irgendwann Wohn- bzw. Alltagshilfen benötigen zu müssen. Die Aufgabe der gegenwärtig bewohnten Wohnung impliziert bei fast allen das Fantasieren einer Zwangssituation; sehr viele können sich Wegziehgründe gar nicht vorstellen. Für die meisten wären aber Krankheit und Mobilitätsverlust Anlässe für einen Wohnungswechsel. Wohin dieser zu vollziehen wäre, bleibt weitestgehend offen: zu den Kindern, in ein Appartement in einem Gemeinschaftshaus oder einer Senioren-Wohngemeinschaft bis hin zu Senioren- bzw. Pensionisten-Wohnhäusern oder Pflegeheimen. Die insgesamt äußerst geringe Wohnungswechselabsicht der Single-Seniorinnen zeigt, dass die Anpassung der gegenwärtigen Wohnsituation an die sich ändernde Alltagskompetenz der älteren Menschen vorrangig ist.
Fakten
  • Projektträger
    SRZ Stadt+Regionalforschung GmbH Wien
  • Projektleitung/Bearbeiter
    Peter Moser
    Gerhart Bständig
  • Laufzeit
    Mai bis Dezember 2009
  • Kontakt
    pemo[at]srz-gmbh.com
  • Downloads
  • Abstract 46.6 KB
    Projektbericht 761.64 KB