Qualitative decision criteria for living in an urban area (German only)

Unsere Umwelt ist künstliche Natur: die Stadt. Bei allen stresserzeugenden Nachteilen bietet sie uns alle Vorteile. Ausbildung und Bildung, Kommunikation und Wissen, Arbeit und Geld, Unterhaltung und soziales Umfeld. Und unzweifelhaft sind der Wohnbau und im Besonderen der soziale Wohnbau ein die Stadt prägendes Element. Die Tradition des Wiener Sozialwohnbaus geht zurück auf die 20iger und frühen 30iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, und kommt von dem international anerkannten Reformprogramm des sozialen Wohnen in Wien, dass das allgemeine Verständnis, das Wohnen nicht vollkommen dem freien Markt überlassen werden kann und darf.

60% der Wiener Haushalte leben im geförderten Wohnbau, eingeschlossen der 220.000 Personen die in Gemeindewohnungen wohnen. Nahezu 1,7 Millionen Einwohner leben in Wien. Dieses Programm hebt sich qualitativ wie auch quantitativ deutlich vom sozialen Wohnbau vieler anderer europäischen Metropolen ab. Da sich dieses Wohnbauprogramm immer in Beziehung mit der Stadtplanung sieht, ist es in seiner sozialdemokratischen Position nach wie vor das Rückgrat der Stadtentwicklung der österreichischen Bundeshauptstadt. Wohnbau prägt die Wiener Stadtgestalt bis heute weit deutlicher als Büro- oder Kulturbauten, wie das etwa in anderen Städten der Fall ist.

Der Ausgangspunkt der Studie über "Qualitative Entscheidungskriterien für das Wohnen im urbanen Raum" basiert auf eben diesen Vorarbeiten vergangener Generationen, sie ist zugleich der Versuch einer Zusammenfassung des derzeitigen Standes der Entwicklung - vor allem aber versucht sie, einen Blick in die nähere Zukunft der kommenden 20 Jahre zu tun.

Im Einzelnen wurden folgenden Themen untersucht:

  • Welche Ansprüche inhaltlicher und formaler Natur werden künftige Bewohner an ihre urbanen Behausungen stellen?
  • Welche Wohnbaumodelle werden für die unterschiedlichen Gruppen von Stadtbewohnern in den unterschiedlichen urbanen Zonen erforderlich sein?
  • Welche Vorgaben dürfen/müssen seitens der Politik eingefordert werden?
  • Welche Rolle werden Bauträger und Architekten spielen?


Die Strategien kultureller Zwischennutzung

Die kulturelle Nutzung aufgelassener Industrieareale und Bauten der Infrastruktur (Bahnhöfe als Museen, Remisen, E-Werke oder Schlachthöfe als Orte der Jugendkultur, Werfthallen als "breeding spaces" für verschiedenste Programme und Initiativen) sind seit 1970er Jahren europaweit nicht unbekannt, bisher aber eher als prominente Unikate für große und "schwierige" Objekte.

Durch Wandlungsprozesse im kulturellen Feld und durch das urbanistische Interesse an lokaler Identität, Belebung, Aufwertung bzw. Transformation industrieller wie gewerblicher Stadtviertel unter Einbeziehung der lokalen Bevölkerung stellen kulturelle Zwischennutzungen auch für kleinere Areale eine interessante Option dar.

Eine solche Strategie kann vermehrt im Interesse der Gesamtstadt, der Anrainer, der Kulturschaffenden wie auch der Bauträger liegen und hängt mit stadtentwicklungspolitischen Zielen der Nutzungsmischung, der Belebung, der Identitätsbildung, der Förderung von Kunst, Kultur wie von "creative industries" zusammen, wurde bisher aber nur in Ausnahmefällen - und nicht ohne beträchtliche Vorbehalte der Bezirke wie der Grundeigentümer - beschritten.

Zwischennutzungen alter Gebäude bzw. Anlagen decken nicht nur den Raumbedarf für kulturelle Aktivitäten in zumeist zentrumsferneren Stadtteilen mit kultureller Unterversorgung, sie sind auch ein aktives Instrument für den Funktionswandel des umgebenden Stadtviertels, indem sie eine Brücke von der alten zu einer neuen Identität herstellen und das Potential für künftige, das Wohnen ergänzende Nutzungen ausloten.

Die Zwischennutzung von noch funktionsfähigen Gebäuden bzw. Arealen empfiehlt sich auch deshalb, weil die öffentlichen Mittel für die Errichtung neuer Gebäude für die verschiedensten kulturellen bzw. soziokulturellen Sparten und "kreativen Szenen" äußerst knapp geworden sind.

Auf zwei bis maximal zehn Jahre beschränkte kulturelle Zwischennutzungen können von Fall zu Fall - und bei fairen Vereinbarungen - im positiven Sinn auch der Dynamik künstlerischer und kultureller Entwicklungen entsprechen, die jenseits von neuen Institutionalisierungen kaum über diesen Zeitraum hinaus prognostizierbar sind. Mit solchen Zwischennutzungen kann rasch auf einen gesamtstädtischen wie lokalen Bedarf an kulturellen Aktivitäten reagiert werden bzw. finden kreative Gruppen kurzfristig Produktions- und Veranstaltungsräume.

Eine Frage, die sich bei größeren Arealen immer wieder stellen wird, ist, ob Teile der alten Bausubstanz aus Gründen der Identität, der Kontinuität, der Ökonomie in der Nutzung bestehender Räume erhalten und in das neue Projekt integriert werden können, wie dies beim Kabelwerk der Fall ist.

Ziel der Studie war es, politisch steuerbare Vorgaben zu definieren und auszuformulieren, um zu einem klar lesbaren Anforderungskatalog zu kommen. Zu diesem Zweck wurde ein interdisziplinäres Team gebildet, dem nicht nur Architekten, sondern auch Zukunftsforscher, Bauträger, Soziologen angehörten, um die bereits laufenden, in Zukunft verstärkt zu beobachtenden gesellschaftlichen Veränderungen ganzheitlich zu erfassen und in die Vorgaben für den geförderten, politisch steuerbaren Wohnbau einfließen zu lassen.

Denn um herauszufinden, wie die Wohnformen der Zukunft aussehen können, genügt es nicht, den Status Quo als Maß der Dinge heranzuziehen: Wenn wir nicht extrapolieren und weiterdenken können, überholt uns die Zeit, und der Wiener Wohnbau braucht zukunftsweisende Strategien, um jetzt schon auf diese zu erwartenden Entwicklungen entsprechend reagieren zu können.

Das Profil der Bundeshauptstadt wurde in den vergangenen 90 Jahren durch den Wohnbau definiert, und der Soziale Wohnbau selbst war in seiner ursprünglichen Ausprägung nichts anderes als die in Wohnanlagen umgesetzten Forderungen der Sozialdemokratie nach "Licht, Luft und Bewegung" für die Bewohner der Stadt. Tatsächlich hat dieses dreidimensionale Ausformulieren der Leitbilder der Sozialdemokratie auch die Bauordnung mitbestimmt, der bestehende Wohnbau wurde also von politischem Willen gezielt konzeptionell geformt.

Das bemerkenswerte Ziel des Sozialen Wohnbaus war es einerseits, den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt u. a. im Rahmen der zahlreichen Reihenhaus- und Einfamilienhausanlagen ihren eigenen Anteil an Grund und Boden bereitzustellen und des weiteren kostengünstigen Wohnraum zu errichten. Es ist augenscheinlich, dass im vergangenen Jahrhundert in Wien bis auf wenige Ausnahmen kaum herausragende Ensembles und Bauten abseits des Wohnbaus entstanden.

Größere städtebauliche Entwicklungen über Büro- oder Kulturbauten setzten erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts ein - und auch diese passierten meist im Zusammenspiel mit dem Wohnbau wie z. B. die Neu- und Umnutzung der Gasometer. Dieser ist als traditioneller Motor der Wiener Stadtentwicklung zu bewerten, das lässt sich von der Donauplatte bis zum Wienerberg ablesen: All diese neuen Zentren entstanden letztlich durch den entscheidenden Anstoß des von der öffentlichen Hand geförderten Wohnbaus - und wurden durch den dort geschaffenen Wohnraum erst finanzierbar.

Ich denke, dass das alte, bemerkenswerte sozialdemokratische Leitbild "Licht, Luft und Bewegung" nach den heutigen Verhältnissen entsprechend übertragen und für die Zukunft neu interpretiert werden muss. Die Stadt ist nicht als Unikat oder fertiges Stück zu sehen, sie ist vielmehr ein prozesshafter komplexer, sich ununterbrochen wandelnder Vorgang. Form und Raum entstehen daher prozesshaft und nicht mehr nach den alten Regeln der Kunst und die Vernetzung ist das verbindende.

Ausgehend von diesen Überlegungen haben uns folgende Fragen im besonderen beschäftigt:

  • Wie kann man Sozialen Wohnbau im Stadtraum neu definieren?
  • Wie definiert man Urbanität und Bedeutung in den Randlagen?
  • Für welche unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen wird künftig Wohnraum zu schaffen sein?
  • Welches Instrumentatrium braucht der Wiener Wohnbau zur Weiterentwicklung?
  • Ist die bestehende Bauordnung noch zeitrichtig?


Wir haben einen Kriterienkatalog ausgearbeitet, der folgende Programmpunkte beinhaltet, anhand derer die architektonisch-urbanen Qualitäten der Wohnbauten künftig beurteilt werden sollten:

  • Städtebau: Die städtebaulichen Vorgaben eines Bauplatzes müssen sich in der Bebauungscharakteristik des Projektes wiederfinden. Die städtebaulichen Vorgaben haben langfristig gültigen, übergeordneten Kriterien zu folgen, die den prozesshaften, komplexen, sich ununterbrochen wandelnden Veränderungsvorgängen, denen eine Stadt unterliegt, Spielraum gibt. Das "Wohlfühlen" kann nicht im Flächenwidmungsbau beschrieben werden, da gehören andere, weniger technokratische, sondern vielmehr emotionale Paradigmen mitberücksichtigt.
  • Architektur: Als Seismograph einer geschichtlichen Situation mit Zukunftsperspektive sind unter Vermeidung von zeitlich kurzfristigen Moden, die Stadt, den Stadtkörper weiterentwickelnde Projekte zu generieren, die die veränderten und sich verändernden sozio-ökonomischen Merkmale der "Kunden" - den zukünftigen Bewohnern - in ihre Kreativkonzeptionen aufgenommen haben. Letzlich geht es um das prozesshafte Verflechten vieler Ausgangskriterien und ihrer Neudefinition um zu gültigen, schlüssigen neuen Lösungsansätzen zu kommen.
  • Raum: Es ist der Zeitpunkt gekommen, die Standardvorgaben wieder zu hinterfragen, wobei vor allem der "Untersuchungsgegenstand" auf das "vor der Wohnungstüre" situierte Angebot erweitert werden muss. Denn vor allem die "Vernetzung" der "Privatheit" mit dem "Öffentlichen Raum" und ihrer psychologisch-architektonischen Ausformungen sind von wesentlicher Bedeutung für eine qualitativ gültige Lösung eines Wohnbaues. Hierbei müssen Aspekte wie z.B. Ausbildung und Freizeit, wie auch neue Anforderungen aus der sozialdemografischen Zusammensetzung der zukünftigen Bewohner mitbedacht werden.
  • Grundrisse: Lösungen, die die Möglichkeit anbieten, den verschiedenen sich ändernden Lebenssituationen ihrer Benutzer eine adäquate Antwort zu bieten, sind in das Repertoire des geförderten Wohnbaues aufzunehmen und einzugliedern.
  • Infrastrukturelle Anforderungen an den Wohnbau: Innovative und energieökonomische Ver- und Entsorgungssysteme sind zum Ausstattungsstandard des sozialen Wohnbaues zu entwickeln.


Drei Vorschläge:

Ich habe den Eindruck, dass die architektonische Gestalt der Wohnbauten, die das Profil der Stadt Wien so maßgeblich beeinflusst, derzeit vernachlässigt und mitunter sogar als "Mehrkostenarchitektur" diffamiert wird. Doch es ist unverantwortlich und geradezu sträflich, diesen elementaren Beitrag zur Form der Stadt zu missachten. Durch hervorragende urbane Konzepte und neue Ballungszentren muss ein Gegengewicht zum derzeit noch übermächtigen Zentrum, dem Ersten Bezirk, geschaffen werden, ansonsten besteht die Gefahr, dass sich die mentale Landkarte in den Köpfen der Menschen stets nur auf die Innenstadt bezieht und daraus verhängnisvolle Fehlschlüsse abgeleitet werden:

Denn niemals in der Geschichte der Architektur wurden dem Denkmal - auch dem schlechten - dermaßen viel Recht eingeräumt, wie heute. Die verheerende Konsequenz daraus ist, dass alles Alte prinzipiell als schön erachtet wird und nichts daran verändert werden darf. Doch wir brauchen moderne, lebendige und zeitgerechte Urbanität.

1. Experiment

Wir sollten also dringend die Avantgarde und das Experiment im Wohnbau fördern. Wir sollten anhand durchaus experimenteller Wohnbauformen die Richtungsweise neuer Entwicklungen analysieren und die entsprechenden Lösungen in der Praxis überprüfen. Wien muss sich sozusagen hochgradig geförderte experimentelle Formel I-Rennwagen im Wohnbau leisten, an denen Entwicklungen abgelesen und bewertet werden können. Diese Projekte müssen nicht großformatig sein, aber wir brauchen sie dringend. Natürlich muss neben diesem hier angesprochenen experimentellen Wohnbau auch eine Vielfalt anderer Möglichkeiten angeboten werden, und hier ist Wien mit guten, soliden Wohnbauern ohnehin jetzt schon gut bestückt. Wir verfügen über viele exzellente Architekten, die einen zwar unspektakulären, jedoch präzise ausformulierten, Wohnbau herstellen.

2. Verwertbarkeit

Um nicht nur kommerziellen, streng nach Marketing ausgerichteten Projekten den Vorzug zu geben, bedarf es einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Stadt, Bauträgern und Architekten - als gleichwertigen Partnern. Es ist Aufgabe der Politik, gezielt auch jene Projekte zu fördern und aktiv zu unterstützen, die nicht nur den alles gleichmachenden Marketinggrundsätzen gehorchen, sondern vielmehr mit guter, experimenteller Architektur neuartigen Wohnraum bereitstellen und nach außen sichtbar zur Stadtgestalt beitragen. Schließlich benutzen Bauträger und Investoren die bereits bestehende Infrastruktur der Stadt, um ihrer Aufgabe nachzukommen und Geld zu verdienen, und ich meine, dass sie einen Teil davon in Form architektonischer und städtebaulicher Qualität an ihre Bewohnerinnen und Bewohner zurückgeben müssen.

3. Wettbewerbe

Das momentane Wettbewerbswesen ist dringend zu reformieren, derzeit tragen die Architekten bei deutlich höherem Arbeitsaufwand auch ein ungleich höheres Risiko als die Bauträger. Es wäre ebenfalls Aufgabe der Politik, eine Reform dieses Wettbewerbswesens als Chance für die Stadt zu erkennen. Wir brauchen endlich wieder klar definierte kreative Programmpunkte, nach denen die architektonischen und urbanen Qualitäten neuer Wohnbauten beurteilt werden, um den Wiener Wohnbau wieder dort zu positionieren, wo er bereits vor fast hundert Jahren angelangt war: In der Zukunft.
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