Flexibilität im Wohnbereich - neue Herausforderungen, innovative Lösungsansätze

Ausgangssituation, Fragestellung und Vorgangsweise

Die Menschen und ihre Lebensweisen sind immer stärker durch ständige Veränderung geprägt. Je nach Lebensphase wechseln in zunehmender Geschwindigkeit häufig auch die Arbeit, Einkommensverhältnisse, PartnerInnen, Familienformen, Lebensstile und somit die Wohnbedürfnisse. Das trägt neue Anforderungen an die Bauträger heran, diese Vielfalt und Dynamik an möglichen Nutzungen und Bedürfnissen zu erfassen und v.a. leistbare Wohnlösungen dafür anzubieten.

Ziel der vorliegenden Studie war also, NutzerInnenbedürfnisse, die aus dieser Vielfalt der Wohnformen erstehen zu erfassen und mögliche Lösungen dafür darzustellen sowie damit zusammenhängende Herausforderungen für Planung und Wohnbau zu analysieren.

Methodisch wurden dabei folgende Vorgehensweisen verwendet:

Literatur- und Internetrecherchen dienen in erster Linie dazu, den State-of-the-Art der Forschung zum Thema Flexibilität im Wohnbereich übersichtlich zusammenzufassen um auf bisherigen Erkenntnissen aufbauen zu können.

Leitfadengestützte ExpertInneninterviews: Mit ExpertInnen aus den verschiedenen Bereichen, die mit flexiblem Wohnen in Zusammenhang stehen, wurden aufbauend auf den Erkenntnissen der explorativen Phase Interviews geführt. Die ExpertInneninterviews wurden als teilstrukturierte Befragungen (leitfadengestützt) durchgeführt.

Leitfadeninterviews mit BewohnerInnen flexibler Wohnungen und mit Personen mit potenziell hohen Flexibilitätsbedürfnissen: Ebenso wie bei den ExpertInneninterviews wurden die Gespräche mit den "Betroffenen" als teilstrukturierte Gespräche geführt, die mit einer gemeinsamen Begehung der Wohnung bzw. der Wohnanlage gekoppelt waren. Die Interviewpersonen wurden durch Recherchen und Weiterempfehlungen ermittelt.

Analyse von Fallbeispielen: Ausgewählte Fallbeispiele, die entweder besonders gelungene Umsetzungen flexibler Wohnkonzepte ("best practices") oder besonders innovative oder kreative Ideen darstellen, wurden näher beleuchtet. Dabei sollte einerseits die jeweilige konkrete Umsetzung von Flexibilität sowie Schwierigkeiten und Vorteile und andererseits die Akzeptanz und Erfahrungen der BewohnerInnen analysiert werden.

Kreativworkshop zur Diskussion von konkreten Ideen: Der Workshop erfolgte in Anlehnung an den Lead User Ansatz als Methode, um Bedürfnisse von (potenziellen) Zielgruppen zu erfassen und in konkrete Ideen überzuführen. Die TeilnehmerInnen des Workshops waren VertreterInnen von unterschiedlichen Lebenssituationen mit potenziell hohem Flexibilitätsbedarf. Das waren unter anderem Mitglieder von Patchworkfamilien, MigrantInnen, alleine Wohnende, etc.

Auswertung von Interviews und Workshop mittels Inhaltsanalyse: Die Auswertung der Interviews und des Workshops im Rahmen der vorliegenden Studie erfolgte in Anlehnung an die qualitative Themenanalyse nach Froschauer/Lueger (Froschauer, Lueger, 2003, S. 158ff.).

Zentrale Ergebnisse und Schlussfolgerungen - Zonale Wohnraumnutzung

Jahrzehntelang war die Standardwohnung auf das Bild der traditionellen Kleinfamilie zugeschnitten. Aber diese ist mittlerweile in der Minderheit. Heute gibt es statt dessen eine enorme Vielfalt an unterschiedlichen Familien- und Haushaltsformen - Wohngemeinschaften, Single-Wohnungen, Patchworkfamilien, Wohnformen für SeniorInnen, etc. Das Wohnen verändert sich also dramatisch, während die Bauträger immer noch mit der Standardwohnung für traditionelle Familien agieren. Wechselnde Lebensumstände und häufige Wohnungswechsel verlangen nach flexiblen Lösungen, die sich an sich verändernde NutzerInnenbedürfnisse anpassen können.

Eine flexible Nutzung bedeutet aber auch die Zunahme einer gewissen Unschärfe und die Entstehung von Graubereichen, die neue Fragen aufwerfen und innovative technische und organisatorische Lösungen erfordern. Um in diesen Bereichen Flexibilität zu ermöglichen, gibt es unterschiedliche Gestaltungselemente, die so zu sagen die Rädchen darstellen, an denen man drehen kann, um die Wohnsituation nach den jeweiligen Bedürfnissen zu justieren.

Wohnraumnutzung - Grundrisse: Hier geht es einerseits um nutzungsneutrale Grundrisse, in denen Anordnung und Größe der Zimmer sowie die Anordnung von Steckdosen oder Ausstattungselementen nicht die Nutzung determinieren. Andererseits geht es um veränderbare Grundrisse, um eine durchdachte Anordnung der tragenden Wände und um versetzbare Wände.

Wohnraumgestaltung: Möglichkeiten um den Wohnraum selbst verändern und anpassen zu können sind u.a. Schiebewände, modulare Wohnräume, die schrittweise erweitert werden können oder Containerhäuser, die komplett vorgefertigt nur mehr aufgestellt werden müssen.

Wohnraumausstattung: Anpassbare oder multifunktionale Möbel bieten einerseits individuelle Gestaltungsfreiheit und bieten andererseits auch Lösungen für eine effiziente Raumnutzung, indem z.B. ein Möbelstück mehrere Funktionen übernimmt. Ein Beispiel hierfür ist die ExpertInnenidee eines Wohnblocks, der verschiedene Funktionen von der Küche bis zum Arbeitsplatz beinhaltet, die dann je nach Bedarf genutzt werden können - der Block muss nur entsprechend gedreht und die richtigen Türen geöffnet werden. Auch eine technische Ausstattung der Wohnungen, die eine flexible Nutzung ermöglicht, v.a. durch Datenverkabelung, Leerverrohrung und genügend Strom- und Datenanschlüsse in allen Räumen ist entscheidend.

Wohnservices: (Online) Wohnservices können v.a. SeniorInnen (z.B. durch Pflege- und Gesundheitsdienste, unterstützende Dienstleistungen für die Haushaltsführung oder Angebote zur Freizeitgestaltung) und neuen Haushaltsformen (z.B. durch Liefer- oder Haushaltsdienste zur Zeiteinsparung oder Kommunikations- und Unterhaltungsdienste) mehr Flexibilität bieten. Die Gefahr besteht hier in einem Ausschluss derjenigen, die sich das nicht leisten können. Einen Ausgleich könnten hier auch Synergieeffekte aus Nachbarschaft und Gemeinschaft sowie Ressourcen sharing bieten.

Wohnraumfinanzierung: Neue Finanzierungs- und Förderungsmodelle für sich verändernde Lebens- und Arbeitssituationen sind gefragt. Hier bedarf es aber auch eines Ausgleiches durch Beratungs- und Unterstützungsangebote, um mögliche negative Folgen, die aus intransparenten Finanzierungsformen erstehen können, abzufedern.

Das Wohnen verändert sich also, die Anforderungen an Flexibilität steigen massiv und bestehende Konzepte können hier kaum noch adäquaten Lösungen bieten. Der Weg geht weg von einer funktionalen Einteilung in vorbestimmte Zimmer, hin zu einer zonalen Raumnutzung, bei der Rückzugsräume und unterschiedliche halböffentliche und öffentliche Zonen definiert sind, in denen sich die BewohnerInnen flexibel bewegen können.

Durch vermehrtes Wohnen außerhalb eines familialen Kontextes wird auch der Bezug zum Raumumfeld stärker. Hinzu kommt, dass die wachsende Anzahl von SeniorInnen meist nicht mehr so mobil ist und viel Zeit zuhause verbringt und dass immer mehr Menschen zuhause arbeiten bzw. durch unregelmäßige Arbeitszeiten untertags mehr Zeit zuhause verbringen.

Vorhandensein von Gemeinschaftszonen und halböffentlichen Räumen sowie die Ausgestaltung der Wohnumgebung werden darum immer wichtiger. Für diese, die ja von den einzelnen BewohnerInnen unterschiedlich genutzt werden, gilt es adäquate Modelle für Nutzungsregelungen, für die Aufteilung der Kosten, für Haftungsfragen, für Reinigung und Instandhaltung und für Konfliktsituationen zu entwickeln.

Für Wien wäre, auch hinsichtlich der Ausdifferenzierung in unterschiedliche halbprivate und halböffentliche Zonen und Räume zu überlegen, welche Potenziale an ungenutztem Raum hier vorhanden sind und wie man diese optimaler nutzen könnte. Ein Beispiel für Raum-Potenzial wären Erdgeschoß-Wohnungen. Diese stellen eine große Herausforderung für die Wohnbauträger dar, die aber auch viele Potenziale für Qualitätsverbesserungen bieten.

Interessant wäre z.B. im kommunalen Wohnbestand die Leerflächen quantitativ und qualitativ zu erfassen und Ideenkataloge, wie diese genutzt werden können zu erarbeiten. Diese kann in Form von

  • Recherchen (Best Practices),
  • Ideenwettbewerben mit ExpertInnen oder
  • beispielhaften MieterInnenbefragungen und/oder Workshops

erfolgen. Daran zu beteiligen wären möglicherweise auch interdisziplinäre Teams (Wiener Wohnen als Objektbetreiber, ArchitektInnen, SoziologInnen, TechnikerInnen, etc.).

Im Bereich flexiblen Wohnens besteht also eine große Dynamik. Gleichzeitig sind die zahlreichen Konzepte und die unterschiedlichen Akteure auch sehr zersplittert. Hier wäre es sinnvoll, das vorhandene Know-how und das Innovationspotenzial Wiens zusammenzufassen und zu bündeln und somit eine Vorreiterrolle in diesem Gebiet zu erreichen. Dies könnte z.B. durch gemeinsame Veranstaltungen, Aussendungen, Messeauftritte, Pilotprojekte, etc. kommuniziert werden. Ein Wissensforum (wie z.B. das Konzept von das fernlicht) zu diesem Thema wäre eine Möglichkeit zur Vernetzung der Akteure sowie zur Bündelung und Kommunikation von Know-How und Aktivitäten.

Outputs eines solchen Prozesses könnten sein:

  • Kommunikation und Vernetzung von Akteuren
  • Einrichtung von Fachstellen, die für bestimmte Interessensgruppen deren Wohnbedürfnisse in ihrer Differenziertheit erfasst, analysiert und zu konkreten Lösungen weiterentwickelt. Anzudenken wäre hier z.B. eine Fachstelle für seniorInnengerechtes Bauen und Wohnen.
  • Ein Wohnlaboratorium zum Testen von innovativen Lösungen und für die konkrete Erfahrbarkeit für InteressentInnen.
Fakten
  • Projektträger
    das fernlicht - Institut für Foresight und systemische Innovation
  • Projektleitung/Bearbeiter
    Andrea Schikowitzi
    Daniel O. Maerki
  • Laufzeit
    Februar bis Oktober 2008
  • Kontakt
    office[at]dasfernlicht.com
  • Downloads
  • Abstract 131.59 KB
    Projektbericht 1.75 MB