60+ Komfortwohnen - Umsetzung2020 wurde die Studie „Betreutes Seniorenwohnen in Wien“ vorgelegt (IIBW, 2020). Kernelement war der Vorschlag, das erfolgreiche Modelle der SMART-Wohnungen zu „60+ Komfortwohnungen“ weiter-zuentwickeln. Mit dem vorliegenden Bericht wird die umsetzungsorientierte Weiterentwicklung der Konzeption dokumentiert.
Mit dem vorliegenden Projekt werden folgende Ziele verfolgt:
- Konkretisierung der Machbarkeitsanalyse „Betreutes Seniorenwohnen“ (2020) insbesondere hinsichtlich praktischer Fragen der Umsetzung innerhalb des Wiener SMART Wohnbauprogramms;
- Klärung der Rahmenbedingungen für die Implementierung von Pilotprojekten ;
- Erarbeitung eines Leistungskatalogs für „60+ Komfortwohnungen“;
- Kooperation mit Bauträgern bei der Erstellung entsprechender Ausschreibungsunterlagen und Leistungsbeschreibungen.
HAUPT ERGEBNISSEWohn- und Betreuungsangebote für „junge“ Senior*innenWien verfügt über gute Wohn- und Pflegeangebote für hochaltrige Menschen. Für den wachsenden Bedarf unmittelbar nach Pensionsantritt stehen demgegenüber nur beschränkte Angebote zur Verfügung. Mit dem im Rahmen der Wiener Wohnbauforschung entwickelten Konzept „60+ Komfortwohnen“ kann diese Lücke geschlossen werden.
Wer sind die „jungen“ Senior*innen?Es geht um Menschen nach dem Ausstieg aus dem Erwerbsleben und während der nachfolgenden weitgehend gesunden Lebensjahre, das sind bei den Meisten die frühen 80er. Dieser „dritte“ Lebensab-schnitt unterscheidet sich deutlich vom „vierten“ der Hochaltrigkeit. „Junge“ Senioren verfügen über Einkommen deutlich über jenem der Hochaltrigen, der Pflegebedarf ist noch gering, sie sind physisch und geistig mobil mit starker Freizeitorientierung und auch immobilienwirtschaftlich gut ansprechbar, während Wohnungswechsel im „vierten“ Lebensabschnitt meist von Angehörigen oder Sozialdiensten ver-anlasst werden.
Zielgruppe des „60+ Komfortwohnens“Es geht um Senioren-Singles, aber auch Paar-Haushalte, in bisher nicht barrierefreien Wohnungen, um Menschen, die bei gesunkenem Einkommen von zu hohen Wohnkosten belastet sind, um von Ein-samkeit und sozialer Isolation bedrohte Pensionist*innen, auch um „junge“ Senior*innen mit vorausschauender Lebensplanung, Gruppen von befreundeten oder verwandten Personen, die ähnlich einer Wohngemeinschaft zusammenziehen möchten, ohne auf die individuelle Wohnung verzichten zu müssen und schließlich ältere Angehörige, die im Tandem mit Kindern und Enkeln in eine neue Nach-barschaft ziehen möchten.
PotenzialDie 60- bis 80-Jährigen legen in Wien, der Babyboomer-Generation geschuldet, deutlich zu. Während in den Bundesländern die meisten Senior*innen in Eigenheimen und bei Verwandten leben, wohnen sie in Wien zu je etwa einem Viertel in Gemeindewohnungen, privaten sowie gemeinnützigen Mietwohnungen. Ein sehr großer Teil dieser Wohnungen hat Barrieren, einerseits auf dem Weg zur Wohnung (kein Lift, Lift im Halbstock, Stufen beim Eingang, zu enge Durchgänge, schwergängige Türen), andererseits innerhalb der Wohnungen (Wendekreise, Türbreiten, Schwellen etc.). Es ist abschätzbar, dass rund 60% der 270.000 Wiener Seniorenhaushalte in Wohnungen mit Barrieren leben, davon min-destens 50.000 in Gemeindewohnungen. Für ein qualitätvolles Alter mit Beteiligung am gesellschaft-lichen Leben ist eine seniorengerechte (Gebäude-)Sanierung oder ein Umzug in eine entsprechend taugliche Wohnung nötig. Tatsächlich wechseln „jungen“ Senioren ihre Wohnung in relevanter Zahl von geschätzten knapp 5.000 pro Jahr. Bei entsprechenden Angeboten wäre dieses Potenzial weiter ausbaufähig. Daraus resultiert der Vorschlag, in einer Anlaufphase jährlich etwa 500 „60+ Komfort-wohnungen“ zu realisieren und bei Erfolg später auf jährlich ca. 1.000 aufzustocken.
Ansetzen beim SMART-WohnbauprogrammDas neue Angebot ist überraschend einfach implementierbar. Mit dem seit Jahren erfolgreichen SMART Wohnbau Programm steht ein perfekter Ansatzpunkt zur Verfügung. Aufgrund baurechtlicher Vorgaben sind neu errichtete Wohnungen barrierefrei auszuführen. Aufgrund der förderungsrechtlichen Vorgaben sind die SMART-Wohnungen ausgesprochen günstig.
Von der SMART Wohnung zur „60+ Komfortwohnung“Mit geringfügigen Anpassungen werden die kleinen Typ A- und B-Wohnungen (bis 40 bzw. 55m²) zu „60+ Komfortwohnungen“: bodengleiche Dusche, Wandverstärkungen (später für Haltegriffe), schwellenloser Zugang zur Terrasse, elektronisches Türschloss. Gebäudeseitig soll besonderer Wert auf Sicher-heit und Aufenthaltsqualität gelegt werden. Gemeinschaftsräume und Freiflächen sind inklusiv zu gestalten. Darüber hinaus braucht es noch kleine Betreuungszimmer. Mehr ist nicht nötig. Dem Beispiel des Betreuten Wohnens in Vorarlberg folgend, sollen alle geeigneten Wohnungen in einem Neubauvorhaben den dargestellten Vorgaben entsprechen. Zu „Seniorenwohnungen“ im mietrechtlichen Sinn werden sie aber erst durch die spezifische Sozialdienstleistung, ein Vorsorgepaket, das sich speziell an die Bedürfnisse der Zielgruppe richtet. „Junge“ Senioren sollen bei der Vergabe bevorzugt werden. Sollte ihr Bedarf in Zukunft steigen oder sinken, können die Wohnungen ohne alle Abstriche an „normale“ Nachfrager vergeben werden und beim nächsten Wohnungswechsel wieder an Senioren.
Was beinhaltet die soziale Begleitung?Die Sozialdienstleistung beim „60+ Komfortwohnen“ orientiert sich an den „Grundbetreuungspaketen“ des Betreuten Wohnens, wie sie in einer ÖNORM definiert sind. Im Gegensatz zu diesen liegt der Schwerpunkt aber nicht auf pflegerischen, sondern auf sozialarbeiterischen Dienstleistungen. Ziele sind die dauerhafte soziale Integration in den Häusern, die Vermeidung von Vereinsamung, die Sicherstel-lung von Lebensqualität, längstmöglicher (sozialer) Mobilität und Teilhabe am (halb)öffentlichen Leben. Die Betreuungsperson wird 2-3 Halbtage pro Woche vor Ort tätig sein. Es werden niederschwellige Angebote für gemeinschaftliche Aktivitäten gesetzt und die Bewohner zur Teilnahme angestoßen. Sie wird bei der Gründung von Vereinen, der Bespielung der Gemeinschaftsräume und beim gemeinsamen Garteln helfen, Konflikte schlichten, kleine Events oder Ausflüge organisieren etc. Auf individueller Ebene ist mindestens zweiwöchentlich eine aufsuchende Betreuung vorgesehen. Sie schaut auf die Leute und sieht zu, dass alles in Ordnung ist. Sie hilft bei individuellen Problemlagen, Behördenkon-takten, berät hinsichtlich seniorengerechter Anpassungen in der Wohnung, hilft in Krisensituationen, etwa nach der Rückkehr aus dem Spital, vermittelt (gesondert verrechnete) Gesundheits- und Pflege-dienstleistungen sowie technische Dienstleistungen. Zusätzlich ist der Dienstleister 40h pro Woche telefonisch erreichbar. Bei Bedarf wird ein störungssicheres Notrufsystems zur Verfügung gestellt. Die ergänzende Inanspruchnahme von Sozialdienstleistungen über das Casemanagement des FSW ist von diesem Vorsorgepaket unberührt.
3 PilotprojekteFür die Implementierung von „60+ Komfortwohnen“ wurden drei Anlassfälle in unterschiedlicher Konstellation untersucht. Wiener Wohnen erwägt dessen Umsetzung bei einem „Gemeindebau NEU“ mittels eines Generalmietvertrags an einen Sozialträger. Die Sozialbau AG erwägt die Implementierung einer „60+ Komfortwohnen“-Dienstleistung für alle ihre älteren Bestandsmieter und stellt eine Kostenbeteiligung in Aussicht. Das ÖSW beabsichtigt, das Konzept im Rahmen des Bauträgerwett-bewerbs „Meischlgasse“ umzusetzen.
Vorteile für alle Seiten„60+ Komfortwohnen“ generiert Vorteile für die ältere Bevölkerung Wiens, die öffentliche Hand, die Bauträger und die Sozialträger. Als eine Art Community Service trägt es zu sozial integrativen Nach-barschaften bei. Für die Zielgruppe bedeutet das Angebot eine außergewöhnlich günstige und sehr qualitätvolle Wohnung mit der Perspektive hoher Lebensqualität in Gemeinschaft bis ganz zum Schluss. Für die öffentliche Hand ist es eine besonders günstige Sicherstellung hoher Wohnqualität und Betreuung unserer älteren Mitbürger, was an anderer Stelle die Sozialbudgets deutlich entlasten wird. Für die Bauträger ist es nicht nur Innovation. Das Konzept trägt zu Wohnzufriedenheit und einer geringen Wohnungswechselrate bei. Die soziale Begleitung ist eine Art Außenstelle der Hausverwal-tung. Das leidige Problem nicht bespielter Gemeinschaftsräume kann beseitigt werden. Für die Sozial-träger wird eine bisher wenig beachtete Zielgruppe erschlossen. Das Konzept legt großen Wert auf die Wirtschaftlichkeit des Servicepakets.