Betreutes Seniorenwohnen in Wien

Mit der vorliegenden Studie wird der Status Quo von Leben, Wohnen und Pflege von Senioren in Wien zusammengefasst. Es werden bestehende Konzepte des Betreuten Wohnens in ausgewählten Bundesländern analysiert und auf ihre Anwendbarkeit auf Wien hin geprüft. In einem weiteren Abschnitt werden bestehende Ansätze des Betreuten Wohnens in Wien dokumentiert und Barrieren bei der Umsetzung analysiert.

HAUPTERGEBNISSE

„Junge“ SeniorInnen und Hochbetagte sind zwei verschiedene Welten

Die Zielgruppe „3. Lebensabschnitt“ sind Menschen nach ihrem Ausstieg aus dem Erwerbsleben bis in ihre späten 70er, der „4. Lebensabschnitt“ bezeichnet die Hochbetagten ab etwa 80 Jahren. Die beiden Gruppen unterscheiden sich grundlegend hinsichtlich ihrer Wirtschaftskraft, des Pflegebedarfs, der Wohnmobilität etc., und erfordern ganz unterschiedliche Konzepte bei Wohnen, Betreuung und Pflege. In den kommenden Jahren wird in Wien vor allem die Gruppe der „jungen“ SeniorInnen wachsen, in den 2030er Jahren dann eher die Gruppe der Hochbetagten. Für den 4. Lebensabschnitt stehen in Wien umfang-reiche und qualitativ hochwertige Angebote zur Verfügung. Für die „jungen“ SeniorInnen wurden dem-gegenüber in der Vergangenheit zu wenige zielgruppenspezifische Angebote geschaffen.

Betreutes Seniorenwohnen als Angebot zwischen Verbleib zu Hause und Pflegeheim
Betreutes Wohnen vereint die „Hardware“ einer barrierefreien Wohnung mit der „Software“ einer sozialen Grundversorgung. Es scheint eine ideale Lösung für ältere Menschen ohne oder mit geringem Pflege-bedarf zu sein, für all jene, denen der Verbleib in der angestammten Wohnung beschwerlich geworden ist, der Eintritt in ein Pflegeheim aber noch nicht gerechtfertigt scheint. Doch zeigen bestehende Modelle konzeptionelle Schwächen, die der Verbreitung des Betreuten Wohnens bislang entgegengestanden sind. Häufig richten sich die Angebote an Hochbetagte mit vorrangig pflegerischen Ansätzen. Damit kann man aber mitten im Leben stehende „junge“ Senioren kaum locken.

Erfolgreiche Modelle in den Bundesländern
In fast allen Bundesländern – außer Wien – ist Betreutes Wohnen in der Wohnbauförderung verankert. Dabei hat sich eine große Bandbreite an Modellen und Bezeichnungen herausgebildet. Die meisten Modelle sind auf gemeinnützige Bauvereinigungen ausgerichtet, in einzelnen Ländern auch auf gewerbliche Anbieter. Häufig wird Betreutes Wohnen in eigenständigen Gebäuden forciert, in mehreren Ländern demgegenüber Modelle, bei dem Betreute Wohnungen in den geförderten Regelgeschoßbau eingestreut sind. In den meisten Bundesländern ist Betreutes Wohnen durch Festlegungen zur Hard-ware (baubezogen) und zur Software (Dienstleistungen) definiert, in Vorarlberg nur über die Grundbetreuung, während die baulichen Anforderungen an Betreute Wohnungen von allen geförderten Wohnungen zu erfüllen sind. Dort kann also jede kleinere Wohnung zu einer Betreuten werden und umgekehrt. Dieser Ansatz wird als beispielgebend aufgefasst.

Betreutes Wohnen im Wiener geförderten Wohnbau
Betreutes Wohnen ist in der Wohnbauförderung des Landes bislang nicht verankert. Einen moderaten Schub erfuhr das Modell mit Einführung der vierten Säule „Soziales“ (neben „Architektur“, „Ökologie“ und „Ökonomie“) bei der Beurteilung von Bauträgerwettbewerben und im Grundstücksbeirat 2009. Seit-dem der Fonds Soziales Wien (FSW) Förderungen für Senioren-Wohngemeinschaften und Garconnieren-Verbünde für Vollbetreutes Wohnen zur Verfügung stellt, haben mehrere gemeinnützige und gewerbliche Bauträger derartige Nutzungen in ihre großvolumigen Bauten integriert. Darüber hinaus bestehen einige Betreute Wohnanlagen mit Heimförderung. Insgesamt wird der Bestand an geförderten Betreuten Wohnungen in Wien auf 500 geschätzt. Mehrere gemeinnützige und gewerbliche Bauträger haben auch derartige Anlagen ohne Förderung errichtet. Ohne die „Häuser zum Leben“ des Kuratoriums Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP) wird ein Bestand an Betreuten Seniorenwohnungen von etwa 1.500 geschätzt. Es sind verschiedene Gründe für die vergleichsweise geringe Verbreitung dieses Modells identifizierbar. Zweifellos liegt es nicht am mangelnden Bedarf.

Wettbewerb der Sozialdienstleister
Zahlreiche der in Wien tätigen Sozialdienstleister stellen Angebote für Betreutes Wohnen zur Verfü-gung. Die wichtigsten sind die Volkshilfe, die Caritas, das Hilfswerk, der Arbeiter Samariterbund, die Johanniter, das Diakoniewerk und Kolping sowie die kommerziellen Anbieter SeneCura, Fortuna und das SBZ Sozial- und Begegnungszentrum. Das Grundbetreuungspaket wird typischer Weise pauschal zu Preisen von € 70-100 angeboten. Bei einem angemessenen Personaleinsatz vor Ort ist das nur bei einer erheblichen Projektgröße oder dem Verkauf zusätzlicher Dienstleistungen kostendeckend.

Neue Ansätze in schwierigem Umfeld
Neue Ansätze des Betreuten Wohnens sind mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert: der demo-graphischen Entwicklung mit starkem Wachstum der Gruppe der „jungen“ Senioren, der baulichen Barrieren in großen Teilen des Wiener Wohnungsbestands, der Ausrichtung bestehender Einrichtungen v.a. auf Hochbetagte, den klar erkennbaren Grenzen bei der Pflege zu Hause, der Pflege durch Ange-hörige und der 24-Stunden-Pflege und nicht zuletzt dem durchwachsenen Erfolg bisheriger Angebote.

Im Bestand eingestreut oder geclustert
Bestehende Modelle des Betreuten Wohnens sind entweder selbständige, nur diesem Zweck dienende Bau-ten, oder die betreuten Einheiten sind in normale Geschoßwohnbauten eingestreut. Beide Ansätze haben Vor- und Nachteile. Die Vorteile überwiegen aber bei eingestreuten Betreuten Wohnungen, v.a. hinsicht-lich Integration, Kundenakzeptanz, Flexibilität der Nutzung und immobilienwirtschaftlicher Nachhaltigkeit.

SMART-Wohnungen zu „60+ Komfortwohnungen“ weiterentwickeln
Es wird eine Neupositionierung des Betreuten Wohnens mit einem Schwerpunkt bei der Zielgruppe der „jungen“ SeniorInnen vorgeschlagen. Die „60+ Komfortwohnungen“ sollen pflegefreundlich und betreut sein. Dadurch gelten sie mietrechtlich als Seniorenwohnungen, was Eintrittsrechte für Verwandte in ab-steigender Linie ausschließt und sicherstellt, dass sie dauerhaft zielgruppenorientiert genutzt werden können. Mit dem SMART-Wohnbau-Programm stehen beste Voraussetzungen zur Verfügung. Mit bau-lichen Anforderungen, die nur geringfügig über dem bestehenden Standard liegen, sind alle neu errichteten SMART-Wohnungen der Typen A und B (max. 40 bzw. 55m²) seniorentauglich. Im Zuge der Förderungs-vergabe sollten Objekte ausgewiesen werden, die teilweise auf Betreutes Seniorenwohnen auszurichten sind (gleichermaßen Bauträgerwettbewerbe und Grundstücksbeirat). SMART-Wohnungen werden heute um 7,5 €/m² brutto kalt bei Eigenmitteln des Bewohners von max. 60 €/m² angeboten. Selbst unter Hinzu-rechnung der Grundbetreuungspauschale sind das deutlich unter € 500 pro Monat für einen Single-Haushalt. Das ist für die überwiegende Mehrheit der „jungen“ Senioren ohne weitere Subjektförderung leistbar. Für alle anderen müssen freilich einkommensbezogene Beihilfen zielgenau eingesetzt werden. Empfohlen wird eine Ausweitung der Wohnbeihilfe oder die Anpassung bestehender FSW-Förderungen.

Bauliche Muss-Kriterien
Wenige Maßnahmen über den heutigen bau- und förderungsrechtlichen Standard hinaus sind für be-treute Seniorenwohnungen unverzichtbar: innerhalb der Wohnungen sind das ein zusammengelegtes Bad/WC, bodengleiche Dusche, Wandverstärkung für den späteren Einbau von Haltegriffen, weiters Eingangstüren mit elektronischem Zahlenschloss sowie die schwellenlose Zugänglichkeit von Terrassen/ Loggien und deren möglichst quadratische Form. Flure und Stiegenhäuser sind mit entsprechender Aufenthaltsqualität zu dimensionieren und auszugestalten; die schweren Brandschutztüren müssen auto-matisch geöffnet werden können; Gemeinschaftsräume sind ausreichend groß und qualitätsvoll zu ge-stalten (Teeküche, allgemein zugängliche Toiletten). Es werden im Eingangsbereich mindestens 2 nut-zungsneutrale Räume benötigt (Stützpunkt Betreuung, PflegerInnen/ÄrztInnen-Zimmer). Gemeinschaft-liche Freiflächen sind inklusiv zu gestalten. Zur wirtschaftlichen Absicherung der sozialen Betreuung sollen mindestens 25 „60+ Komfortwohnungen“ in räumlicher Nähe vorgesehen werden.

Grundbetreuungspaket
Die soziale Grundbetreuung ist auf die Zielgruppe jüngerer Senioren abzustimmen. Sie beinhaltet eine sozialarbeiterisch qualifizierte Betreuungsperson vor Ort. Je mehr Seniorenwohnungen, desto mehr Zeit steht zur Verfügung. Bei 40 „60+ Komfortwohnungen“ sollten es 20 Stunden pro Woche sein. Die Be-treuungsperson steht für Auskünfte in allen Lebenslagen zur Verfügung, hilft in Krisensituationen, etwa nach der Rückkehr aus dem Spital, vermittelt Gesundheits- und Pflegedienstleistungen, organisiert klei-nere Events, hilft beim Gemeinschaftsleben im Haus, hilft bei der Bespielung der Gemeinschaftsflächen, sorgt dafür, „dass was los ist“, stößt die Bewohner an, etwas zu unternehmen, unterstützt die Gründung von Vereinen, schlichtet Konflikte, hilft bei der sozialen Vernetzung der Bewohner, ist eine Art Außen-stelle der Hausverwaltung und des Asset Managements etc. Es ist die Gratwanderung zu bewältigen, die Menschen nicht zu alt und nicht zu jugendlich anzusprechen. Es ist auch klar zu definieren, wofür die Betreuungsperson nicht zuständig ist, insbesondere nicht für Pflege, Rezeption, technische Dienst-leistungen und Reinigung.

Umfangreiche Vorteile des Modells
Das Betreute „60+ Komfortwohnen“ vereint umfangreiche Vorteile: Um vergleichsweise wenig Geld wird eine hochwertige Wohnversorgung und Betreuung sichergestellt. Dies trägt zum Lebensstandard der Senioren bei und schont den öffentlichen Haushalt. Ein Umzug vor Pflegebedarf ist insgesamt viel güns-tiger und weniger negativ belastet als ein späterer Wohnungswechsel. Die niedrigen Einmalzahlungen und die mietrechtliche Einstufung als Seniorenwohnung bewirken, dass die Wohnungen nicht durch Eigentumsbegründung oder Vertragseintritt jüngerer Angehöriger zweckentfremdet werden. Das be-währte SMART-Wohnbau-Programm muss nur geringfügig weiterentwickelt werden. Seniorenwohnungen tragen zur sozialen Durchmischung der Quartiere bei.

FSW und KWP
Der Fonds Soziales Wien (FSW) als zentrale Clearingstelle zwischen pflege- und betreuungsbedürftigen Kunden und Sozialdienstleistern sowie das Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser (KWP) mit seinen 30 „Häusern zum Leben“ in fast allen Bezirken sind zweifellos Schlüssel-Institutionen bei der Entwicklung und Implementierung neuer Ansätze des Betreuten Wohnens im Rahmen des geförderten Wohnbaus.

Frauenpolitische Akzente setzen
Würdiges und wirtschaftlich abgesichertes Altern ist ein frauenpolitisches Thema. Denn der Frauenanteil an der Bevölkerung steigt mit dem Alter stark an. Große Herausforderungen sind der mit dem Alter eben-falls stark steigende Anteil an alleinlebenden Seniorinnen und die damit einhergehende Thematik der Vereinsamung sowie ausgeprägte Armutslagen in dieser Gruppe. Als leistbare Wohnalternative mit Be-treuung können die „60+ Komfortwohnungen“ die Lebenslage gerade der jüngeren Seniorinnen wesent-lich verbessern.

Schritte der Implementierung

Nachdem alle Elemente des neuen Zugangs bereits erfolgreich praktiziert werden, sollte die Implemen-tierung von „60+ Komfortwohnungen“ mit wenigen Schritten möglich sein. Es ist eine Abstimmung über die Aufgabenverteilung zwischen der Geschäftsgruppe, der MA 50, dem Wohnfonds, dem FSW und der Wohnungswirtschaft nötig. Kleinere Adaptionen werden im Wohnbauförderungsrecht und bei Subjektför-derung benötigt. Dann empfiehlt sich die Durchführung eines Pilotprojekts, dessen Evaluierung und schließlich ein breites Ausrollen des neuen Programms.

Herausforderung Gemeindebau

Fast 80.000 der über 200.000 Gemeindebauten werden von Senioren bewohnt. Das sind 38% der Haushalte (aber aufgrund der sehr viel größeren jungen Familienhaushalte nur 24% der Personen). Gleichzeitig sind gerade 10% der Wohnungen ohne Barrieren zugänglich. Der Handlungsbedarf ist also groß. Es spricht viel dafür, auch im Gemeindebau das Konzept „60+ Komfortwohnungen“ zu implemen-tieren, indem systematisch alle barrierefreien Kleinwohnungen nur noch mit einer zielgruppenspezifischen sozialen Grundbetreuung an Senioren und andere körperlich beeinträchtigten Personen vergeben werden. Durch die Bereitstellung von Betreuungsdienstleistungen können nicht nur die Bewohner zielgerichtet unterstützt werden. Es können damit auch Eintrittsrechte von Verwandten in absteigender Linie unter-bunden und die wenigen barrierefreien Gemeindewohnungen dauerhaft der Zielgruppe zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig sollten in großem Umfang barrierefreimachende Sanierungen angegangen werden. Dafür wird es wohl nötig sein, bestehende Förderungen anzupassen.
Fakten
  • Projektträger
    IIBW – Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen GmbH
    PF 2, A 1020 Wien
    Tel. + 43 1 968 60 08
    Mail: office@iibw.at
    Internet: www.iibw.at
  • Projektteam
    FH-Doz.Dr. Wolfgang Amann
    Dr. Alexis Mundt
  • Projektlaufzeit
    01/2020 - 07/2020
  • Downloads
  • Betreutes Seniorenwohnen in Wien 739.26 KB