Wohnbau macht Stadt – Kommunale Wohnungspolitik als städtisches Gestaltungsinstrument

Der Wohnungsbestand und der Wohnungsneubau stellen den größten Teil der städtischen Bausubstanz dar und bilden die durchgängige Raumstruktur von Wien. Bis vor kurzer Zeit war der Wohnungsneubau fraglos in die vorgegebenen städtebaulichen Strukturen eingebunden:

Im dicht bebauten, vorwiegend gründerzeitlichen Stadtgebiet mittels Bauklassen, Bauhöhen und Fluchtlinien, „echten Straßen“ und einem Muster von öffentlichen Räumen und Freiflächen.

Demgegenüber entstand für die großen Stadterweiterungen seit den 1960er Jahren im Sinne der Lebens- und Wohnvorstellungen der Nachkriegs-Moderne eine neue Form der Verbindung von Wohnbau und Städtebau mit den bekannten Formen offener Bauweisen, reichlichen Grün- und Freiflächen, sozialer Infrastruktur und einem engen Bezug zum privaten PKW.

Der Wohnungsneubau selbst bestand aus einer relativ strengen Typologie von sehr gut optimierten Wohnungsgrundrissen und Gebäudeformen, die in der Folge durch den Einsatz von Betonfertigteilen noch weitergehend determiniert waren.

Die Wohnbaukonzepte und die städtebaulichen Formen waren Teil eines allgemeinen, „urbanistischen Grundkonsenses“, der als These kurz rekonstruiert wird.

Übergangsphase seit etwa 1990
Diese Leitbilder der städtebaulichen Moderne sind seit Anfang der 1990er Jahre ebenso im Wandel begriffen, wie die Lebens-, Arbeits-, Wohn- und Architekturformen.

Außerhalb des dicht bebauten Stadtgebietes kommt zunehmend eine Vielzahl von  gestalterischen Modellen zwischen Architektur und Städtebau zum Einsatz. Im Wohnungsneubau entstehen dabei häufig „Wohninseln“, „hybride“ sowie neue Formen von Grün- und Freiräumen. Dabei entstehen bei einem Fehlen von entsprechender Nutzungsmischung tendenziell weiterhin „Schlafstädte“.

Im allgemeinen erzeugt bei größeren Wohnhausanlagen bzw. Entwicklungsgebieten die Mischung mehrerer Bauträger und ArchitektInnen eine entsprechende Vielfalt, führt aber oft zu einem etwas unbestimmten stadträumlichen Eindruck und tendenziell zu einer gewissen paradoxen Gleichförmigkeit – trotz oder wegen der meist nicht nachvollziehbaren Differenzierung der Architekturformen.

Auch schafft die positive Vielfalt und Abwechslung allein noch keine städtischen Räume im Sinn von attraktiven Wegen und sicheren Straßen zum Gehen, zum Aufenthalt und zu potenziellen, informellen sozialen Kontakten.

Dabei hat der Wiener Wohnbau selbst wesentlich größere Schritte in der Entwicklung neuer Konzepte und Formen vollzogen, als der Städtebau. Das im geförderten Wohnbau der Stadt Wien praktizierte „4-Säulen“-Modell stellt ein zugleich differenziertes und integratives Qualitäts-Modell dar, einschließlich der damit verbundenen Verfahren und Instrumente  (Grundstücksbeirat und Bauträgerwettbewerbe).

Stadträume der Zukunft
In Bezug auf Stadträume der Zukunft in neuen Entwicklungsgebieten kann der geförderte Wohnbau von sich aus allerdings nicht alle Dimensionen von stadträumlichen Qualitäten, städtebaulichen Konfigurationen sowie den Querbeziehungen zu den anderen städtischen Funktionen definieren.

Von zahlreichen Akteuren, ArchitektInnen – KritikerInnen ebenso wie PraktikerInnen des Wohnbaus – wird in diesem Zusammenhang von einem Wiener „Missing Link Städtebau“ gesprochen. Der traditionell bis in die 1990er Jahre hinein wirksame „urbanistische Grundkonsens“ kann den neuen Vorstellungen und Anforderungen an Stadträume und städtebauliche Gestaltungen über die Gestaltung von Wohnkomplexen hinaus nicht mehr genügen.

Es gibt – wie ArchitektInnen bzw. ExpertInnen versichern – eine eindeutige instrumentelle Lücke zwischen den großen Entwicklungsvorgaben (STEP, Zielgebiete, Verkehrskonzept, großmaßstäbliche Freiraumplanung) und den konkreten Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen.

Neue Konzepte und zwischengeschaltete Verfahrenschritte sind gefordert
Im Zuge des erwarteten Bevölkerungswachstums und des massiv propagierten Programms einer generellen (Nach-) Verdichtung sowohl in neuen Entwicklungsgebieten wie auch im dicht bebauten Stadtgebiet stellt sich die Frage, inwieweit die künftigen städtebaulichen Konfigurationen (soweit vom Grundeigentum und den städtebaulichen Instrumenten her möglich) andere und weitergehende Qualitäten, neue Konzepte und Raumformen aufgreifen können.

Ein solches Programm beinhaltet unter anderem auch die gezielte Wiedereinführung von städtischen „Straßen“, „Gassen“ und kleinen „Plätzen“ zumindest in den zentraleren Zonen von neuen Entwicklungsgebieten, also im Umkreis von ÖVStationen, lokalen Hauptstraßen und bestehenden bzw. neuen lokalen Zentren. Der Anthropologe Marcel Hénaff favorisiert dafür den Begriff des „gemeinsamen Raumes“ und argumentiert überzeugend, dass für die städtischen Nahräume („Grätzel“, Wohnumgebung) die Dualität von privatem und öffentlichem Raum ungenügend ist. Er beschreibt sehr präzise die Qualitäten – Verhaltensweisen und wichtigen Raumangebote – dieses „éspace commun“. Damit werden auch für neue Entwicklungsgebiete die Raumelemente „Straße“, Gasse“, „kleiner Platz“ bzw. kleine Erweiterungen des Straßenraums wieder relevant, durchaus in Anlehnung an die Raumformen traditioneller Städte.

Wenn man davon ausgeht, dass die „Ästhetik“, das Raumbild und die Atmosphären von Stadträumen künftig einen wichtigen Faktor der Wohn- und Lebensqualität auch an den Rändern der dicht bebauten Stadt und in neuen Entwicklungsgebieten darstellen, sind neue Anläufe bei den städtebaulichen Konzepten erforderlich, die deutlich auch über die jüngsten und anspruchsvollen Entwicklungsprojekte hinausgehen sollten.

Dies setzt eine „Methode der Bilder“ voraus, d.h. integrativer stadträumlicher Konzepte und einer „Definition“ der stadträumlichen und städtebaulichen „Elemente“. Wenn ein solcher Ansatz nicht bereits im Vorfeld von städtebaulichen Wettbewerben bzw. kooperativen Verfahren praktiziert wird, entstehen auch weiterhin „Inseln des Wohnens“ und etwas diffuse Stadträume.

Wenn aber umgekehrt auch gilt, dass die Ausprägung der Wohnstrukturen zum untrennbaren Bestandteil der Stadträume gehört, wird es erforderlich sein, den „Schnittstellen“ zwischen Wohnbau und Stadtraum eine neue Aufmerksamkeit zu widmen.

Eine der instrumentellen Antworten ist die Wiedereinführung von stadträumlichen Teilgebietskonzepten: Dies bedeutet, zumindest für Teile von Bezirken, in denen eine stärkere Dynamik und Nutzungstransformation zu erwarten ist, stadträumliche und städtebauliche Konzepte und auch Gestaltungskonzepte wieder zu aktivieren (wie sie unter den damaligen Vorstellungen in den 1980er Jahren bearbeitet, dann aber aufgegeben worden waren). Diesbezügliche Hinweise und Forderungen nach Teilgebiets-Konzepten finden sich auch in den Beratungen der Arbeitsgruppen zum STEP 2025.

Alle diese Dimensionen werden heute umso wichtiger, wenn es darum geht, die kostbaren Wohnbauflächen optimal zu nutzen und – wo immer möglich – auch Verdichtungen zu erreichen, die durch den weiterhin hohen Wohnungsbedarf und eine äußerste Ökonomie bei den Aufwendungen für die Infrastruktur geboten sind.

Zum Aufbau des Berichts
Im Anschluss an die Einleitung werden im Abschnitt 2 einige aktuelle neue Rahmenbedingungen für den Wohnbau diskutiert:

  • Die Prognosen zum Bevölkerungszuwachs und zu den Programmen einer „Nachverdichtung“ werden kurz diskutiert; ihr planerischer Einsatz wird mit einigen Fragezeichen versehen: Erstens betonen die Statistiker, dass von einer „Prognose“ nur bis 2020 gesprochen werden kann, während sie die darüber hinaus gehenden Zahlen auf eine „Projektion“ beschränken. Bei der unsicheren Wirtschaftslage (verfügbare Arbeitsplätze, öffentliche Haushalte, politische Rahmenbedingungen und zu erwartende starke Widerstände der Bevölkerung gegen so massive Zuwanderung) besteht kein Anlass, diese Zuwächse als „Leistungen“ und als fraglose „Vorteile“ für Wien zu propagieren. (Abschnitt 2.1)
  • Es folgen einige Anmerkungen zum Zwischenstand der STEP 2025-Bearbeitungen, der in Zwischenfassungen ebenfalls den Bevölkerungszuwachs etwas zu stark ins Zentrum stellt, während mindestens ebenso sehr Beiträge zu einer „Stadt-Idee“ für die nächsten 10 Jahre gefragt wären. (Abschnitt 2.2)
  • Mit der These eines urbanistischen, stadträumlichen bzw. „städtebaulichen Grundkonsenses“ wird versucht, jene historischen und auch noch aktuell wirksamen Voraussetzungen und fachlichen Übereinkünfte zu thematisieren, die „vor“ bzw. „unterhalb“ der jeweiligen stadtentwicklungsplanerischen Projekte und Pläne liegen: Im Wesentlichen war dieser „Grundkonsens“ bisher von der Faktizität und Form des dicht bebauten gründerzeitlichen Wien einerseits, und von den Stadterweiterungen im Sinn der Paradigmen und Formen der städtebaulichen Moderne andererseits bestimmt.
  • Damit ist die These verbunden, dass seit den 1990er Jahren zunehmend eine Phase „neuer Ausverhandlungen“ in zahlreichen für die Stadtentwicklung – Städtebau, Wohnbau, Architektur – relevanten Feldern im Gange ist. Daraus ergeben sich aktuelle Herausforderungen und zahlreiche offene Fragen für neue stadträumliche Konzepte und städtebaulichen Formen. (Abschnitt 2.3)

Im Abschnitt 3 werden einige „Schnittstellen“ zwischen Stadtraum/Städtebau und Wohnen/Wohnbau behandelt: Dies geht davon aus, dass es eine etablierte, sinnvolle bzw. notwendige Arbeitsteilung zwischen Wohnbau und stadträumlicher Planung gibt, wobei der Städtebau nicht eindeutig zuzuordnen ist, vielmehr selbst eine wesentliche Schnittstelle zwischen Wohnbau und Stadtplanung darstellt.

  • Die vom Magazin QUER veranstalteten und publizierten Gespräche zur „Zukunft der Stadt“ in einer Runde von 20 prominenten Wiener ArchitektInnen, Experten und Akteuren der Stadtentwicklung – mit zahlreichen kritischen Äußerungen zum Wiener Städtebau und zu den Instrumenten der Planung – werden als „Fallbeispiel“ zum Anlass genommen, durchaus vorhandenen, breiteren und auch kritischen Wiener Diskurse zu städtebaulichen und stadtentwicklungspolitischen Fragen zu thematisieren. Hier besteht ebenfalls eine Lücke zwischen den informellen Diskussionen und verstreuten, aber oft sehr pointierten Meinungen und Kritiken und dem Fehlen eines öffentlichen, jedenfalls kontinuierlichen fachlichen Forums. (Abschnitt 3.2)

Zwei wesentliche stadträumliche bzw. städtebauliche Themen betreffen die urbanen Grundelemente von Straßen und kleinen Plätzen, die – verbunden mit Geschäften, Dienstleistungen und Lokalen für informelle Kommunikationen, Identitätsbildungen (neue Formen von „Grätzeln“) und Atmosphären auch außerhalb des dicht bebauten Stadtgebietes grundlegend sind.

Dazu gehören auch die Möglichkeiten einer Aufwertung und Verdichtung (dezentraler) lokaler Zentren. Diese traditionellen Stadtelemente sind die Basis eines „gemeinsamen“ städtischen Raumes.
Fakten