Die Sicherung der „Sozialen Nachhaltigkeit“ im zweistufigen Bauträgerwettbewerb – am Beispiel der dialogorientierten Verfahren „Wohnen am Marchfeldkanal“ und „In der Wiesen“ sowie des zweistufigen Wettbewerbs „Preyersche Höfe“
Eine Evaluierung der soziologischen Aspekte. Eine Zwischenbilanz.

Wien hat ein dynamisches Wachstum und wird daher in den kommenden Jahren massiv in den Wohnungsbau investieren. Damit steht die Wohnungspolitik - aber auch die Infrastrukturpolitik - vor großen Herausforderungen, denn gefragt sind nicht einzelne ‚reine‘ Wohnanlagen, sondern in einem hohen Maße integrierte und sozial gemischte, urbane Stadtquartiere.

Der Wohnungsbau muss daher in der wachsenden Stadt immer mehr auch die Rolle eines Katalysators der urbanen Entwicklung übernehmen. Wohnbau macht Stadt!? Voraussetzung dafür ist vor allem die Qualitätssicherung des Gebauten auf Basis der von der Stadt Wien definierten Nachhaltigkeitsziele, aber auch darüber hinausgehend die permanente Suche nach neuen städtebaulich-architektonischen, energetischen und nicht zuletzt auch sozialen Maßstäben. Das dynamische Stadtwachstum, eine weitere soziodemographische Ausdifferenzierung, der Bedarf an zusätzlichem Wohnraum und Infrastruktur, die gleichzeitig zunehmende Verknappung am Grundstücksmarkt und steigende Mietpreise sind nur einige der aktuellen Herausforderungen, mit denen sich die Stadt Wien derzeit konfrontiert sieht. Diese kommunalen Herausforderungen beeinflussen auch die Instrumente der Qualitätssicherung im geförderten Wiener Wohnbau, insbesondere die Bauträgerwettbewerbe, maßgeblich und verlangen ihre permanente Weiterentwicklung.

Das Instrument der Wiener Bauträgerwettbewerbe

Als im Jahr 1995 die ersten beiden Bauträgerwettbewerbe durchgeführt wurden, bedeutete dies eine tiefgreifende Änderung im System der Verteilung von Baugrundstücken und Wohnbaufördergeldern. Weg von der Zuteilung sollte der Weg zu einem „Vergleich von Angeboten“ führen. Die im Rahmen der Bauträgerwettbewerbe eingereichten Beiträge wurden dazu ab 1995 nach Kriterien aus den drei Qualitätssäulen „Planungsqualität, Ökonomie und Ökologie“ beurteilt. Schon damals wurde die Gleichrangigkeit dieser drei Säulen von Seiten des Auslobers betont. Soziale Aspekte waren bei den Kriterien nicht explizit benannt, sondern wurden unter den bestehenden Säulen miteinbezogen. Zur fachgerechten Beurteilung der unterschiedlichen Kriterien wurde die Jury im Vergleich zu den bisherigen Architekturwettbewerben stark interdisziplinär ausgeweitet. Interessant für die gegenwärtige Diskussion um bauplatzübergreifende, dialogorientierte Zugänge ist die damals ausgesprochene Orientierung der Projektbeurteilung an der jeweils einzelnen Parzelle. Dies sollte auf Basis eines ausgeklügelten Punktesystems die notwendige Objektivität sichern.


Eine erste wesentliche Änderung beim Instrument der Bauträgerwettbewerbe stellt die Einführung der „Sozialen Nachhaltigkeit“ als 4. Qualitätssäule im Jahr 2009 dar. Das Soziale, das vorher mehr oder weniger deutlich „mitgedacht“ worden war, wird durch die Einführung dieser gleichberechtigten Säule nun explizit sichtbar.


Wesentliche Kernziele dieser neuen Qualitätssäule sind: Die Gewährleistung von Alltagstauglichkeit und die Reduktion von Errichtungs- und Bewirtschaftungskosten durch entsprechende Planung, soziale Durchmischung, Mitbestimmung, Hausorganisation, Identitäts- und Gemeinschaftsbildung und die Entsprechung unterschiedlicher Nutzungen, NutzerInnengruppen und Wohnformen durch vielfältig und flexibel nutzbare Grundrisse, Erschließungs- und Gemeinschaftsflächen.


Im Jahr 2013 findet ein weiterer wichtiger Schritt in der Entwicklung der Wiener Bauträgerwettbewerbe statt: Die ersten „dialogorientierten“ zweistufigen Bauträgerwettbewerbe werden durchgeführt. Dieses neue Format eines zweistufigen Wettbewerbs ermöglicht eine neue Maßstabsebene: weg vom Wohnbau auf dem einzelnen Bauplatz hin zur Koordination und Abstimmung mehrerer benachbarter  Baufelder untereinander, aber auch mit bestehenden Stadtteilen und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern. Dazu wird nach einer kompetitiven 1. Stufe, die sich auf konzeptionelle Beiträge (competition of ideas) beschränken soll, pro Bauplatz ein Projekt zur Weiterbearbeitung in die 2. Stufe empfohlen. In der folgenden „Dialogphase“ werden im Rahmen von Arbeitstreffen und Workshops alle Projekte – auch jene auf den Nachbarbauplätzen – in Abstimmung aufeinander weiterentwickelt. Die Ergebnisse werden dann in gewohnter Form nach dem 4-Säulen-Modell beurteilt.

Aufgabenstellung und Untersuchungsdesign

20 Jahre Qualitätssicherungsinstrumente Bauträgerwettbewerb und Grundstücksbeirat des wohnfonds_wien sind Anlass, diese Instrumente zu überprüfen: Erfüllen die Ergebnisse die gesetzten Erwartungen? Welche Instrumente haben sich wie bewährt und wie verhält es sich mit ihrer Akzeptanz durch die Stakeholder und Akteure? Welche Rolle spielen Aspekte der sozialen Nachhaltigkeit tatsächlich? Die vorliegende Untersuchung der Sicherung der „Sozialen Nachhaltigkeit“ bei zweistufigen Bauträgerwettbewerben, die sich auf eine breit angelegte Online-Befragung unter den beteiligten Akteuren, repräsentative Interviews mit involvierten Expertinnen/Experten und die Analyse von drei Fallbeispielen stützt, will einen Beitrag zur Debatte um eine adäquate Qualitätssicherung leisten. Die Ergebnisse der Studie attestieren den Bauträgerwettbewerben, dass die transportierten Themen, Inhalte und Lösungsansätze grundsätzlich in die richtige Richtung gehen, aber im Hinblick auf die Verfahrensprozesse und die Umsetzung der sozialen Maßnahmen noch Verbesserungsbedarf besteht, damit die ambitionierten Ziele auch tatsächlich erreicht werden.

Ergebnisse der Zwischenevaluierung

Im Folgenden werden die Ergebnisse in den Themenschwerpunkten „Soziale Nachhaltigkeit“ (Produktqualität) und Verfahrensgestaltung (Prozessqualität) zusammengefasst:

Die „Soziale Nachhaltigkeit“ bleibt eine der ganz großen Herausforderungen des zukünftigen Wohnungsbaus: Die Frage dabei ist, welche sozialen Werte eine „nachhaltige“ Entwicklung genau verwirklichen soll.

Das Qualitätsziel „Soziale Nachhaltigkeit“ im Wohnbau ist – so der Tenor der Studie – auf dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels und der wohnwirtschaftlichen Bedingungen ständig neu zu definieren. Daher erscheint ein laufendes Monitoring bzw. eine regelmäßige Evaluierung der realisierten Wohnprojekte als besonders wichtig. „Soziale Nachhaltigkeit“ im Wohnbau brauche darüber hinaus auch Zukunftsvisionen vom Leben in der Stadt, es brauche Bilder des ‚Wünschenswerten‘. Der Einsatz von Kriterien der sozialen Nachhaltigkeit in Auswahlverfahren beim Wohnbau stelle daher ein echtes Querschnittsthema dar, das alle Beteiligten bzw. Stakeholder gleichermaßen fordert und daher gemeinsam umgesetzt werden müsse.

Im Rahmen der Studie werden folgende zentrale Aspekte von „Sozialer Nachhaltigkeit“ im Rahmen der Bauträgerwettbewerbe identifiziert, die in Zukunft verstärkt Berücksichtigung finden sollten:

  • Es finden sich sehr unterschiedliche Definitionen von „Sozialer Nachhaltigkeit“ unter den Akteuren. Diese „Schwammigkeit“ in der Begriffsdefinition trage auch zu Unklarheiten in Bezug auf die (Ziel-)Vorgaben zum Qualitätskriterium der „Sozialen Nachhaltigkeit“ in der Ausschreibung von Bauträgerwettbewerben bei. Eine noch konkretere Definition der sozialen Ziele und Programme – besonders hinsichtlich finanzieller und rechtlicher Rahmenbedingungen – schon in der Ausschreibung wird vielfach als notwendig erachtet, um die richtigen Maßnahmen setzen zu können.
  • Fast die Hälfte der Befragten beurteilt die Ergebnisse hinsichtlich "Sozialer Nachhaltigkeit" bei herkömmlichen zweistufigen Bauträgerwettbewerben als „gut“ bis „befriedigend“. Kritisiert wird, dass die Ergebnisse zu allgemein, zu praxisfern und in ihrer Umsetzung fraglich sowie oft auch abhängig von Bauträgern und der Kooperation der Architekturbüros seien. Die Ergebnisse in dialogorientierten Verfahren werden generell positiver beurteilt. Dies wird auch auf den „Dialog“ bzw. die Workshops zurückgeführt. Auch die Ergebnisse zum Schwerpunkt „Soziale Nachhaltigkeit“ würden davon – zumindest in Teilaspekten – maßgeblich beeinflusst. Dies vor allem hinsichtlich Abstimmung und Koordination der Maßnahmen, Verständnis für unterschiedliche Bedürfnisse und die Kontinuität bzw. Verbindlichkeit in der Umsetzung.
  • Die tatsächliche und nachhaltige Aneignung der vielen Angebote an Gemeinschaftsräumen bzw. der soziokulturellen Infrastruktur stellt eine Herausforderung für alle Akteure dar. Fragen der Kosten, Verwaltung und Bespielung der Gemeinschaftsräume erweisen sich zum Teil als schwierig. Auch die bauplatzübergreifende Zusammenarbeit der Planungsteams und Bauträger hinsichtlich eines gemeinsamen Besiedlungsmanagements funktioniere bisher nur teilweise und bedürfe in Zukunft einer besseren Koordination.
  • Problematisch gesehen wird, dass sehr viele verschiedene Zusatzqualitäten – bei allen vier Säulen – eingefordert werden, jedoch die Projektkosten insgesamt aber nicht höher werden dürften. Dies führe schon in der Planung, aber vor allem auch in der Umsetzung oft zu Abstrichen und Kompromisslösungen. Rechtliche und finanzielle Ausnahmeregelungen für sozial innovative Projekte sollten daher angedacht werden.
  • Für die Kritiker der aktuellen Bauträger-Wettbewerbskultur steht fest, dass angesichts der schlechter werdenden Einkommen der „Preis als Aspekt sozialer Nachhaltigkeit“ heute zu wenig beachtet würde. Ziel könne daher nicht der super-anspruchsvolle Wohnbau, sondern nur die „qualitätsvolle Einfachheit“ sein.
  • Mehrfach eingebracht wird auch die Forderung, dass bei zweistufigen dialogorientierten Bauträgerwettbewerben nicht nur für Städtebau und Freiraum, sondern auch für „Soziale Nachhaltigkeit“ ein Leitkonzept erarbeitet werden müsse.

Als weitere, im Rahmen der vorliegenden Erhebung angesprochene Zukunftsthemen „Sozialer Nachhaltigkeit“, die auch im Kontext der zweistufigen Bauträgerwettbewerbe relevant sind, können vor allem folgende genannt werden:

  • feinkörnige Durchmischung unterschiedlicher Nutzungen, Rechtsformen, soziale Gruppen und Wohnformen; genereller guter Nutzungsmix im Planungsgebiet (nicht reines Wohnen)
  • neue Konzepte für EG-Nutzungen (Sockelzonen)
  • gezieltes Freihalten für Ungeplantes, Aneignungsflächen für wechselnde Bedürfnisse
  • bewusste Eröffnung von Partizipationsmöglichkeiten auf unterschiedlichen Ebenen zur Identitätsfindung und Stärkung von „Sozialkapital“
  • Überprüfung und Weiterentwicklung der Strategie des zeitlich begrenzten Besiedlungsmanagements als sozial-organisatorische „Anschubhilfe“ und von „Community Design“
  • Erhaltung der Sozialverträglichkeit in den stark verdichteten Wohnquartieren mit hohem Smart-Wohnungsanteil (mögliches Problem „Wohnungsüberbelag“)

In den Fokus rückt zunehmend auch die Qualität der Verfahrensgestaltung, d.h. die weitere Optimierung der Prozessqualität: Den „dialogorientierten“, kooperativen Verfahren gehört die Zukunft.

Wie bei allen Produkten gelten heute – und in Zukunft besonders – auch für öffentliche Dienstleistungen neue Qualitätsmaßstäbe. Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie steht neben der Produktqualität mit dem Schwerpunkt auf „Soziale Nachhaltigkeit“ daher auch die „Prozessqualität“ in der Verfahrensorganisation. Um langfristig erfolgreich im Sinne der gesteckten Ziele zu sein, bedarf es einer laufenden Optimierung der „Prozessqualität“. Abläufe müssen abgebildet und analysiert, Schwachstellen und Potenziale identifiziert und Schnittstellen harmonisiert werden, damit die Dienstleistung – in unserem Falle die Verfahrensorganisation zur Sicherung eines hohen Standards des Wiener Wohnbaus – optimiert und nachhaltig abgesichert werden kann. Sowohl bei der Online-Befragung, als auch bei den Intensivinterviews mit den ausgewählten Expertinnen/Experten wurden zahlreiche Anregungen und Forderungen zum Prozess der zweistufigen Wettbewerbsverfahren eingebracht. Die Erfahrungsberichte aus den drei dokumentierten Fallbeispielen selbst verweisen ebenfalls auf Handlungsbedarf in der Verfahrensorganisation.
Im Sinne einer Zwischenbilanz und als Beitrag zur Diskussion um die Weiterentwicklung der Verfahrensorganisation für zweistufige Bauträgerwettbewerbe können aus den Beiträgen der befragten Expertinnen/Experten und Stakeholder folgende Positionen zusammengefasst werden:

  • Eine repräsentative Mehrheit der befragten Stakeholder (Bauträger, Archiekturbüros und Konsulenten) befürwortet grundsätzlich den vermehrten Einsatz von dialogorientierten Verfahren bei zweistufigen Bauträgerwettbewerben im Falle mehrerer Grundstücke. Jedoch sollte man aus den Erfahrungen der ersten beiden durchgeführten dialogorientierten Verfahren lernen und insbesondere bei der Verfahrensorganisation der 2. Stufe nachbessern.
  • Der Mehrwert „dialogorientierter“ Verfahren wird vor allem in einer besseren Abstimmung, Koordination und auch Kooperation der Bauträger untereinander und im gegenseitigen Austausch bzw. in gemeinsamen Lernprozessen gesehen, die sowohl die Produktqualität, als auch die Prozessqualität verbessern.
  • Die Stärken „dialogorientierter“ zweistufiger Wettbewerbsverfahren werden des Weiteren in einem viel stärkeren Quartiersbezug, einer höheren Interdisziplinarität sowie in mehr Diskussions-, Kritik- und Reflexionsmöglichkeiten ausgemacht. Eine qualifizierte Minderheit betrachtet diese Verfahren jedoch als überzogen und daher unwirtschaftlich.
  • Die Mehrheit der Befragten vertritt die Meinung, dass durch dialogorientierte Wettbewerbsverfahren der Einbezug der Bürgerinnen und Bürger, sprich der Interessen von Anrainern, lokalen Initiativen und anderen Stakeholdern generell besser gelingt. Grundsätzlich sollten diese Fragen jedoch bereits in einem frühen Stadium bzw. schon bei der Flächenwidmung abgehandelt werden.
  • Von mehreren Expertinnen/Experten (mit Jury-Erfahrungen) wird eine deutliche Empfehlung für eine Neufassung der Aufgabe der Verfahrenssteuerung abgegeben. Das notwendige Qualitätsmanagement müsste entweder durch die Einrichtung einer „internen“ Verfahrenssteuerung im wohnfonds_wien oder einer „externen“ Beauftragung gewährleistet werden.
  • Hinsichtlich der Rolle der „Leitkonzepte“ in den Verfahrensprozessen stehen sehr gegensätzliche Positionen im Raum: Für die einen ist die Arbeit mit und an den Leitkonzepten der Kern aller dialogorientierten zweistufigen Wettbewerbsverfahren und so etwas wie ein „Masterplan“ und für die anderen ist dagegen ein möglichst „offenes“ Konzept für das Gelingen eines Dialogs Voraussetzung.
  • Konsens herrscht offensichtlich darüber, dass die Einführung der „Sozialen Nachhaltigkeit“ als 4. Säule die frühere Architekturlastigkeit eingedämmt habe. In Zukunft bestehe jedoch die Gefahr, dass die Soziale Nachhaltigkeit „als Routine abgespult“ und vielfach nur mehr in einer Kooperation mit großen (kirchlichen) sozialen Diensten gesehen würde.

Als weitere konkrete Verbesserungsbedarfe bei dialogorientierten, zweistufigen Verfahren werden vor allem folgende Aspekte angeführt:

  • Adaptierungen beim Prozessdesign bzw. insbesondere bei der Prozesssteuerung
  • klarere Definition der Aufgabenstellung und Zielvorstellungen
  • stärkere Beschränkung der 1.Stufe auf Konzepte und „Ideenwettbewerb“
  • professionelle Moderation der Workshops
  • Abgeltung des zusätzlichen zeitlichen und wirtschaftlichen Aufwands
  • bewusste Einbindung junger Architekturbüros
  • Einbezug zusätzlicher Akteure
  • mehr Bezug zu Städtebau, Stadtplanung und Quartier
  • Gewährleistung der Umsetzung der Maßnahmen zur „Sozialen Nachhaltigkeit“


Fakten
  • Projektträger
    wohnbund:consult - Büro für Stadt.Raum.Entwicklung
  • Projektteam
    Raimund Gutmann
    Margarete Huber
  • Laufzeit
    03 - 10/2014
  • Kontakt
    consult[at]wohnbund.at
  • Downloads
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    Projektbericht 3.27 MB