"Kabelwerk": Zur kulturellen Zwischennutzung von Wohnbaugrundstücken

Themenstellung

Im Zuge mannigfaltiger städtischer Strukturveränderungen kommt es immer wieder zum Auslaufen bestimmter Nutzungen. Damit werden ehemalige industrielle, gewerbliche, schulische oder militärische Areale bzw. Objekte frei, die in der Folge neuen Nutzungen - und hier nicht zuletzt dem Wohnbau - zugeführt werden.

Der damit verbundene Prozess der Grundstücksverwertung wie der Stadtplanung (Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, Investorensuche, Grundankauf, städtebaulicher bzw. Projekt-Wettbewerb, Abwicklung der Wohnbauförderung und Bauvorbereitung) dauert im Regelfall mehrere Jahre, während derer die alten Räumlichkeiten, die oftmals noch funktionsfähig sind, leer stehen. Es handelt sich hier um Zeiträume zwischen 5 und 10 Jahren.

Die "Restnutzung" derartiger Anlagen und die aus der Umnutzung und Neubebauung entstehenden Zeitfenster können künftig vermehrt für die Stadt von Bedeutung sein. Die für bestimmte Nutzungen immer noch wertvolle und brauchbare Bausubstanz kann in dieser Übergangsphase sinnvoll genutzt werden. Damit können negative Aspekte jahrelanger Leerstehungen (Vandalismus, stadträumliches Vakuum etc.) vermieden werden.

Die vorliegende Studie versucht, aus der äußerst erfolgreichen kulturellen Zwischennutzung der ehemaligen Meidlinger Kabelfabrik (KDAG) im 12. Wiener Gemeindebezirk von 1999 bis heute Erfahrungen und allgemeinere Schlussfolgerungen für die künftige Zwischennutzung von aufgelassenen Arealen bzw. Gebäuden von kleinerer bis mittlerer Größenordnung (wie leerstehenden Schulen, Amtsgebäuden, Teilen von Industrieanlagen etc.) abzuleiten.

Die Strategien kultureller Zwischennutzung

Die kulturelle Nutzung aufgelassener Industrieareale und Bauten der Infrastruktur (Bahnhöfe als Museen, Remisen, E-Werke oder Schlachthöfe als Orte der Jugendkultur, Werfthallen als "breeding spaces" für verschiedenste Programme und Initiativen) sind seit 1970er Jahren europaweit nicht unbekannt, bisher aber eher als prominente Unikate für große und "schwierige" Objekte.

Durch Wandlungsprozesse im kulturellen Feld und durch das urbanistische Interesse an lokaler Identität, Belebung, Aufwertung bzw. Transformation industrieller wie gewerblicher Stadtviertel unter Einbeziehung der lokalen Bevölkerung stellen kulturelle Zwischennutzungen auch für kleinere Areale eine interessante Option dar.

Eine solche Strategie kann vermehrt im Interesse der Gesamtstadt, der Anrainer, der Kulturschaffenden wie auch der Bauträger liegen und hängt mit stadtentwicklungspolitischen Zielen der Nutzungsmischung, der Belebung, der Identitätsbildung, der Förderung von Kunst, Kultur wie von "creative industries" zusammen, wurde bisher aber nur in Ausnahmefällen - und nicht ohne beträchtliche Vorbehalte der Bezirke wie der Grundeigentümer - beschritten.

Zwischennutzungen alter Gebäude bzw. Anlagen decken nicht nur den Raumbedarf für kulturelle Aktivitäten in zumeist zentrumsferneren Stadtteilen mit kultureller Unterversorgung, sie sind auch ein aktives Instrument für den Funktionswandel des umgebenden Stadtviertels, indem sie eine Brücke von der alten zu einer neuen Identität herstellen und das Potential für künftige, das Wohnen ergänzende Nutzungen ausloten.

Die Zwischennutzung von noch funktionsfähigen Gebäuden bzw. Arealen empfiehlt sich auch deshalb, weil die öffentlichen Mittel für die Errichtung neuer Gebäude für die verschiedensten kulturellen bzw. soziokulturellen Sparten und "kreativen Szenen" äußerst knapp geworden sind.

Auf zwei bis maximal zehn Jahre beschränkte kulturelle Zwischennutzungen können von Fall zu Fall - und bei fairen Vereinbarungen - im positiven Sinn auch der Dynamik künstlerischer und kultureller Entwicklungen entsprechen, die jenseits von neuen Institutionalisierungen kaum über diesen Zeitraum hinaus prognostizierbar sind. Mit solchen Zwischennutzungen kann rasch auf einen gesamtstädtischen wie lokalen Bedarf an kulturellen Aktivitäten reagiert werden bzw. finden kreative Gruppen kurzfristig Produktions- und Veranstaltungsräume.

Eine Frage, die sich bei größeren Arealen immer wieder stellen wird, ist, ob Teile der alten Bausubstanz aus Gründen der Identität, der Kontinuität, der Ökonomie in der Nutzung bestehender Räume erhalten und in das neue Projekt integriert werden können, wie dies beim Kabelwerk der Fall ist.

Kooperative Planung und die Rolle kultureller Zwischennutzungen

Im Kabelwerk hat sich die kulturelle Zwischennutzung seit 1999 - also bereits ein Jahr nach dem Ende der Kabelproduktion - sehr eng und fruchtbar mit dem kooperativen Planungsverfahren, einer aktiven und neuartigen Form der Bürgerbeteiligung sowie mit der Erprobung neuer Ansätze eines Gebietsmanagements verbunden. Das vielfältige und offene Kulturprogramm hat den Standort des künftigen neuen Stadtteils weit über die Grenzen des Bezirks hinaus bekannt gemacht.

Als Modellprojekt für kulturelle Zwischennutzungen eines ehemaligen Industriebetriebes verdient das Kabelwerk auch deshalb ein besonderes Interesse, weil hier das kulturelle Programm-Spektrum außerordentlich vielfältig angelegt wurde: Um ein breites Feld von anspruchsvollen Theaterproduktionen, Konzerten, Ausstellungen etc. gruppierten sich sowohl höchstrangige "importiere" Projekte (wie die 16-stündige Aufführung von Goethes "Faust" in der Regie von Peter Stein), mediale Großereignisse (wie die Partys der ORF-Produktion Taxi Orange) wie auch eine Fülle alternativer Aktivitäten und Produktionsprozesse (von der Graffitigruppe über erlesene Keramikherstellung bis zu Veranstaltungen und Festen der im Umfeld wohnenden Bevölkerung) und nicht zuletzt die Überlassung eines Teils des alten Verwaltungsgebäudes für ein selbstorganisiertes Schulprojekt ("w@lz").

Damit sind im Kabelwerk über viele Jahre programmmäßig, organisatorisch wie rechtlich Modelle einer Zwischennutzung umgesetzt worden, die für unterschiedlichste Areale mit Altbestand und künftigem neuen Städte- bzw. Wohnbau relevant sein können.

Neben der Dokumentation der kulturellen Zwischennutzung im "Kabelwerk" werden insbesondere auch die planerischen, ökonomischen und rechtlichen Aspekte und deren Anwendbarkeit bei der Entwicklung neuer Projekte im Übergang von der "Vornutzung" zu einer längerfristigen neuen Nutzung einschließlich gefördertem Wohnbau behandelt.

Der Vorgang

Naturgemäß wichtig ist der Anfangsimpuls zu einer neuen Form von Zwischennutzung, der sowohl von der Stadtpolitik und Verwaltung wie von den Grundeigentümern bzw. Bauträgern ausgehen kann. Sinnvoll und für den Erfolg wesentlich ist aber von Beginn an auch die Einbeziehung der lokalen Bevölkerung, der Anrainer wie des Bezirks.

Große Bedeutung kommt der Entscheidung über das Profil der Zwischennutzungen sowie die konkrete Auswahl der Träger zu. In Amsterdam oder Berlin wurden in solchen Fällen gelegentlich auch öffentliche Ausschreibungen eingesetzt. Wichtig ist es, vertragsfähige Partner auszuwählen und klare Strukturen zu etablieren, wobei die für die Zwischennutzungen Verantwortlichen im wesentlichen das Potential der vorhandenen Räume bzw. Baulichkeiten für bestimmte Programme abschätzen müssen.

Die in Österreich nach dem ABGB mögliche Rechtsform des Prekariums, der unentgeltlichen Überlassung von Flächen und Räumen (mit der Möglichkeit der Verrechnung von Betriebskosten und Nettoausgaben) ist eine für kulturelle Zwischennutzungen besonders geeignete Rechtsform und wurde auch im Kabelwerk angewandt.

Die Programme

Grundsätzlich erscheint es nicht erforderlich, allzu scharfe Unterscheidungen von kulturellen und nicht-kulturellen Zwischennutzungen zu treffen. Für den Wirtschaftsstandort Wien und die künftigen Arbeitsplätze für junge Menschen wird es im Gegenteil fruchtbar sein, wenn sich kulturelle Aktivitäten und neue Felder der "Creative Industries" wechselseitig ankoppeln, in räumlicher Nähe in solchen zwischengenutzten Arealen erprobt werden und sich festigen können. Auch für die kulturellen Zwischennutzungen selbst ist eine Verbindung von Kunst- und Kulturproduktion mit offenen Veranstaltungsangeboten sowie Räumlichkeiten für selbstorganisierte, nicht subventionierte Kultur wertvoll.

Erfolgreich können kulturelle Programme sein, denen es gelingt, hohe Qualität bzw. Innovativität (also gesamtstädtische Relevanz) mit spezifischen Angeboten für die Bevölkerung vor Ort zu verbinden. Zugleich sind die künstlerischen und kulturellen Szenen und Institutionen ebenso wie die Besucher immer auch am Flair von neuen Standorten jenseits der traditionellen Spielstätten interessiert.

Viele dieser Aspekte und Argumente für kulturelle Zwischennutzungen finden sich - erfolgreich gebündelt - in der kulturellen Zwischennutzung der leerstehenden Gebäude bzw. Hallen der ehemaligen Kabelfabrik in Wien Meidling. Die Größenordnung dieses Areals sowie eine ganze Reihe glücklicher Umstände haben auf dem Kabelwerk ein - zunächst völlig ungeplantes -kulturelles Großprojekt entstehen lassen, dass noch dazu in der Vermittlungsfunktion zwischen Kulturszene und lokaler Bevölkerung, zwischen Hochkultur, Avantgarde und Populärkultur eine besondere Rolle eingenommen hat.

Im Kabelwerk war der Erfolg auch an die glückliche Kooperation zwischen den zuständigen Abteilungen des Magistrats, der Bezirksvertretung, der für das Areal verantwortlichen Grundeigentümer bzw. Bauträger und dem für die Zwischennutzung ausgewählten Verein "IG Kabelwerk" geknüpft und erreichte mit der Vielfalt des Programms eine hohe Akzeptanz sowohl der Kultur wie des künftigen städtebaulichen Projekts bei der lokalen Bevölkerung.

Europäische Erfahrungen und Strategien mit "temporären Nutzungen" wurden bereits im Rahmen des von der EU geförderten Projekts "Urban Catalyst" untersucht, an dem sich Wien beteiligte und im Rahmen dessen das Kabelwerk große Beachtung fand (siehe der Werkstattbericht der Mag.-Abt. 18 sowie der Gesamtbericht in englischer Sprache - neben Wien die Städte Amsterdam, Berlin, Helsinki und Neapel).

Die Hauptabschnitte der Studie:

  • Aufgabenstellung, Ziele und Typologien kultureller Zwischennutzungen
  • Darstellung und Analyse der kulturellen Zwischennutzung im Meidlinger Kabelwerk 1999 - 2004 (zusammen mit der Chronologie des Planungsverfahrens und des Kulturprogramms)
  • Darstellung der allgemeinen ökonomischen, rechtlichen, planerischen, organisatorischen und administrativen Grundlagen für kulturelle Zwischennutzungen von Wohnbaugrund in Wien
Fakten