CityLifestyles
Methoden und Modelle für lebensweltorientierte Wohnbauplanung

Ein neues Modell für die Wohnbauforschung

Wie wollen Menschen in Zukunft wohnen? Welche Bedürfnisse und Anforderungen gibt es an den Wohnbau aus der Sicht der BewohnerInnen? Wie können potenzielle MieterInnen für neue Projekte begeistert werden?

In der vorliegenden Studie "CityLifestyles" werden neue Methoden und Ansätze für die Wohnbauforschung vorgestellt und anhand einer psychosozialen Zielgruppensegmentierung und mithilfe von Trendforschungsmethoden verdeutlicht. Dieser Werkzeugkasten kann von ExpertInnen aus den Bereichen Stadtplanung, Architektur und Wohnbauforschung eingesetzt werden, um eine bessere Beschreibung der Bedürfnisse der BewohnerInnen von zukünftigen Projekten zu bekommen.

Dafür wurde ein neues Modell entwickelt, das durch seine qualitativen soziologischen Methoden die Lebensstile der einzelnen Zielgruppen beschreibt. Dieses Modell besteht aus vier Teilen und beginnt 1.) mit der Auswertung von quantitativen statistischen Erhebungen und kreuzt 2.) die Daten mit den SINUS-Milieu-Studien, um diese 3.) mittels repräsentativer Interviews mit Mitgliedern der spezifischen Lebenswelten abzugleichen. Der vierte und letzte Schritt besteht aus einer Trendanalyse und ethnographischen Studien zu den Wohntrends. Mit diesem Modell beschreibt MICROGIANTS einen Bottom-up-Ansatz in der Marktforschung und bietet neue Möglichkeiten für die Wohnbauforschung.

Das Autorenteam besteht aus Designern, Architekten und Psychologen, die sich auf das Gebiet der Marktforschung spezialisiert haben.

Die Ziele der Studie

Die vorliegende Studie wurde für die Wohnbauabteilung der Wiener Stadtverwaltung zusammengestellt. Bei einem Seminar im Herbst 2004 wurden die Ziele wie folgt festgelegt:

  • Definition einer mobilen Zielgruppe, die für neue Wohnprojekte offen ist
  • Anwendbarkeit des Werkzeugkasten für ArchitektInnen und PlanerInnen anhand von Beispielent"
  • Aufzeigen aktueller Wohntrends, im Speziellen des Trends zum "sinnlichen Wohnen

Inhalt

Die Studie ist in drei Teile geteilt. Der erste Teil beinhaltet die Hintergründe, Modelle und Methoden, die der Studie und dem Lebensweltmodell zugrunde liegen. Als Werkzeugkasten werden soziale Prototypen für die Stadt Wien und für die Wohnbauforschung entwickelt. Im zweiten Teil werden die Bedürfnisse und Anforderungen aus Nutzersicht definiert und ein Überblick über aktuelle Wohnbautrends zusammengestellt. Im dritten Teil werden die Zielgruppen und die Zielgruppenansprache genauer beschrieben, und es wird gezeigt, mit welchen Marketinginstrumenten sie am besten zu erreichen sind.

Soziale Prototypen - der Bottom-up-Ansatz für eine Lebensweltsegmentierung

Die Studie beschreibt neue Ansätze und Methoden für die Wohnbauforschung und Planung. Die Studie verbindet Methoden aus der neuen soziologischen Forschung und dem Marketing.

Die traditionelle Marktforschung beschränkt sich auf die Auswertung von quantitativen Daten (Hard Facts) wie Einkommen, Geschlecht und Alter und bestimmt so das Design von Kampagnen und die Definition von Zielgruppen. In den letzten Jahren etablierte sich ein neuer Ansatz der qualitativen Methoden, damit werden für die Marktforschung neue Möglichkeiten eröffnet. Diese Methoden können als "Bottom-up-Ansatz" beschrieben werden und stellen die BenutzerInnen und ihre Bedürfnisse und Wünsche (Soft Facts) in das Zentrum der Beobachtungen. Die sozialen Prototypen wurden auf Basis dieser Soft Facts erstellt und ermöglichen so individuelle Entwicklungen im Planungsprozess. Diese Methode erlaubt eine genauere Beschreibung von potenziellen Zielgruppen und bietet detaillierte Informationen über deren emotionale und psychologische Bedürfnisse. Mit diesen Informationen können Marketingkampagnen genauer auf eine bestimmte Zielgruppe abgestimmt werden und bieten dadurch einen neuen Ansatz für Forschung und Wohnbaumarketing.

Drei mobile Lebensweltsegmente

Ein Ergebnis der Studie ist die Verbindung einer SINUS-Milieu-Studie mit dem Early-Adopter-Modell. Daraus kann eine Prognose über die Bereitschaft einer bestimmten Zielgruppe, neue Ideen, Technologien oder Veränderungen anzunehmen, getroffen werden. Darüber hinaus wurden in ausgesuchten Wohnvierteln Interviews mit VertreterInnen der Zielgruppensegmente durchgeführt.

Das SINUS-Lebensweltmodell kennt zehn verschiedene Segmente. In Zusammenarbeit mit VertreterInnen der Stadt Wien wurden drei relevante Segmente identifiziert und für die Studie ausgewählt, um einen Werkzeugkasten mit sozialen Prototypen zu erstellen: die "Bürgerliche Mitte", die "Konsumorientierte Basis" und die "Modernen Performer". Das sind die mobilsten Segmente (für Wien), sie sind am einfachsten für neue Wohnbauprojekte zu begeistern. Darüber hinaus ermöglichen diese drei Zielgruppen auch eine soziale Durchmischung, um einer Ghettobildung vorzubeugen.

Globale und individuelle Trends

Die Studie zeigt die Entwicklung von der Erlebnisgesellschaft zur Sinn-Gesellschaft und den damit verbundenen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Die Erlebnisgesellschaft sieht ihren Schwerpunkt im "Jetzt und Hier", dem maximalen Erlebnisnutzen und im Genuss. Die Sinn-Gesellschaft wiederum sucht nach dem Sinn, der Bedeutung und einer neuen Sinnlichkeit im Leben. Die Antworten auf eine komplexer werdende Welt werden in einer neuen Spiritualität und Esoterik gefunden. Die Studie beschreibt dieses Phänomen und geht der Frage nach: "Welche generellen Trends beeinflussen Geschmack, Wünsche und Bedürfnisse einer bestimmten Zielgruppe?"

Analyse und Szenarien

Für die Arbeit mit "Social Prototyping" und den Trendanalysen wurden zwei verschiedene Ansätze entwickelt. Der erste Ansatz ist als Werkzeug für die Arbeit von ArchitektInnen und PlanerInnen gedacht, die mit gegebenen Projekten oder Rahmenbedingungen arbeiten müssen, und zeigt den benutzerorientierten Planungsprozess von außen. Der zweite Ansatz bewegt sich aus der Wohneinheit heraus und beschäftigt sich mit den Bedürfnissen und Wünschen, die ein/e InnenraumdesignerIn berücksichtigen sollte.

Die Arbeit mit sozialen Prototypen erlaubt einen neuen Ansatz im Planungs- und Entwicklungsprozess von Projekten. Dieser neue Weg ist ein Bottom-up-Ansatz und hilft im Entscheidungsprozess für neue Projekte die Benutzerbedürfnisse und Wünsche zu berücksichtigen. Die Studie umfasst die Resultate dieser psychographischen Bedürfnisbeschreibung, die mithilfe von sozialen Prototypen dargestellt wird. Die Unterschiede zwischen den drei Zielgruppensegmenten können am besten durch folgende Schlagwörter beschrieben werden:

Die "Bürgerliche Mitte": Harmoniebedürfnis, Komfort, legt Wert auf soziale Normen und Konventionen sowie eine ruhige Nachbarschaft im Grünen, Gartenarbeit, Spazierengehen, Haustiere und/oder Kinder, XXXLutz oder IKEA, gehört zu 50plus

Die "Konsumorientierte Basis": versucht ihren sozialen Status durch Konsum zu erreichen, das Leben im Jetzt und Hier ist von Bedeutung, sehr trendbewusst, XXXLutz oder Möbel Ludwig, geringe Identifikation mit ihrer Arbeit, hat wenig Möglichkeiten für neue Wohnungswahl, träumt vom Leben im Wiener Umland mit Garten, um die 40 Jahre

Die "Modernen Performer": Flexibel, mobil und ambitioniert, sind Trendsetter und leben um zu arbeiten, Outdoor-Sport, Einrichtung von IKEA oder Internet, wollen eine gute Infrastruktur im Wohngebiet (öffentlicher Verkehr, Nachteinkauf …), sind 20-40 Jahre alt

Allen drei Gruppen gemeinsam ist der hohe Stellenwert der grünen Umgebung/Naherholung. Die "Bürgerliche Mitte" kann sich diesen Traum im Gegensatz zur "Konsumorientierten Basis" mit einem eigenen Garten erfüllen. Die "Modernen Performer" versuchen ihren cityorientierten Lebensstil mit innerstädtischem Grün zu kombinieren. Keines der Zielgruppensegmente ist besonders an einer Ortsveränderung interessiert. Junge Paare, die Kinder erwarten, sind im Gegensatz zu allen anderen am ehesten bereit, in neue Wohngebiete zu ziehen. Allen drei Gruppen sind öffentliche Verkehrsmittel wichtig, und sie ziehen sinnliches Wohnen einem Leben im "Smart Home" vor.

Die Studie beschreibt die aktuellen Wohntrends mit dem Phänomen, das verschiedene Funktionseinheiten einer Wohnung zusammenwachsen. Für alle bildet das Wohnzimmer eine Einheit mit der Küche und etabliert sich als Show-Element. Für die Modernen Performer vereinigt sich das Bad mit dem Wohn- oder Schlafzimmer und entwickelt sich so zu einer Wellnesszone.

Werbliche Kommunikationsstrategie

Um alle drei Zielgruppensegmente zu erreichen, richtet man die Kommunikationsstrategie am besten an den "Modernen Performern" aus, die eine Art Peer-Group-Funktion und als "Early Adopters" eine Vorreiterrolle für die "Early Majority" der "Konsumorienterten Basis" übernommen haben. Die "Bürgerliche Mitte" wiederum beobachtet als "Late Majority" genau, welche Trends sich bei der "Early Majority" durchsetzen, um ein geringes Risiko bei Veränderungen einzugehen.

Die Studie endet mit einer Analyse der ORF-Mediaforschung über das Medienverhalten der Zielgruppen und zeigt, dass die "Bürgerliche Mitte" am besten über traditionelle Werbeformen (Print, TV) erreicht werden kann. Die "Konsumorientierte Basis" und die "Modernen Performer" erreicht man am besten über TV- und Online-Angebote. Für die "Modernen Performer" sollte Sinnlichkeit im werblichen Angebot im Vordergrund stehen.

Zusammenfassend ist die Studie ein Werkzeugkasten und Methodenansatz, um die Bedürfnisse und Wünsche von BewohnerInnen zu erforschen. Das Lebensweltmodell ist fundiert durch qualitative und quantitative Marktforschungsdaten, die ein Set von sozialen Prototypen anbieten, um Wohnbedürfnisse zu analysieren. Das bessere Verständnis für die Bedürfnisse von zukünftigen BewohnerInnen hilft ExpertInnen aus Architektur, Stadtplanung und Marktforschung bei ihrer täglichen Arbeit.
Fakten
  • Projektträger
    Microgiants Industrial Design Gmbh
  • Projektleitung/Bearbeiter
    Christian Bezdeka, Industriedesigner
    Matias del Campo, Architekt
    Sandra Manninger, Architektin
    Kristina Pawel, Medienpsychologin
    Franz Pifl, Industriedesigner
    Gerin Trautenberger, Designer
    Michael Scherer, Designer
    Wolfgang Zeglovits, Sozialwissenschaftler
  • Laufzeit
    Juli bis Dezember 2004
  • Kontakt
    gerin[at]microgiants.com
  • Downloads
  • Abstract 110.89 KB
    Projektbericht 5.53 MB