Jugendgerechtes Planen und Bauen- Qualitätssteigerung im Wohnbau

Jugendliche sind in Planung und Wohnbau zu wenig vertreten

Öffentliche und halböffentliche Räume bieten Jugendlichen die Möglichkeit zu Repräsentation und Selbstdarstellung, Kommunikation und Interaktion. Diese Funktionen sind für die Sozialisation Jugendlicher von grundlegender Bedeutung. Sie müssen Gelegenheit bekommen, sich anderen gegenüber in nicht festgelegten Rollensystemen darzustellen und zu erleben, um sich zu erproben, d.h. eigene Stärken und Schwächen kennen zu lernen. Vor allem handelt es sich hier um eine Auseinandersetzung mit der Welt der Erwachsenen, die für Jugendliche häufig verständnislos erlebt wird in welche Jugendliche letztlich integriert werden sollen.

Zum anderen verursachen bestimmte gesellschaftliche und sozioökonomische Entwicklungen einen Bedeutungszuwachs bzw. eine Neubesetzung des Wohnumfeldes als Lebensbereich und Aufenthaltsort für Jugendliche. Lange Ausbildungszeiten, hohe Jugendarbeitslosigkeit und geringes Einkommen von Familien und Jugendlichen drängen Jugendliche zunehmend aus der Arbeitswelt und dem öffentlichen Raum in die Privatheit oder in informelle Räume im Wohnumfeld und Wohnquartier.

Die Verplanung und Verregelung der meisten Freiflächen führt dazu, dass Jugendliche nur wenig Platz im (halb)öffentlichen Nahraum finden und die Möglichkeiten informellen Lernens durch Raumaneignung stark beschränkt sind. Die mangelnde Teilhabe und Mitgestaltungsmöglichkeiten am privaten und halböffentlichen Raum erschwert es Jugendlichen, wichtige Partizipationserfahrungen zu erwerben.

Interdisziplinäre Arbeitsgruppe zur Erarbeitung konkreter Handlungsempfehlungen

Im April 2005 erhielt ein ExpertInnenteam den Auftrag, im Rahmen einer von der Wiener Wohnbauforschung finanzierten Expertise die im Ergebnispapier der Arbeitsgruppe "Jugendgerechtes Planen und Bauen - Qualitätssteigerung im Wohnbau" aufgestellten Forderungen aus fachplanerischer und wohnbaupraktischer Perspektive zu beleuchten und Empfehlungen für konkrete Umsetzungsmaßnahmen abzuleiten.

Die Studie ist entsprechend der komplexen Aufgabenstellung interdisziplinär aufgebaut und gliedert sich in drei Abschnitte mit unterschiedlich gelagerten Schwerpunkten:

  • Arbeitspaket 1: Sozialwissenschaftliche Grundlagen (Schwerpunktbearbeitung: Dr. Reinhard Zuba, Österreichisches Institut für Jugendforschung)
  • Arbeitspaket 2: Gestaltungsrichtlinien (Schwerpunktbearbeitung: Dipl.-Ing. Brigitte Lacina, Landschaftsplanerin)
  • Arbeitspaket 3: Wohnbaupraxis, Wohnbauökonomie, Legistik (Schwerpunktbearbeitung: Dr. Robert Korab, raum & kommunikation Korab KEG)

Jugendgerechter Freiraum

Zusammenfassend kann "jugendgerechter" Freiraum als Raum beschrieben werden, in dem Jugendliche ihre eigene Geschicklichkeit und ihren Mut durch Überwindung von Hindernissen erproben können. Dies ist jedoch nur möglich wenn sich dieser Raum der Kontrolle durch Erwachsene weit gehend entzieht, beziehungsweise nicht stärker kontrolliert wird als jeder andere öffentliche Raum. Für die so wichtige Aneignung des Raumes sollte der Freiraum so wenig vor- bzw. fremdgestaltet sein wie möglich, er sollte keinesfalls (in den Augen der Erwachsenen) "jugendgerechte" Einrichtungen (wie z.B. teuer angefertigte spezielle "Jugendspielzeuge") bieten. Oft sind die Jugendlichen bereits mit der zur Verfügung gestellten Basis von einer "Gstätten" und ein paar Sitzbänken vollkommen zufrieden. Um für Mädchen durch solche Freiräume aber nicht zusätzliche Angsträume zu schaffen, ist es von Bedeutung, diese Räume keinesfalls unterirdisch, extra finster oder verwinkelt zu planen. Durch die Verwaltung und Planung durch bzw. mit Jugendlichen muss es jedoch nicht bei solchen ungestalteten Flächen bleiben. Durch die Bereitstellung von Fachkompetenzen und geringen finanziellen Mitteln sind Jugendliche durchaus in der Lage, sich auf der ihnen gewidmeten Fläche eine Welt nach ihrer Vorstellung zu erschaffen. Diese Freiräume werden durch die Übergabe in jugendliche Hände keineswegs "dem Untergang gewidmet", sondern vielmehr Teil der jugendlichen Lebenswelt, die sie nicht zerstören, sondern nach ihren Vorstellungen gestalten. Die Bereitstellung derartiger Mittel fördert die Identifikation der Jugendlichen mit dem sie umgebenden Raum in höchstem Ausmaß und somit auch die Entwicklung ihrer individuellen Kompetenzen, ihrer sozialen Fähigkeiten zur Integration in die gesellschaftliche Gemeinschaft, ihres Selbstwertgefühls und letztendlich auch ihrer (schulischen) Leistungsfähigkeit.

Maßnahmen zur Verbesserung der Freiraumsituation für Jugendliche im Wohnbau

Die in der Expertise erarbeiteten Empfehlungen betreffen die Ausführungspraxis, die wirtschaftliche Realisierung von Wohnbau- und Sanierungsvorhaben und Vorschläge zur Adaptierung der Wohnbauförderungspraxis und des Baurechts. Die einzelnen Maßnahmen wurden nach erster und zweiter Priorität unterschieden, wobei die Maßnahmen erster Priorität eine hohe Wirkung bei gleichzeitig einfacher Umsetzung erwarten lassen. Zu jeder Einzelmaßnahme wurden die Mittel und die nächsten Schritte auf dem Weg zur Umsetzung, eventuell Randbedingungen und weitere Hinweise festgehalten. Des Weiteren wurden Gestaltungsempfehlungen für jugendgerechte Freiraumplanung und jugendgerechte Ausstattung von Wohnungen und Gemeinschaftseinrichtungen gegeben.

Die Maßnahmenvorschläge im Einzelnen:

  • Flächensicherung in der Stadtplanung
  • Schaffung von Flächen und Räumen für Jugendliche im Stadtteil: insbesondere in größeren Neubaugebieten und bei großen Sanierungsvorhaben; Errichtung von Infrastrukturen für Jugendliche (v.a. Flächen für Sport und Bewegung) im Wohnumfeld etc.
  • Flächensicherung im Wohnbau, etwa durch Festlegung von Mindestflächen für Jugendliche im Wohnungsneubau, zusätzliche Wohnbauförderungsmittel für die Errichtung und Ausgestaltung von Flächen und Infrastrukturen für Jugendliche etc.
  • Prüfung der Jugendgerechtheit von Planungs- und Bauvorhaben
  • Raumangebote für Jugendliche im Städtischen Gebäudebestand, z.B. durch Vermietung/Überlassung leerstehender Bestandsobjekte (Geschäftslokale, Magazine) an Jugendliche
  • Mehrfachnutzung gemischter Indoor-/Outdoor-Einrichtungen
  • Beteiligung und Mitbestimmung von Jugendlichen in Planungsprozessen, beim Bau, in der Sanierung und in der Verwaltung von Wohnanlagen, Einrichtung einer Leitstelle für jugendgerechtes Planen und Bauen
Fakten
  • Projektträger
    raum & kommunikation KEG
    Österreichisches Institut für Jugendforschung
  • Projektleitung/Bearbeiter
    Robert Korab (raum & kommunikation)
    Brigitte Lacina (ÖIJ)
    Reinhard Zuba (ÖIJ)
  • Laufzeit
    April bis Dezember 2005
  • Kontakt
    office[at]raum-komm.at
  • Downloads
  • Abstract 74.56 KB
    Projektbericht 6.92 MB