Parti. im Bau

Ausgangspunkt der Studie

Im Mitbestimmungsstatut für die Mieter von Wiener Wohnen ist eine Interessensvertretung für Kinder und Jugendliche vorgesehen. Sehr selten wird von diesem Recht Gebrauch gemacht. Die Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Wohnhausanlage sind sowohl Jugendlichen als auch Erwachsenen zu wenig bekannt. Darüber hinaus fehlt es an Öffentlichkeitsarbeit für die Mietermitbestimmung sowie an konkreter Prozessunterstützung der Mieterbeiräte.

Das mehrjährige Pilotprojekt "Parti. im Bau" will Mieterbeiräte und Jugendliche begleiten, damit eine respektvolle und tragfähige Dialogkultur in einer Wohnhausanlage entstehen kann. Es wurden die Otto Probst Siedlung (10. Bezirk) und der Karl Marx Hof (19. Bezirk) für dieses Projekt ausgewählt, da dort aktive Mieterbeiräte bereits seit mehreren Jahren bestehen. Aufgrund der verstärkten Kooperation zwischen den Gebietsbetreuungen und den Jugendeinrichtungen vor Ort sollen die Jugendlichen und die MietervertreterInnen leichter in Kontakt treten können.

Die Begleitforschung hat zum Ziel, das geschaffene Wissen dieses Pilotprojektes anderen zur Verfügung zu stellen. Vorliegend waren drei Forschungsfragen relevant: 

  • Was sind die Anliegen von Jugendlichen und MietervertreterInnen vor Ort?
  • Wie wird Institutionenübergreifende Kommunikation ermöglicht?
  • Welche Rahmenbedingungen brauchen BegleiterInnen von Beteiligungsprozessen in einer Wohnhausanlage ?

Umsetzung

Diese Studie beruht auf den Prinzipien qualitativer Sozialforschung. Das sozialwissenschaftliche Methodenset bestand aus 16 ExpertInnen- und Leitfadeninterviews und 4 Gruppeninterviews. Dadurch sollte einerseits spezifisches Wissen vor Ort erhoben, und andererseits sollten allgemeine Leitlinien für die Partizipation von Jugendlichen in ihrem Wohnumfeld entwickelt werden. Durch Gruppeninterviews mit Jugendlichen wurde deren Lebenssituation in Bezug auf die Mitbestimmung in ihrer Wohnhausanlage erfasst. Mit den Mieterbeiräten wurden ebenfalls Gruppeninterviews durchgeführt, um deren Arbeit und Anliegen zu erheben.

Allgemeine Ergebnisse

In beiden Mieterbeiräten gibt es keine Jugendvertreter. Die Mieterbeiräte haben kaum demokratischen Rückhalt. Die Wahlbeteiligung war bei den Mietervertretungswahlen sehr gering. Dennoch üben in beiden Mieterbeiräten sehr kommunikative und stark sozial engagierte MietervertreterInnen das Amt aus. Sie übernehmen viele unterschiedliche Rollen: als Vermittler zu Wohnbauträgern, als sozialer Puffer in Konfliktfällen mit der Wohngesellschaft, als Wissenstransporteur, wenn sie über Betriebskosten und Abrechnungen informieren, als Verwalter vor Ort und als sozialer Sensor. Es zeigt sich, dass Mieterbeiräte im Konfliktfall aufgrund dieser Rollendiversität oft überfordert sind. Noch dazu erhalten sie wenig bis gar keine Anerkennung seitens der Wohngesellschaften.

Auch in Bezug auf die Situation der Jugendlichen sind Ähnlichkeiten zwischen den beiden untersuchten Wohnhausanlagen feststellbar: Der Gebrauchswert und die Nutzungsdefinitionen von Erwachsenen brechen sich mit den Aneignungsformen von Kindern und Jugendlichen. Jugendliche ignorieren bestehende und/oder kreieren neue Raumbestimmtheiten. Dieser oftmalige Nutzungskonflikt besteht darin, dass Jugendliche Räume anders nutzen als Erwachsene glauben, dass diese zu nutzen sind. Dies lässt sich dann an Konflikten um Lärm ebenso wie beim Benutzen von öffentlichem Raum feststellen. Der spielerischen Art und Weise sich Sozialraum anzueignen wird wenig bis gar kein Verständnis entgegengebracht.

Sowohl bei den Erwachsenen als auch bei jugendlichen AnrainerInnen ist eine resignative bis konsumatorische Haltung zu finden, was die Teilhabe und Mitbestimmung am Gemeinwesen betrifft. MieterInnen beschreiben, dass es eigentlich "nichts zu verändern gibt." Oder wenn es etwas zu verändern gilt, dass es entweder "eh nichts nützt" oder dass dies "sowieso Aufgabe des Mieterbeirates ist."

Allgemeine Empfehlungen

Im allgemeinen liefert Gemeinwesenarbeit die Grundlagen für Kommunikation und Partizipation verschiedener Interessensgruppen vor Ort. Durch einen gemeinwesenorientierten Ansatz können unterschiedliche Interessenslagen persönlich artikuliert werden, ohne dass es zu einer Abwertung anderer Positionen kommt: Die verschiedenen Interessen werden leichter ersichtlich, in dem sie in einem geschützten Rahmen von den Interessensakteuren selbst artikuliert werden. Konkret bedeutet dies, dass Jugendliche persönlich ihre Interessen öffentlich darstellen, ebenso wie AnrainerInnen persönlich und unmittelbar ihre Bedürfnisse artikulieren können. Dadurch kann die Basis für ein Verständnis hinsichtlich verschiedener Bedürfnislagen geschaffen werden.

Weiters kann durch Gemeinwesenarbeit vor Ort jene dialogische Grundlage geschaffen werden, durch die langfristig eine Vertrauens-, Artikulations- und ebenso eine andere Konfliktkultur im Stadtteil entstehen kann. Kommunikative Präventionsarbeit (z.B. Moderation bei Sitzungen des Mieterbeirates) ist ein wesentlicher Beitrag zum neuen Konfliktmanagement vor Ort.

Gemeinwesenarbeit schafft konkrete Mitsprache und Mitentscheidungsmöglichkeiten. Dadurch können neue soziale Kompetenzen von BewohnerInnen einer Wohnhausanlage entwickelt werden. Schließlich wird der Umgang mit Kollektivgütern reflektiert. Kollektive Güter, wie beispielsweise der öffentliche Raum sind immer dann einem erhöhten Nutzungsdruck ausgesetzt, wenn Aneignungsprozesse der verschiedenen NutzerInnengruppen aufeinandertreffen. Eine Sozialraumorientierte Gemeinwesenarbeit schafft Möglichkeiten der Kommunikation und Partizipation.

Aus den Ergebnissen dieser ExpertInnenbefragung zeigt sich, dass Mieterbeiräte dort und dann erfolgreich sind, wenn sie im persönlichen Gespräch mit den MieterInnen regelmäßig Kontakt vor Ort haben. So etwa gibt es im Karl Marx Hof wöchentlich Sprechstunden des Mieterbeirates im Mieterraum. Mieterbeiräte sind idealiter sehr zivilcouragierte Personen, die über die Wohnanlage bestens Bescheid wissen und die Probleme und Konflikte innerhalb der Wohnhausanlage ernst nehmen. Sie verfügen über sehr hohe soziale Kompetenz und haben Verständnis für die verschiedenen Interessenslagen der BewohnerInnen.

Der Mieterbeirat ist ein für Jugendliche sehr hochschwelliges Instrument der Mitbestimmung. Ziel des Pilotprojektes sollte weiterhin sein, den Zugang zum Mieterbeirat niederschwelliger zu gestalten.

ExpertInnen bezweifeln, ob der Mieterbeirat das richtige Instrument zur Konfliktbewältigung in Wohnhausanlagen darstellt. Dafür bedarf es Personen mit entsprechender Ausbildung. Eine solche kann nicht bei den MieterInnen, die sich für den Mieterbeirat aufstellen lassen, vorausgesetzt werden. Damit der Mieterbeirat ein selbsttragendes und von den sozialen Einrichtungen vor Ort unterstütztes Integrationsinstrument der unterschiedlichen Interessenslagen werden kann, braucht es Angebote zur Weiterbildung für MietervertreterInnen. Ein solches Angebot sollte attraktiv gestaltet sein und dessen Besuch auch in einer gewissen Weise honoriert werden, denn schließlich ist das Amt des Mieterbeirates ein Ehrenamt.

Die Arbeit von Mieterbeiräten ist dann erfolgreich, wenn das Team der MietervertreterInnen zivilcouragiert auftritt, von der Wohnbevölkerung geschätzt wird und die MietervertreterInnen eine liberale Haltung gegenüber den verschiedenen NutzerInnengruppen leben. Darüber hinaus ist es sehr wesentlich, dass die Institution des Mieterbeirates sowohl bei den AnrainerInnen als auch bei den Organen der Stadt Wien und auch bei der jeweiligen Wohnungsgesellschaft ein gutes Standing hat und Anerkennung findet. Wird die Institution des Mieterbeirates von vielen Seiten geschätzt, so gewinnt er Aufwertung, und damit kann dieses Ehrenamt attraktiver werden.
Fakten