Projekt "ANKER 10" - für gelebte Nachbarschaft im Stadtteil

Zur Situation der Ankerbrotgründe

ANKER 10 wirkte über einen Zeitraum von 3 Jahren in einer städtischen Wohnhausanlage im Nordosten des 10. Wiener Gemeindebezirks Favoriten. Der Mitte der 80er Jahre erbaute Gebäudekomplex mit etwa 800 Wohnungen und 2500 Bewohner/innen ist in Struktur und Problemlage vergleichbar mit vielen anderen städtischen Wohnhausanlagen in Wien. Die Wohnzufriedenheit der Bewohner/innen ist, wie auch im Film sichtbar wird, sehr unterschiedlich. Es gibt viel Licht, aber auch viel Schatten. Positiv vermerkt wurden die gute Anbindung an die öffentlichen Verkehrsmittel, Größe und Helligkeit der Wohnungen, das Vorhandensein eines Naherholungsgebiets, aber auch die Lebendigkeit in der Anlage. Kritik bezog sich zumeist auf die Architektur und die in der Anlage wohnenden Menschen. Vielfältige Interessenskonflikte überlagern - bedingt durch eine räumlich enge Nachbarschaft und beschränkte Ressourcen an öffentlichem und halböffentlichem Raum - das Wohlbefinden in der Anlage. Unterschiedliche Lebensstile und kulturelle Differenzen zwischen autochthonen und allochthonen Bewohner/innen vermischen sich mit Nutzungs- und Generationenkonflikten. Unzureichende beiderseitige Sprach- und Kulturkenntnisse führen zu Kommunikationsproblemen und Missverständnissen.

Ein verstärkter Zuzug von Bewohner/innen migrantischer Herkunft wird von vielen Alteingesessenen als bedrohlich empfunden und als gezielte Besiedelungspolitik der Hausverwaltung gedeutet. Diese fühlen sich dadurch noch mehr in ihrem Gefühl, von Politik und Verwaltung im Stich gelassen zu werden, bestätigt. Frustrationen und Fatalismus führen infolgedessen zu einer geringen Identifikation mit der Siedlung und wenig Eigenengagement um sich aktiv in Gestaltungsprozesse einzubringen.

Die häufig in Gesprächen geäußerten Klagen über die schlechten Wohnbedingungen in den Ankerbrotgründen sind oft unterlegt mit der vermeintlichen Wahrnehmung ihrer prinzipiellen Unveränderbarkeit. Manche Bewohner/innen schwanken in ihrer Haltung zwischen Frustration und Resignation. Jedes Angebot, jede Initiative wird unmittelbar als vergeblich und illusorisch abgewertet. Die Erfahrungen mit missglückten und fehlgeschlagenen Veränderungsversuchen in der Vergangenheit haben eine negative Erwartungshaltung aufgebaut, die oft tatsächlich in eine selffullfilling prophecy umschlägt. Dadurch fehlen oft der lange Atem und die Geduld, Rückschläge wegzustecken und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

Neben einer negativen Grundstimmung sind wir immer wieder auch auf eine Haltung gestoßen, sich nicht mit den Gegebenheiten abfinden zu wollen. Einige Bewohner und Bewohnerinnen haben sich in Netzwerken engagiert, haben ihre persönliche Betroffenheit in den Dienst der Gemeinschaft gestellt. Die Ergebnisse, die im vergangenen Jahr erreicht werden konnten, unterstreichen dies.

Ziele und Arbeitsweise des Projekts

Ausgehend von den Interessen, Ideen und Möglichkeiten der Bewohner/innen sollten positive, spürbare und vor allem nachhaltige Veränderungen erreicht werden. Das Projektteam von "ANKER 10" arbeitete eng mit den im Stadtteil tätigen politischen und sozialen Institutionen zusammen, um möglichst effektive und tatsächlich im Interesse der Bewohner/innen liegende Veränderungen zu erreichen.

Kurz zusammengefasst wurden folgende Ziele für das Projekt formuliert:

  • Es soll ein verstärktes Miteinander im Stadtteil erreicht und Strukturen zur konstruktiven Konfliktaustragung bzw. zur Entschärfung von bestehenden Konfliktpotentialen geschaffen werden.
  • In persönlichen Gesprächen soll die isolierte, vereinzelte Sicht auf die bestehenden Problemlagen aufgebrochen werden. Es sollen kollektive Aspekte individueller Betroffenheit organisiert, Nachbarschaften gestärkt, lokale Potentiale mobilisiert werden.
  • Der Einsatz öffentlicher Mittel für den Stadtteil soll unter Einbindung der betroffenen Bewohner/innen optimiert werden
  • Selbsttragende Prozesse sollen initiiert werden, die von den Bewohner/innen selbst in Bewegung gehalten werden. (Nachhaltigkeit der Veränderungen)
  • Es soll auf eine Grundmobilisierung hingearbeitet werden, die sich nicht nur in kleineren, isolierten Einzelprojekten erschöpft, sondern nachhaltige Wirkung auf das ("unsichtbare") Gemeinwesen, also das soziale Klima innerhalb der Anlage hat.

Um die definierten Ziele erreichen zu können, wendete das Projektteam eine Mischung unterschiedlicher Methoden an.

In einem ersten Schritt näherte sich das Projektteam dem Zielgebiet bzw. den Menschen im Zielgebiet, sowie den Problemen und Stärken im Gebiet anhand Experten- und Expertinnengesprächen mit Multiplikatoren (Bezirksräte, Vereine, ehemaliger Wiener Integrationsfonds, Hausbesorgern,...) Dabei ging es einerseits darum, wichtige Kontakte im Stadtteil zu knüpfen, Vertrauen aufzubauen, Multiplikatoren von Beginn an mit einzubeziehen und Defizite als auch Ressourcen im Gebiet zu identifizieren. Dabei versuchten wir, die Haltung und die Techniken der "Aktivierenden Befragung" einzusetzen: Die Anliegen und Sorgen wurden ernst genommen, über eine Plattform sollte die Möglichkeit bestehen, Unmut zu äußern, aber auch Probleme konstruktiv zu bearbeiten.

Eine Methode, mit den Bewohner/innen in Kontakt zu treten, wurde durch den Film geschaffen, und zwar auf zweifache Weise. Einerseits durch die Interviews, andererseits durch die Vorführung des Films.

Welche - vor allem nachhaltigen - Veränderungen sind realistisch möglich?

Mit den vorhandenen Ressourcen können zwar insular Zonen der verbesserten Kommunikation geschaffen und die Erweiterung bestehender Angebote initiiert, jedoch nicht die Probleme gelöst werden, deren Ursachen außerhalb des Sozialraums Ankerbrotgründe zu suchen sind . Wenn die zum Teil vielfältigen und massiven Problemlagen in Rechnung gestellt werden, mit denen nicht wenige Bewohner und Bewohnerinnen in der Anlage zu kämpfen haben, und andererseits beschränkten Ressourcen bedacht werden, dann muss sich dies zwangsläufig in einer Bescheidenheit in den Zielen niederschlagen. Dies bedeutet jedoch keineswegs vor der Macht der schwierigen Umstände zu kapitulieren. Es gilt, Verantwortung und Verantwortlichkeiten realistisch auszumachen. Arbeitslosigkeit stellt in Zeiten globalisierten Wirtschaftens sogar den Staat vor eine gewaltige Herausforderung, genauso ein lokales Gemeinwesen. Die Folgen innerfamiliärer und psychischer Problemlagen können durch einen gemeinwesenorientierten Ansatz nicht beseitigt werden. Trotzdem schafft die Möglichkeit, die den Bewohnern und Bewohnerinnen im Rahmen des Projekts gegeben wurde, Inseln des Austauschs und Möglichkeitsräume für individuelles und gemeinschaftliches Engagement und Veränderungen im Kleinen, sowie die Stärkung der Interessensvertretung der lokalen Bevölkerung und horizontaler wie vertikaler Austauschprozesse.

Bisherige Erfolge bei Anker10 (Auswahl)

ANKER 10 - der Film

In einer Kooperation zwischen dem Medienzentrum Wien, dem Schauspieler und Performer Thomas Wackerlig und dem Projektteam von Anker 10 wurde aus den Mitteln des Projektbudgets zwischen Mitte März und Mitte Mai der Film "ANKER 10" gedreht. Dieser Film stellt eine aus insgesamt 96 Interviews gewonnene verdichtete Zusammenschau unterschiedlichster Realitäten dar und ist ähnlich subjektiv wie die Schilderungen der Bewohner und Bewohnerinnen im Film.

"Wie lebt es sich in den Ankerbrotgründen?" Um dies herauszufinden, machte sich der Performer Thomas Wackerlig zusammen mit Sonja Gruber von PlanSinn in die Wohnhausanlage Ankerbrotgründe auf, um dort mit unterschiedlichsten Menschen aus der Anlage ins Gespräch zu kommen.

Mit Hilfe der gespielten Kunstfigur "Hofrat Abseits", der aus seinem "Beamtendasein" ausbricht, um zu erfahren, wie der Alltag in den verschiedensten Vierteln Wiens aussieht, wurde der Erstkontakt zu einzelnen Personen, aber auch zu Personengruppen in der Siedlung aufgenommen. Alle Beteiligten wurden über die Videoaufnahmen aufgeklärt und nur mit deren Einverständnis, die Aufnahmen für den Film zu verwerten und innerhalb der Anlage zu gegebenen Anlässen vorzuführen, gefilmt.

Die Kunstfigur Hofrat Abseits stellt in der Form ein aktivierendes und die Situation entspannendes Element dar, als er zwar versucht, durch beamtlichte Kompetenz Respekt auszustrahlen, gleichzeitig aber durch seine etwas ungeschickte, naiv-kindliche Art die Situation humorvoll auflockert und so die Menschen animiert, sich auf ein kommunikatives Spiel einzulassen. Bei den Reportagen in der Ankerbrotsiedlung wurden die Charakteristiken der Kunstfigur eher sparsam eingesetzt. Grundsätzlich standen das Interesse und die Neugier gegenüber der Bevölkerung im Vordergrund.

Das Filmteam war an insgesamt fünf Drehtagen verteilt über zwei Monate ausschließlich im öffentlichen Raum unterwegs und versuchte, SiedlungsbewohnerInnen zu animieren, sich über ihre persönliche Sicht der Wohnhausanlage zu äußern.

Der Film - und dazu zählen die Produktion mit den Interviews, die Einladung zur Vorführung und schließlich die Vorführung selbst - beinhaltet verschiedene synergetische Nutzungsstränge. Es wurden zunächst durch die Interviews die Gesprächspartner aktiviert, sich über die eigene Lebenssituation in der Anlage, aber auch die in ihr wohnenden Menschen zu äußern. Dies betrifft in gewisser Hinsicht auch diejenigen, die zwar nicht direkt befragt wurden, aber in das Interviewsetting miteinbezogen waren. Wer was zu sagen hat, gar wenn man diese Person persönlich kennt, macht neugierig.

Des Weiteren wurden durch die Interviews, d.h. durch das real sich in der Anlage bewegende Filmteam, aber auch durch das Ensemble an Berichten und Erzählungen der Interviewten und Beteiligten an deren Freunde und Bekannte eine Siedlungsöffentlichkeit erzeugt.

Diese Siedlungsöffentlichkeit wurde noch einmal verstärkt durch die Vorführung des Filmes. Sich selbst zu sehen, von anderen gesehen zu werden, andere Bekannte wiederum zu sehen, sollte - so die Annahme des Projektteams - ein starkes Motiv sein, zu einer Vorführung zu kommen.

BewohnerInnen-Netzwerke

Eine Reihe von BewohnerInnen-Netzwerken wurden aufgebaut, die überwiegend eigenständig an Verbesserungsmöglichkeiten des Lebensumfeldes in der Wohnhausanlage arbeiten.

Z.B. Netzwerk Hobbyräume: ein nachbarschaftliches Netzwerk hat die Wiederöffnung von derzeit vier Hobbyräumen für alle BewohnerInnen an den betreffenden Stiegenhäusern erreicht. Eine Bewohnerin verwaltet die Schlüssel, die Initiative hat Benutzungs-Regeln aufgestellt, die eine langfristige gedeihliche Nutzung gewährleisten soll.

Z.B. Netzwerk "Sauberkeit": Die BewohnerInnen an einem bestimmten Stiegenhaus sind schon längere Zeit unzufrieden mit der Wartung und Reinigung der Stiege und des Umfeldes. Um einen Impuls zu geben, reinigten Sie allgemeine Bereiche des Stiegenhauses kurzerhand selbst. Derzeit arbeitet die Initiative an der Verbesserung des optischen Erscheinungsbildes der Stiege und des Eingangsbereiches in Kooperation mit der Hausverwaltung Wiener Wohnen.

Z.B. Netzwerk HausbesorgerInnen: In der Wohnhausanlage arbeiten derzeit 10 HausbesorgerInnen. Sie haben neben formal festgelegten Pflichten auch viele kommunikative und nachbarschaftliche Aufgaben zu erfüllen. Zudem kennen Sie die Verhältnisse und Möglichkeiten in der Wohnhausanlage besonders genau. Mit ihnen werden in einer Art Stammtisch aktuelle Probleme erörtert und Lösungswege gesucht. Wichtige Themen bisher waren der Umgang mit Jugendlichen, die Lärmsituation und der Zustand der Außenanlagen.

Schwerpunkte

Das Projektteam beschäftigte sich schwerpunktmäßig mit dem Zusammenleben zwischen MigrantInnen und Alteingesessenen. Zu diesem Zweck führte das Projektteam Interviews in Wohnungen an verschiedenen Stiegenhäusern der Anlage. In weiterer Folge wurden BewohnerInnen stiegenbezogen in Veranstaltungen zusammengeführt, um gemeinsam Veränderungsmöglichkeiten zu erörtern.

Die Bezirksvorstehung Favoriten beabsichtigte den neben der Siedlung befindlichen Park jugendgerechter auszustatten. Dabei flossen Anliegen der Jugendlichen aus der Wohnhausanlage in die Planung ein.
Fakten
  • Projektträger
    PlanSinn - Büro für Planung und Kommunikation GmbH & CoKEG
    Gebietsbetreuung Favoriten
  • Projektleitung/Bearbeiter
    Johannes Posch
    Stefan Arlanch
  • Laufzeit
    Juli 2004 bis Dezember 2006
  • Kontakt
    johannes.posch[at]plansinn.at
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