Den "Kitt der Gemeinschaft" messen - „Measuring Social Capital“ im urbanen Bereich
Gesamt-Bericht (Kurzfassung) der aktivierenden Sozialkapitalerhebung im Wohngebiet Wien 3., „Fasanviertel“

Ausgangssituation

2001 hat die OECD das internationale Forschungsprogramm „Measuring Social Capital“ initiiert. Auf Basis dieses Programms wurden in Österreich bereits zahlreiche Messungen des Sozialkapitals durchgeführt. Von Seiten der Wiener Gebietsbetreuung wurde das „Fasanviertel“ im 3. Wiener Gemeindebezirk für eine Sozialkapitalmessung ausgewählt. Grund dafür war, dass die GB3 in diesem Stadtviertel eine Betreuungsinitiative startet. Das „Fasanviertel“ ist innerhalb der Straßenzüge Landstraßer Gürtel – Jaquingasse – Rennweg und der Schnellbahntrasse.

Was ist der Forschungsansatz im Detail?

  • Als Forschungsansatz dient das Indikatorensystem für schriftliche Befragung gemäß dem internationalen OECD-Forschungsprogramm „Measuring Social Capital“. Verbunden mit Testfragen nach Gesundheit, Befindlichkeit, Lebensqualität, Sense of Coherence und sozio-ökonomischen Erfolgsmerkmalen.
  • Die Erhebungen wurden bei der Gesamtheit der Bürger (Wahlberechtigte) dieses Stadtviertels durchgeführt und bewirken dadurch auch eine Bewusstseinsbildung (aktivierende Sozialkapitalforschung).

Was ist der direkt ableitbare Nutzen für die Stadt Wien im Detail?

  • Man erfährt mehr über die Wirkung sozialer Einbindungen in Familien- und Verwandtenkreis, Nachbarschaft, Freundeskreis, Vereine, Kirche und Politik
  • Ein Vergleich unterschiedlicher kommunaler Strukturen mit Stärken/ Schwächen-Analysen ist dadurch möglich.
  • Bei wiederholter Messung lassen sich direkt die Wirkungen von Maßnahmen evaluieren.

Welche Größenordnung hat diese Sozialkapital-Messung?

In dem Stadtviertel erfolgte eine Totalerhebung. Es wurden alle Bewohner/Wahlberechitgte ab dem 16. Lebensjahr schriftlich befragt.

Empirische Ergebnisse / Samplestruktur

Im Folgenden werden ausgewählte Ergebnisse der statistischen Datenanalyse der Sozialkapital-Messung im Fasanviertel dargestellt – ein separater, umfangreicher Tabellenband gibt Aufschluss über Detailergebnisse. Innerhalb der vorgesehen Rücklaufzeit des postalisch ausgeschickten Fragebogens an 9.118 Haushalte im Fasanviertel konnten 748 Interviews für die Datenauswertung berücksichtigt werden. Somit ergibt sich eine Rücklaufquote von 8,2%. Von den 748 RespondentInnen entfallen 62% auf Frauen, 38% auf Männer.

Sozialkapital

  • Mikroebene
Das Sozialkapital auf der Mikroebene, also nahestehende Personen, die in Krisen, Schwierigkeiten und Notlagen helfen, denen man selbst auch helfen würden und bei denen man ganz offen sein kann, ist bei 45% eher schwach ausgeprägt, bei 55% eher stark. Am häufigsten wird angegeben, dass es 4-9 solcher Personen gibt (41%), gefolgt von 2-3 Personen (36%). In diesem Zusammenhang wurden die RespondentInnen gebeten anzugeben, wo sich diese nahestehenden Personen befinden: dabei zeigt sich, dass 89% meinen, solche Personen in „Familie/Partnerschaft“ zu haben, 70% geben solche Personen in Freundes- und Bekanntenkreis außerhalb des Fasanviertels an (im Freundes- und Bekanntenkreis innerhalb des Fasanviertels dagegen nur 23%).

  • Mesoebene
Das Sozialkapital auf der Mesoebene, also Menschen, die nicht so nahe stehen und vertraut sind, mit denen man aber doch immer wieder zusammen kommt, ist bei 46% eher schwach ausgeprägt, bei 54% eher stark (also ganz ähnlich wie auf der Mikroebene). Auffällig ist, dass die RespondentInnen in der Jacquingasse zu 69% über ein starkes Sozialkapital auf der Mesoebene verfügen, während der entsprechende Prozentsatz im Rest des Fasanviertels genau am Durchschnitt von 54% liegt.

Am häufigsten wird angegeben, dass es 11-30 solcher Personen gibt (35%), gefolgt von 4-10 Personen (28%). Auch hier wurden die RespondentInnen gebeten anzugeben, wo sich diese Personen befinden: dabei zeigt sich, dass 51% meinen, solche Personen in „Kollegenkreis“ zu haben, 42% geben solche Personen in der „entfernteren Verwandtschaft“ an.

Zusätzlich wurde auch erhoben, wo sich dieser Bekanntenkreis befindet: Dabei zeigt sich, dass sich diese Personen mehrheitlich außerhalb des Fasanviertels befinden (72%). Mehrheitlich innerhalb des Fasanviertels befinden sich diese Personen nur bei 5% der RespondentInnen.

  • Makroebene
Das Sozialkapital auf der Makroebene, also die Häufigkeit des Erlebens von „starken Gefühlen“ der Begeisterung für eine große Sache oder eine große Persönlichkeit bei Festen und Feiern, bei Zusammenkünften oder auch für sich allein, ist bei 69% eher schwach ausgeprägt, bei 31% eher stark). Am häufigsten wird angegeben, dass dies „ein paar Mal im Jahr“ geschieht (30%), gefolgt von „ein paar Mal im Leben (27%).

Die in diesem Zusammenhang am häufigsten genannten Bereiche der Verbundenheit mit geistigen Gemeinschaften und Ideen sind „Kunst/Literatur/Musik“ mit 80%, „Beruf/Arbeit/Bildung“ mit 75% und „Sport/Hobby“ mit 68%. Die „Kirche“ schneidet mit 33% verhältnismäßig schlecht ab.

Vertrauen in Institutionen und demokratiepolitische Einstellungen

Betrachtet man die Mittelwerte zur Frage nach dem Vertrauen in Institutionen auf einer Skala von 1-5 (1=sehr großes Vertrauen, 5=kein Vertrauen) wird deutlich, dass die RespondentInnen dem „Bildungssystem“ das größte Vertrauen ausgesprochen wird (2,65). Danach folgen „Krankenkasse/Pensionssystem“ mit 2,81 sowie „Politisches System im 3. Bezirk“ und „Justiz/Polizei“ mit jeweils 2,94. Das geringste Vertrauen wird den Medien (Zeitungen/Fernsehen) entgegengebracht (Mittelwert jeweils ca. 3,4).

Im direkten Vergleich von „Staatlichen Institutionen“, „Privatwirtschaftlichen Unternehmungen“ und NGOs hinsichtlich des in sie gesetzten Vertrauens zeigt sich, dass den NGOs das meiste Vertrauen entgegengebracht wird (2,24), gefolgt von „Staatlichen Institutionen“ (2,87) und „Privatwirtschaftlichen Unternehmungen“ (3,12).

Die Wichtigkeit von Wahlen beurteilen die FasanviertlerInnen wie folgt: Nationalratswahlen halten 75% für zumindest „wichtig“, Gemeinderatswahlen“ 63%, Wahlen zum EU-Parlament nur 53%.

Identifikation auf lokaler, regionaler und überregionaler Ebene

Hinsichtlich der persönlichen Identifikation wird deutlich, dass sich ca. drei Viertel der RespondentInnen zumindest „stark“ als „ÖsterreicherIn“ fühlen (59% derer, die als Herkunftsland Österreich angeben, aber nur 15% mit einer anderen Herkunft);

als „EuropäerIn“ etwas mehr als zwei Drittel (RespondentInnen mit einer anderen Herkunft als der österreichischen sogar ca. drei Viertel), als „WienerIn“ 58% (RespondentInnen mit einer anderen Herkunft als der österreichischen aber nur 42%) und als „FasanviertlerIn 31% (dieser Nennungsanteil steigt signifikant mit einer längeren Ansässigkeit der RespondentInnen im Wohnviertel).

Psychosoziale Befindlichkeit & Lebensqualität

Mehr als 80% der FasanviertlerInnen sehen zumindest „meistens“ einen Lebenssinn bzw. –zweck (bei Selbstständigen tun dies sogar über 90%), nur 17% erleben „öfter“ Enttäuschungen und lediglich 7% Unsicherheit in ungewohnten Situationen. Die aktuelle Befindlichkeit bzw. Gefühlslage beurteilen 42% mit „meistens fröhlich“, 34% mit „wechselnd“, 24% mit „fröhlich, ausgeglichen, glücklich“ und nur 1% mit „immer unglücklich“. Die Bewertung von bestimmten Aspekten des Lebens (auf einer Schulnotenskala von 1-5) ergibt, dass lediglich 49% der RespondentInnen angeben, dass die „Lebensqualität im Fasanviertel zumindest „gut“ ist (und zwar relativ unabhängig von der Dauer der Ansässigkeit im Viertel). Im Vergleich dazu wird die „Lebensqualität im dritten Bezirk“ von 68% als gut beurteilt, die „Lebensqualität in Wien“ sogar von 79%. Die schlechteste Bewertung erfahren die Bereiche der „finanziellen Verhältnisse (Auskommen mit dem Geld)“, den nur 58% als gut einstufen, sowie „Freizeitaktivitäten/Erholung/Sport/Hobbys“ (62%).

Epilog

Diese nun durchgeführte Sozialkapitalmessung soll eine der Grundlagen für die Gemeinwesen- und Sozialraumarbeit der Wiener Gebietsbetreuung in diesem Stadtviertel sein und nachhaltig zur Stärkung des Miteinanders und des sozialen Zusammenhalts beitragen.

Umsetzungsmaßnahmen werden von der GB3/Stadterneuerung geplant und durchgeführt. Das socialcap.at-Team wirkt hiezu beratend mit.

Um die Wirkung der durchgeführten Maßnahmen darzustellen (Evaluation) und eventuelle Anpassungen der durchgeführten Arbeit (im Sinne eines lernenden Systems) vornehmen zu können, ist eine weitere Sozialkapital-Erhebung in ca. zwei Jahren zu empfehlen.
Fakten