Brandverhalten von Grünfassaden in großmaßstäblichen Versuchen

Ausgangslage

In den letzten Jahren hat sich sehr viel getan in der Forcierung von Fassadenbegrünungen in Wien – nicht zuletzt durch die Entwicklung von brandschutztechnischen Anforderungen, die einerseits das brandschutztechnische Schutzniveau an Fassaden, andererseits mindestens in gleichem Interesse die Ermöglichung maximaler Begrünungsflächen innerhalb dieses Rahmens im Auge hatte. So ist heute möglich, was vor einigen Jahren noch weit entfernt schien: basierend auf einer Richtlinie der MA 37 – KSB (Baupolizei – Kompetenzstelle Brandschutz), downloadbar unter
https://www.wien.gv.at/wohnen/baupolizei/pdf/fassadenbegruenung-2021.pdf, eine Vielzahl von Begrünungskonstruktionen an die Fassade zu bringen, ohne das brandschutztechnische Risiko signifikant zu erhöhen. Diese umfassen sowohl bodengebundene Systeme als auch fassadengebundene Systeme, es werden Trogkonstruktionen ebenso behandelt wie beispielsweise vor die Fassade vorgesetzte Rankkonstruktionen.

Da Fassadenbegrünungen weiterhin einen Mosaikstein im Kampf mit städtischen Hitzeinseln darstellen und über bisher begrünte Flächen an Fassaden hinausgehendes Potenzial vorhanden ist, gibt sich die Wiener Stadtverwaltung mit den bisher erarbeiteten Lösungen selbstverständlich nicht zufrieden. Deswegen hat, federführend die Prüf-, Inspektions- und Zertifizierungsstelle (MA 39), gefördert durch die Wohnbauforschung der MA 50, und in laufendem fachlichen Austausch mit der MA 37 – KSB bzw. der Abteilung Feuerwehr und Katastrophenschutz (MA 68), das in diesem Bericht beschriebene Forschungspaket zum Brandverhalten von Fassadenbegrünungen im Jahr 2021 in Gang gesetzt.
 
Nach umfangreicher Selbstreflexion innerhalb der technischen Dienststellen der Stadt, aber auch aufbauend auf dem Feedback, das von Fassadenbegrünungserrichter*innen, Planer*innen, Architekt*innen oder von Brandschutzsachverständigen nach Veröffentlichung der o.a. Richtlinie an die Stadtverwaltung herangetragen wurde, wurde die Abstimmung getroffen, dass sich das gegenständliche Forschungsprojekt hauptsächlich mit Brandprüfungen im Zusammenspiel von Außenwand-Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) mit brennbaren Dämmstoffen und auf diese montierte Begrünungen beschäftigen sollte.


Zielsetzung

Ziel dieser Studie ist es daher, festzustellen, inwieweit die Begrünung ein für die Wärmedämmung eines Gebäudes appliziertes WDVS mit dem brennbaren Dämmstoff EPS (expandiertes Polystyrol) in seinem Brandverhalten beeinflusst. Möglich erscheint etwa, dass durch die Montage der Begrünungskonstruktion an der massiven Außenwand durch das WDVS hindurch Wärme in den brennbaren Dämmstoff geleitet wird, und es dadurch zu vermehrten thermischen Schädigungen am WDVS kommt.

Zur weiteren prüftechnischen Absicherung bisheriger Anforderungen sollte darüber hinaus eine Begrünung bewusst zum Brennen gebracht und untersucht werden, ob die in der Richtlinie definierte Brandabschottung eine aus dem Mitbrand folgende Brandweiterleitung wirksam einschränkt.


Methodik

Für die großmaßstäblichen Brandversuche wurde das Brandszenario in Anlehnung an ÖNORM B 3800-5 (Brandverhalten von Baustoffen und Bauteilen, Teil 5: Brandverhalten von Fassaden - Anforderungen, Prüfungen und Beurteilungen) gewählt. Als angenommenes Szenario dient ein Vollbrand in einem Raum, der aus einem Fenster ausbricht und die anliegende Fassade angreift.

Zur Beurteilung wird jener Beitrag zur Brandausbreitung herangezogen, den die gegenständliche Fassadengestaltung (Form, Baustoffe, Montagesysteme u. a.) zusätzlich zur stets vorhandenen Ausbreitung bietet. Als Brandlast wird eine 25 kg schwere Fichtenholzkrippe verwendet.

Beurteilungskriterien sind dabei
  • die Brandausbreitung entlang der Fassadenbegrünung und
  • das Abfallen großer und/oder brennender Teile der Fassadenkonstruktion.
 
Insgesamt wurden fünf Großbrandversuche durchgeführt, wobei bei zwei Versuchen die Brandlast bewusst verdoppelt wurde (zwei Krippen zu je 25 kg Fichtenholz), um einerseits die Begrünung bewusst zur Brandweiterleitung anzuregen und um andererseits eine erhöhte Brandlast auf Balkonen, Loggien, etc. darstellen zu können.
 
Ergebnisse

Bei keinem der Versuche konnte festgestellt werden, dass durch die Montage diverser Begrünungskonstruktionen mittels metallischer Gewindestangen ein derartiger Temperatureintrag in die angebrachten EPS-WDVS stattfand, dass es zu einem brandschutztechnischen Versagen des Wärmedämmverbundsystems kam. Selbst bei bewusst mangelhaft angebrachten Unterkonstruktionen (z.B. offener Ringspalt bei durch das WDVS geführten Gewindestangen) war dies zu erkennen. Dies alles gilt unter der Voraussetzung, dass sowohl die Begrünung als auch das WDVS über die erforderlichen Brandschutzmaßnahmen verfügt (Brandabschottungen bzw. Brandschutzriegel). In allen Fällen erfüllten die im WDVS eingebauten, normativ vorgesehenen Steinwolle-Brandschutzriegel ihre Funktion.

Als Maximaltemperaturen wurden an den metallischen Unterkonstruktionen bei den Begrünungströgen ca. 180°C gemessen, bei den Gewindestangen der vorgesetzten Rankhilfen, die unmittelbar dem Stützfeuer ausgesetzt waren, ca. 450°C.

Klar erkennbar war weiters, dass die in der Richtlinie der MA 37 – KSB definierte Ausführung der Brandabschottungen mit mindestens 10 cm Überstand über den äußeren Rand der Begrünung ihre Funktion erfüllt. Zudem wurde festgestellt: werden die in der Richtlinie definierten Abstände bzw. Wuchstiefen nicht eingehalten, ist eine nach ÖNORM B 3800-5 unzulässige Brandweiterleitung nach oben hin über die Begrünung grundsätzlich möglich.

Weiters war – wie bei allen Brandversuchen zuvor - bei keinem der Versuche ein Herabfallen von großen oder brennenden Teilen zu beobachten, ebenso spielte auch eine seitliche Brandweiterleitung keine signifikante Rolle.

Weitere Schritte

Als Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen der Versuche lassen sich seitens der MA 39 folgende Punkte anführen: 
  • Die Applikation von Fassadenbegrünungen auf bestehende oder gemeinsam mit der Begrünung errichtete, hinter der Begrünung liegende WDVS mit brennbarem Dämmstoff führt zu keiner negativen Beeinflussung der brandschutztechnischen Leistung des WDVS – wenn beide Systeme konstruktiv entsprechend der brandschutztechnischen Anforderungen ausgebildet wurden (z.B. Brandabschottungen bzw. Mineralwollbrandriegel). Der (punktuelle) Temperatureintrag über die metallische Unterkonstruktion in das WDVS reicht nicht aus, um ein signifikant anderes Brandverhalten des brennbaren Dämmstoffes zu bewirken. Unabhängig davon ist selbstverständlich auf eine fachgerechte Montage beider Systeme, insbesondere im Bereich der Durchdringung der Oberfläche des WDVS durch die metallische Unterkonstruktion zu achten.
  • Die in der Richtlinie der MA 37 – KSB definierten Brandabschottungen halten einem (in diesem Projekt bewusst hervorgerufenen) Mitbrand der Fassadenbegrünung stand. Es ist bei dem in der ÖNORM B 3800-5 definierten Brandszenario (Schutzziel ist das zweite über dem Primärbrandherd liegende Geschoß) an der Fassade davon auszugehen, dass eine wirksame Einschränkung der Brandweiterleitung über die Fassadenbegrünung bei Installation von Brandabschottungen erfolgt.
  • Weiterhin gilt: Fassadenbegrünungen sind fachgerecht zu pflegen und in einem vitalen, funktionalen Zustand zu erhalten (Bauwerksbuch, eindeutige Regelung der Zuständigkeit für Pflege und Erhaltung der Begrünung). Erforderliche Pflegemaßnahmen sind bereits in der Planung zu berücksichtigen und gegebenenfalls im Bauwerksbuch festzuhalten. Als Anhaltspunkt für die fachgerechte Durchführung von Pflegemaßnahmen kann die mittlerweile erschienene ÖNORM L 1136 herangezogen werden. Zusätzlich zu den dort definierten Maßnahmen ist insbesondere auf die Wuchstiefe der Pflanzen bzw. auf die in der brandschutztechnischen Richtlinie festgeschriebenen Randbedingungen zur Ausbreitung der Begrünung zu achten. Wächst die Begrünung in den definierten „Brandschutzkorridor“ von 10 cm oder gar über eine Brandabschottung, so kann das Schutzziel der wirksamen Einschränkung der Brandweiterleitung nicht mehr als erfüllt angenommen werden und ist im Brandfall mit einer Brandweiterleitung über mehrere Geschoße zu rechnen.
Diese Schlussfolgerungen aus den Versuchen wurden zum Abschluss des Projektes mit den Expert*innen zum Thema diskutiert, sodass im Jahr 2022 damit zu rechnen ist, dass eine überarbeitete Richtlinie der MA 37 – KSB erscheinen wird, die unter anderem die Erkenntnisse aus dieser Studie beinhalten wird. Weitere Begrünungsmaßnahmen vor allem im Zusammenhang mit Wärmedämmverbundsystemen werden dann möglich sein.
Fakten
  • Projektträger
    Prüf-, Inspektions- und Zertifizierungsstelle der Stadt Wien
    (Magistratsabteilung 39)
    Rinnböckstraße 15/2
    1110 Wien
  • Verfasser*innen
    Dipl.-Ing. Dieter Werner, MSc, Leiter des Bauphysiklabors der MA 39
    Dipl.-Ing. Georg Pommer, Leiter der MA 39
    Ing.in Veronika Goubran
    Durchführung der Brandversuche: Dipl.-HTL-Ing. Kurt Danzinger, MSc
    Ing. Stephan Pomper und Mag.a Dipl.-Ing.in Edith Grüner
  • Downloads
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    Kurzfassung 126.14 KB
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