Circular Housing
Ansätze zur Verankerung der Prinzipien kreislauffähigen Bauens im Wohnungsneubau

Die steigende Nachfrage nach Rohstoffen, die Endlichkeit materieller Ressourcen und die Auswirkungen der Rohstoffgewinnung und -verwendung auf die Umwelt (Stichwort CO2-Emissionen) machen deutlich, dass das Thema Ressourcenschonung wesentlich stärker als bisher in den Fokus der wirtschafts- und klimapolitischen Betrachtung rücken muss. Dem Bauwesen kommt dabei aufgrund des hohen Rohstoffeinsatzes eine Schlüsselrolle in der Umsetzung von Ressourceneffizienz zu. Die Kreislaufwirtschaft zielt darauf ab, die Wertschöpfung vom Verbrauch endlicher Ressourcen abzukoppeln. Von der Europäischen Kommission wurde die Kreislaufwirtschaft daher im Rahmen des European Green Deals als das Instrument genannt, mit dem die Gestaltung einer nachhaltigen und ressourcenschonenden gebauten Umwelt gelingen soll.

Kreislauffähigkeit beginnt bei der Planung. Erfahrungen in der Praxis haben gezeigt, dass bereits auf städtebaulicher Ebene relevante Entscheidungen dahingehend getroffen werden müssen. Wie Aspekte des „zirkulären Wirtschaftens“ in das Zielsystem und Qualitätsmanagement des geförderten bzw. durch den Qualitätsbeirat begleiteten Wohnbaus integriert werden können, ist Inhalt des vorliegenden Wohnbauforschungsprojekts.

Dafür wurden folgende Schritte gesetzt bzw. Kernergebnisse erzielt:

Referenzsystem für kreislauffähiges Bauen

Wodurch zeichnen sich kreislauffähige Gebäude aus? Und welche Qualitäten tragen konkret zur Steigerung des „Kreislaufpotenzials“ von Wohnbauten bei? Um dies festzumachen, wurde ein „Referenzsystem“ entwickelt. Dieses beinhaltet die Erfolgsfaktoren, die für die Umsetzung zirkulärer Prinzipien relevant sind und definiert die Handlungsfelder, bei denen angesetzt werden muss. Den Handlungsfeldern werden konkrete „Hebel“ und deren jeweilige „Wirkungsweise“ zugeordnet.

Status Quo im Qualitätsmanagement und aktuelle Defizite

Inwieweit sind Aspekte des kreislauffähigen Bauens bereits heute im Qualitätsmanagement des geförderten Wohnbaus verankert? Wo besteht Nachschärfungsbedarf und welche Präzisierungen braucht es dafür? Zur Klärung dieser Fragen, wurden die drei wesentlichen Ebenen des Qualitätsmanagements des geförderten Wohnbaus gescreent: Der aktuelle Rechtsrahmen, das 4-Säulen-Modell sowie qualitätssichernde Prozesse. Kernergebnis: In allen 4 Säulen gibt es zwar bereits Qualitätsvorgaben, die kreislauffähige Aspekte zumindest im Ansatz bzw. in unterschiedlichen Regelungstiefen abbilden, zur systematisierten Verankerung der Thematik bedarf es aber einer weitaus stärkeren Integration der Prinzipien des kreislauffähigen Bauens – auch was die rechtliche und prozessuale Ebene betrifft.


Game Changer oder Game Over1

Die gewonnenen Erkenntnisse und Einschätzungen wurden zu sechs Barrieren zusammengefasst, die einem kreislauffähigen Wohnbau derzeit entgegenstehen. Jeder dieser Hürden, die leicht zum Scheitern des zirkulären Gedankens führen können („Game Over“), wurde ein innovativer Handlungsansatz, also ein „Game Changer“, gegenübergestellt, der geltende Regeln hinterfragt, Vorschläge für neue Mechanismen macht und so zur schrittweisen Implementierung der Kreislaufwirtschaft im Qualitätsmanagement des geförderten Wohnbaus beiträgt.

Herausforderungen und Lösungsansätze im Überblick:

01.   Ziele vorgeben, Wissen aufbauen, Kooperationen eingehen
…denn noch ist der kreislauffähige Ansatz für viele neu!

Um den für viele neuen Ansatz der lebenszyklusorientierten Planung zukünftig zu forcieren, ist es unumgänglich, im Know-how-Aufbau anzusetzen. Der „geförderte Wohnbau“ kann hier auf unterschiedlichen Ebenen einen wertvollen Beitrag leisten und eine Vorreiter*innen-Rolle einnehmen. Das bedeutet: Ziele und Erwartungen im Hinblick auf die Kreislauffähigkeit klar formulieren, „gebaute Erfahrungen“ systematisieren, nicht realisierte Konzepte evaluieren und Bauträgerwettbewerbe verstärkt dafür nutzen, neue Kooperationen einzugehen, innovative „Kreislauf-Geschäftsmodelle“ zu testen und so zur Vereinbarkeit von Leistbarkeit und Kreislauffähigkeit beizutragen.

02.   Wirtschaftlichkeit an Lebenszykluskosten orientieren
…denn aktuell entscheiden die Baukosten über Leistbarkeit!

Um die Rentabilität der nach Prinzipien der Kreislaufwirtschaft geplanten und errichteten Gebäude darstellen zu können, ist die Kostenbetrachtung auf den gesamten Lebenszyklus (inkl. der End-of-Life-Kosten) auszuweiten. Heißt auch: Die „Wirtschaftlichkeit“ (und somit die Leistbarkeit) von Wohnbauten ist nicht wie bisher (ausschließlich) anhand der Baukosten, sondern der Lebenszykluskosten zu beurteilen.

03.   Zirkularität konkretisieren und stärker verankern
…denn derzeit sind die Qualitätsansprüche (zu) offen formuliert!

Um die Zirkularität in den Qualitätsvorgaben stärker verankern zu können, wird eine Re-Strukturierung des bestehenden Qualitätssystems (4-Säulen-Modell) und die Etablierung eines ganzheitlichen „Qualitätsprofils“ vorgeschlagen. Wie so ein gesamthaftes Qualitätsprofil aussehen könnte, das die Zielvorgaben und Möglichkeiten der Nachweiserbringung im Hinblick auf kreislauffähiges Bauen in voller Breite abbildet, ist Kernergebnis des Projekts.

04.   Zirkularität fördern, dazu in der Bewertung hoch gewichten
…entgegengesetzt dem aktuellen Prinzip der Ausgewogenheit!

Um eine schrittweise Annäherung an das Thema „Circular Housing“ zu ermöglichen und gleichzeitig zirkuläre Prinzipien stärker im Kreativprozess einzufordern, wird ein Konzept zur „fokussierten Schwerpunktsetzung“ im Bauträgerwettbewerb vorschlagen: Themenschwerpunkte orientieren sich an den Erfolgsfaktoren für das kreislauffähige Bauen; die für den jeweiligen Erfolgsfaktor relevanten Handlungsfelder und Hebel fließen bedeutend stärker in die Beurteilung ein als die übrigen Kriterien.

05.   Das Weitertragen der Qualitäten im Prozess garantieren
…da die Schnittstelle immer der Knackpunkt ist!

Um ein konsistentes Weitertragen der Qualitäten der Kreislaufwirtschaft im Prozess sicherzustellen, wird vorgeschlagen, den aktuellen linearen Qualitätssicherungsprozess zu einer „kooperativen Struktur“ aufzuwerten. Das heißt: das Qualitätsmanagement nicht mit der Fertigstellung der Gebäude enden zu lassen, sondern in der Phase der Inbetriebnahme, Erstbesiedlung und Nutzung konsequent weiterzuführen und dabei sämtliche Wissensträger*innen (u.a. auch engagierte Hausverwalter*innen, Nutzer*innen und Fachexpert*innen) stärker zu involvieren. Das Qualitätsprofil gilt als konstante Richtschnur und wird im Zuge des Prozesses von Projektphase zu Projektphase weitergereicht, um in jeder Phase sichtbar zu machen, auf welche Qualitäten sich das vorliegende Projekt stützt.

06.   Zur Aufwandsreduktion Leistungserbringung staffeln
…da Qualitätssicherung ressourcenintensiv ist!

Um zu gewährleisten, dass der Nachweis über die Qualitäten mit einem vertretbaren Ressourcenaufwand geleistet werden kann, wird eine Staffelung der Nachweiserbringung vorgeschlagen – entlang von Schwellenwerten und/oder durch die Nutzung mehrstufiger Wettbewerbsverfahren. Vorbild für die progressive Leistungserbringung ist der „Level(s)-Mehrebenen-Ansatz“, der die Leistungsbewertung in drei aufeinanderfolgenden Stufen – konzeptionell, detailliert und im Betrieb – einfordert.


1Aussage (in einem anderen Kontext) © Martin Radjaby-Rasset


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