Freiräume im geförderten Wohnbau

Fallstudien aus Wien

Im geförderten Wohnbau hat die Ausstattung mit Freiräumen im letzten Jahrzehnt zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Nachfrage nach selbst bestimmtem, gemeinschaftsorientiertem und generationenübergreifendem Wohnen steigt. Familien mit Kindern, Alleinerziehende und Senioren stellen Anforderungen, aus denen vielschichtige Kombinationen und Überlagerungen von Nutzungen im Außenraum entstehen. Infolge von Migration und veränderten Arbeitsverhältnissen ergeben sich im Wohnungsbau zusätzliche Herausforderungen, die sich zwangsläufig im Freiraum abbilden.

Die Planung der Außenanlagen entfaltet sich vor diesem komplexen, zum Teil widersprüchlichen Hintergrund und muss nach einer Ausweitung des Angebotes suchen: auf Dachflächen, Terrassen und differenziert gestalteten, mehrfach nutzbaren Erschließungsräumen. Zusätzliche Impulse haben thematische Schwerpunkte in Bauträgerwettbewerben gebracht, die zu neuen Lösungen im geförderten Wohnbau geführt haben.

Die Resultate der letzten Jahre sind unterschiedlich, sowohl in der Gestaltung, in der Aneignung, als auch in Management und Instandhaltung der Außenanlagen. Der erhöhte Stellenwert der Freiflächen im geförderten Wohnbau geht jedoch mit keinem signifikanten Zuwachs an finanziellen Mitteln einher. Umso wichtiger wird daher die Frage, welche Konstellationen und Lösungen in der Freiraumgestaltung sich im alltäglichen Gebrauch bewähren und als entwicklungsfähig zeigen.

Die Studie liefert eine qualitative Analyse ausgewählter Freiraumgestaltungen im geförderten Wohnbau der letzten zehn Jahre. Sie geht der prinzipiellen Fragestellung nach, welche gestalterischen Ansätze, welche Bilder, aber auch welche organisatorischen Randbedingungen sich im Alltag als tragfähig und welche sich als eher hemmend erweisen. Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie steht die Aneignung der Freiräume durch die Bewohner bzw. durch andere die jeweiligen Freiflächen nutzenden Personen. Der Alltag unterschiedlich gestalteter Freiräume wird als komplexe Verschränkung aus räumlich-baulichen, vegetabilen sowie sozialen und organisatorischen Variablen beschrieben und analysiert. Es geht um die Darstellung von jeweils spezifischen Konstellationen des sichtbaren und unsichtbaren Designs im Freiraum, die für künftige Planungen Orientierungspunkte bieten können.

Vor diesem Hintergrund galt es im Rahmen einer qualitativen Studie eine möglichst große Bandbreite an Konstellationen zu erfassen. Anspruchsvolle Freiraumgestaltung im Sinne besonderer konzeptioneller Ansätze oder außergewöhnlicher Lösungen waren ebenso gesucht wie unübliche Rahmenbedingungen und experimentelle Versuche, die sich zumindest indirekt auch im Freiraum niederschlagen. Daneben wurden auch schlichtere, durchaus qualitätvolle, aber auf ersten Blick unauffällige Beispiele berücksichtigt. Spezielle Aufmerksamkeit wurde dem städtischen Kontext, den flankierenden Freiraumangeboten als intervenierende Größe im Alltag der Wohnhausanlagen gewidmet. Insgesamt wurden in der Studie 14 Objekte untersucht. 13 Objekte sind in den letzten zehn Jahren entstanden, sieben als Ergebnis eines Bauträgerwettbewerbes.

Die ausgewählten Anlagen wurden jeweils in einer intensiven Fallstudie erfasst. Ausgehend von der Erhebung objektiver Strukturmerkmale, Planunterlagen und vorhandener Literatur kamen in erster Linie qualitative Methoden zur Anwendung.
Jede Anlage wurde über einen Zeitraum mehrerer Wochen zu verschiedenen Jahres- und Tageszeiten in Form teilnehmender Beobachtung untersucht. Daneben wurden Realkontaktbefragungen sowie gezielte Befragungen mit engagierten Bewohnern, Hausmanagern bzw. den zuständigen Hausarbeitern durchgeführt, um die Beobachtungen und Eindrücke abzurunden, zu ergänzen oder zu relativieren.

Aus den Fallbeispielen und vertiefenden Analysen ergibt sich ein Geflecht aus Ergebnissen und Informationen, die sich beim Leser zu einem Ganzen zusammenfügen. Darüber hinaus lassen sich aus einer Vielzahl an Detailresultaten verallgemeinerbare Schlüsse ziehen, die für zukünftige Projekte von Interesse
sind - in Bezug auf das sichtbare, aber auch bezüglich des unsichtbaren Designs von Freiräumen im geförderten Wohnbau. So gewinnt ein engagiertes soziales Management, angesichts der wachsenden Herausforderungen im Freiraum zunehmend an Bedeutung. Die Fallstudien zeigen unterschiedliche Lösungsansätze, wobei sich ein neues Anforderungsprofil herausbildet: der Hausmanager als kommunikativ kompetente Schlüsselperson.

Gerade aus der Tatsache, dass viele neuere Anlagen allgemein zugänglich sind, entstehen besondere, vielfach unterschätzte Herausforderungen: Aufgrund des großen Nutzungsdrucks und einer beträchtlichen Vandalisierungsbereitschaft ist in solchen Wohnkomplexen die innere räumliche Ausdifferenzierung des Freiraumes besonderen Belastungen ausgesetzt. Diese können eine Wohnanlage unschwer aus dem sozialen Gleichgewicht bringen, wenn nicht von Anfang an ein effizientes begleitendes Management bereitgestellt wird. Die Fallstudien legen nahe, diesem grundlegenden Aspekt der Offenheit, gerade auch unter Architekten und Landschaftsarchitekten, mit einem "unverkrampften" Blick auf die alltägliche Realität zu begegnen.

Als ein Indiz für die Elastizität und potentielle Belastbarkeit einer Anlage kann das Hinauslehnen des Privaten in den Bereich des Gemeinschaftlichen und umgekehrt angesehen werden. Dies wird durch klare Grenzen begünstigt, die innerhalb bestimmter Freiheitsgrade variabel interpretiert werden können: durch Schwellen, die klar lesbar sind und gegebenenfalls respektiert werden. Eine überlappende Praxis der Öffentlichkeitssphären und ein damit stets verbundenes Aushandeln der Grenzen gelingt leichter und reibungsloser, wenn eine Anlage qualitativ ähnlich ausgestattete Freiflächen auf mehreren Geschossen anbieten kann, die nur den Bewohnern zugänglich sind.

Prononciert landschaftsarchitektonische Gestaltungen eröffnen darüber hinaus die Chance, neben den klassischen Funktionen und Nutzungen andere Kriterien räumlicher Gliederung anzuwenden: Den Freiraum nach eher atmosphärischen Gesichtspunkten zu ordnen bei gleichzeitiger Erfüllung der gängigen Funktionsansprüche. Zudem zeigt sich, dass eine derartige Vorgehensweise, insbesondere als Strategie über mehrere Ebenen, beispielsweise im Erdgeschoss und am Dach, zur Ausbildung leiser und lauter, in ihrer Stimmung facettenreicher Bereiche führen kann. Solche Angebote erweisen sich als überraschend elastisch und flexibel, und gerade aufgrund der Staffelung über verschiedene Stockwerke als komplementär nutzbar.

In beengten Verhältnissen dichter Bebauung entstehen durch eine Einschränkung des funktionalen Angebotes mitunter innovative Freiraumlösungen. Diese Paradoxie, aus weniger gleichsam mehr zu schaffen, kann zu durchaus tragfähigen Gestaltungen führen: z.B. durch prononciert gärtnerische Entwürfe von ruhigen Räumen mit spezifischer Anmutung und besonderem Naturbild. Allerdings sind solche Strategien zwangsläufig mit der Auslagerung gewisser Aktivitäten verbunden.

Angesichts durchaus beachtlicher Entwicklungen im Bereich der Freiraumgestaltung ist auffallend, dass Kinderspielflächen hiervon weitgehend ausgenommen sind. Diese Situation spiegelt sich in den Fallstudien, die diesbezüglich (bis auf einige Teilaspekte) wenige innovative Ansätze zeigen: zum Beispiel kaum markant skulpturale oder naturnahe Spiellandschaften. Die Gestaltung der Kinderspielplätze folgt einem engen Kanon an Angeboten, Vorkehrungen und Sicherheiten. Was gar nicht angedacht und angeboten wird, ist ein Hauch von Abenteuer, ein kalkuliertes Risiko - Spielen als Möglichkeit des Entdeckens. Spielmöglichkeiten, die sowohl für Erwachsene wie Kinder attraktiv wären, sind auch bei ausreichender Fläche nicht vorhanden, obwohl ein Bedarf danach besteht (z.B. Beach-Volleyball).

Jugendliche erweisen sich als die eigentlichen Stiefkinder der Freiraumgestaltung. Ihr Bedarf nach spezifischen Bewegungs- und Aufenthaltsflächen findet in der Planung und Ausstattung kaum Berücksichtigung. Diese Bewohnergruppe ist zumeist auf die Umnutzung bestehender Einrichtungen und Gerätschaften angewiesen. Es zeigt sich indes, dass privat organisierte gemeinschaftliche Flächen sehr großen Anklang finden und auch für Jugendliche attraktiv sein können. Eine unkonventionelle Perspektive im Wohnbau, die Impulse für neue Lösungsansätze liefern könnte, etwa in Stadterweiterungsgebieten.

Gerade in Bezug auf die Aneignung der Freiräume durch Jugendliche und Kinder fällt auf, dass Nutzung an sich noch kein hinreichendes Qualitätsmerkmal darstellt. Auch in Anlagen mit sehr intensiver Nutzung kann der Wunsch nach einer anderen Gestaltung gegeben sein. Nichtvorhandener Gebrauch ist indes noch kein Hinweis auf mangelnde Qualität. So wird auch im geförderten Wohnbau die sinnliche Komponente des Außenraumes, etwa eines Gartenteiles im gemeinschaftlichen Bereich, als Wert (auch von Jugendlichen) geschätzt: Nämlich dann, wenn Pflanzen nicht als "defensives Grün" platziert werden, sondern als atmosphärisch prägendes Element. Die Fallstudien zeigen, dass eine in Teilen intensive Gartengestaltung als Kontrapunkt zu Bewegungsflächen durchaus gute Überlebenschancen hat. Wichtig ist eine von Beginn an erkennbare Qualität und Anmutung der pflanzlichen Substanz, die sich auf die Stimmung und den Aufforderungscharakter der Anlagen nachhaltig auswirken.

Die Freiraumgestaltung erweist sich als ein wichtiges Identität stiftendes Element im Wohnbau, das auch ein wesentliches Asset bei dessen Vermarktung bilden kann. Die Strategie, den Außenraum bewusst als ökonomischen Mehrwert zu begreifen und als Imageträger zu kommunizieren, entspricht einerseits der wachsenden Nachfrage seitens der Bewohner, andererseits erhöhen sich damit, wie es sich zeigt, die Chancen auf ein von Anfang an fix budgetiertes und gesichertes Investitionsvolumen.
Fakten
  • Projektträger
    "search and shape"
    institute for landscape / architecture / social anthropology
  • Projektleitung/Bearbeiter
    János Kárász
    Daniele Kárász
  • Laufzeit
    Februar bis Dezember 2006
  • Kontakt
    jk[at]auboeck-karasz.at
  • Downloads
  • Abstract 55.98 KB
    Projektbericht 10.11 MB