Hot Spots sozialer Konflikte und Gebietsbetreuung in Wiener Wohnhausanlagen

Die dieser Studie zugrundegelegte Hypothese war, dass es in Wien "hot spots" sozialer Konflikte oder zumindest Konfliktpotentiale gibt, die zum einen auf bestimmte Stadtteile und zum anderen auf bestimmte Wohnformen eingrenzbar sind. Ziel der Untersuchung war es daher zu erheben, welche Faktoren als belastende Einschränkungen der Lebensqualität erfahren werden, und vor allem, ob sich diese Faktoren in bestimmten Regionen im Stadtgebiet auf eine Weise überschneiden, dass dabei Brennpunkte nachhaltig wirksamer Konfliktpotenziale und damit unter Umständen besonders gefährdete Zonen entstehen.

Als Untersuchungsregionen wurden im Einvernehmen mit der Leitung der Geschäftsstelle Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung Wohnanlagen in fünf Stadteilen ausgewählt, in welchen vermutet werden konnte, dass die Wohn- und Lebenssituation von mehreren ungünstigen Faktoren zugleich bestimmt wird: zwei Gemeindebauten im 10. und einer im 21. Wiener Gemeindebezirk, ein Gemeindebau und eine private Wohnanlage im 20. Bezirk sowie mehrere private Wohnanlagen im 16. Bezirk. Als Auswahlkriterien für die 25 InterviewpartnerInnen wurden die Zugehörigkeit zur autochthonen bzw. zur zugewanderten Bevölkerung, die Zugehörigkeit zu verschiedenen Altersgruppen und das Geschlecht berücksichtigt.

Schwerpunktthemen waren die Erwartungen an "gutes Wohnen" und die Wohnzufriedenheit - in der Wohnung ebenso wie im Wohnumfeld -, konflikthafte Erfahrungen in Zusammenhang mit Wohnen, aber auch das Sicherheitsgefühl der Befragten in der Wohnumgebung sowie besondere Deprivationserfahrungen und Zukunftsängste. Damit wurde versucht, einen Überblick über verschiedene relevante Faktoren, die als Einschränkung der Lebensqualität erlebt werden, zu erhalten.

In der Untersuchung konnten keine "hot spots" sozialer Konflikte im Wiener Stadtgebiet ausfindig gemacht werden, die etwa mit der Pariser "banlieue" oder lokal identifizierbaren gefährdeten Zonen in anderen europäischen Großstädten vergleichbar sind. Es fanden sich zwar vielfach Konflikte, die nach dem Muster "Taten statt Worte" ausgetragen wurden, aber deutlich seltener bereits eskalierte Auseinandersetzungen. Konflikte, die so weit gehen, dass sie auf eine "Vernichtung des Feindes" zielen, waren nicht auszumachen. "Hot spots" sind Gebiete, die als gefährliche oder zumindest unsichere Orte empfunden werden, und als solche wurden die Interviewzonen durchgängig von niemandem wahrgenommen.

Sehr wohl aber wurden einerseits in fast allen Gesprächen Störungen beim "gutem Wohnen" konstatiert und andererseits fehlen Versuche zu deren kommunikativer Lösung weitgehend. Allerdings kann die Wohnpolitik nicht alleine die Voraussetzungen für ein "friedliches Zusammenleben" herstellen, sondern auch andere Politikbereiche sind davon berührt. Dies betrifft insbesondere den Status von MigrantInnen - von vielen InterviewpartnerInnen wurden "die Ausländer" als "das Problem" beim Zusammenwohnen gesehen. MigrantInnen bleiben "Fremde", denen alle Störungen zugeschrieben werden, und das ist ein Ausfluss dessen, dass sie, mit geringer Bildung und wenig Aufstiegschancen, sozial marginalisiert und deklassiert sind.

Die Zufriedenheit mit der Wohnung, also mit den eigenen vier Wänden, scheint nicht mit der Konfliktneigung zusammenzuhängen. Es gab unter den Befragten Personen, die mit ihrer Wohnung überaus zufrieden sind und keinesfalls ausziehen wollen, und doch regelmäßig an Konflikten beteiligt sind. Andererseits gab es auch InterviewpartnerInnen, die Kritik an der Wohnung äußerten, aber niemals einen Konflikt austragen. Die meisten Befragten bewegen sich zwischen diesen beiden Extremen.

Eine ausgeprägtere Rolle spielt dagegen die Identifikation mit der Wohnanlage, konkret mit dem Gemeindebau. Wo der Wohnanlage individuell ein Wert zugemessen wird, scheint es - auch wenn diese einen "schlechten Ruf" hat - zu einer hohen Identifikation zu kommen. Der hohe Wert kann zu einer insgesamt guten Wohnzufriedenheit führen, aber auch zu verstärkter Kritik- und Konfliktbereitschaft, die darauf zielen, das Schöne und Gute zu erhalten. Dort, wo die Anlage nicht in diesem Maße als schön und wertvoll empfunden wird, scheinen Beeinträchtigungen - etwas durch Schmutz - eine vergleichsweise geringere Rolle zu spielen.

Vor allem ältere Menschen oder Menschen, die länger in einer Anlage wohnen, nehmen wahr, dass das Image des Gemeindebaus in letzter Zeit eher gelitten hat. Manche GesprächspartnerInnen sind stolz auf die ursprüngliche Idee des Wiener Gemeindebaus und bedauern dessen gewandeltes Image, das vor allem durch Medienberichte beeinflusst wird. Die Identifikation fällt immer schwerer, damit geht jedoch ein selbstverständlicher Bestandteil des Lebens verloren.

Das Thema "Ausländer im Gemeindebau" spielt hier eine emotional stark besetzte Rolle. Ähnlich wie der Imageverlust für Stadtteile oder ganze Bezirke wird auch das sinkende Ansehen des Gemeindebaus mit dem Zuzug von "Ausländern" in Zusammenhang gebracht. Das Nebeneinander unterschiedlicher Lebensstile innerhalb ein und derselben Wohnanlage wird von manchen Menschen als sehr problematisch empfunden, gleichzeitig ist aber die eigentliche Konfliktlage dieser gemeinsamen Wohnsituation von gebürtigen ÖsterreicherInnen und Zugewanderten wenig konkret.

Insgesamt ist in den persönlich erlebten Konflikten und auch in denen, die als Zaungast beobachtet wurden, kaum etwas von systematischer Konfliktvermittlung zu bemerken. Auch das persönliche Eingreifen von Personen, die sich als Dritte mit der erkennbaren Absicht, in einem Streit zu vermitteln, einmischen, wird selten berichtet. Am häufigsten spielen oder spielten die HausmeisterInnen die Rolle dieses Dritten, allerdings nicht durchwegs im Sinne einer Lösung der anstehenden Konflikte, sondern oft auch als Konfliktauslöser - wobei allerdings die positiven Einschätzungen überwogen.

Besonders überraschend war, dass die Gebietsbetreuung kaum bekann ist: Von den 18 in Gemeindebauten lebenden InterviewpartnerInnen haben sich nur drei, alle gebürtige ÖsterreicherInnen, bisher an die Gebietsbetreuung gewandt, die meisten hatten von dieser Einrichtung offenkundig noch nie gehört.

Die Analyse der in den Interviews sichtbar gewordenen Konfliktpotentiale, des Umgangs mit Konflikten und der Erwartungen der Befragten mündet in Empfehlungen an das Wohnbauressort der Stadt Wien, mit denen Voraussetzungen dafür geschaffen werden können, tatsächlichen und potenziellen sozialen Konflikten wirksamer zu begegnen. Angeregt wurden insbesondere eine Imagekampagne für den Gemeindebau, um die Idee des sozialen Wohnbaus medial positiv zu besetzen, und die Wiedereinführung einer Dienstleistung vom Typ des "Hausmeisters" - allerdings nicht den "Hausmeister alt", der mit Putzdienst und Ordnungsfunktionen betraut ist und je nach Charakter und Neigung kommunikative und soziale Aufgaben wahrgenommen hat, sondern den "Hausmeister neu", der auch weiterhin Ordnungsfunktionen übernimmt, zudem aber über sozialarbeiterische und mediatorische Fähigkeiten verfügt, die in einer eigens geschaffenen Ausbildung vermittelt werden.
Fakten
  • Projektträger
    Institut für Konfliktforschung und TrendCom
  • Projektleitung/Bearbeiter
    Birgitt Haller
    Evelyn Dawid
    Kerstin Lercher
    Harry Schranz
    Wolfgang Tomaschitz
  • Laufzeit
    Oktober 2007 bis Jänner 2008
  • Kontakt
    birgitt.haller[at]ikf.ac.at
  • Downloads
  • Abstract 69.38 KB
    Projektbericht 786.83 KB