Wiener Typologien. Eine Studie zu neuen Wohnungstypologien für Wien im Sinne zukünftiger Lebensformen als Grundlage für ein Handbuch zum zukünftigen Wohnen in Wien.

Studien weisen darauf hin, dass die EinwohnerInnenzahl Wiens innerhalb der nächsten drei Jahrzehnte um ein Vielfaches schneller ansteigen wird als bislang. Gründe dafür liegen in der neuen Rolle, die Wien in einer erweiterten EU einnimmt, in einer erhöhten Zuwanderung sowie in damit verbundenen steigenden Geburtsraten. Zu erwarten sind vermehrt EinwohnerInnen mit migrantischem Hintergrund, erwerbsfähige Personen sowie eine insgesamt anteilsmäßig hohe Zahl an älteren Personen. Die Konsequenz für die Stadtplanung liegt vor allem in der Bereitstellung von Wohnungen in entsprechender Zahl durch ein entsprechendes Wohnbauprogramm. Neben städtebaulichen Entscheidungen über die Lage zukünftiger Stadterweiterungen auf Basis der Stadtentwicklungspläne wird die Entscheidung über die Art und Weise zukünftiger Wohnformen und -typologien maßgeblich sein. Während zukünftige Alters- und Migrationsentwicklungen im Raum Wien relativ genau vorhergesagt werden können, existiert wenig Wissen über zukünftigen Wohnformen und Wohnungstypologien. Auch wenn in Wien bis heute die 65 - 75m2 - Wohnung mit ein bis zwei Schlafzimmern, einem Wohnraum, einer Küche und einem Bad als die meist verkaufte bzw. vermietete Wohnung gilt, so werden die Ansprüche an Grundriss, räumliche Nutzbarkeit, Erweiterbarkeit und Teilbarkeit von Wohnungen sich zukünftig mit Sicherheit ändern. Ein Experimentieren mit neuen Wohnformen einerseits sowie das Entwickeln von flexiblen Strukturen, die solche Wohnformen zulassen andererseits wird zukünftig die Qualität von neuem Wohnbau bestimmen. Ein erster Schritt eines solchen Experimentierens wird in dem vorliegenden Forschungsbericht dokumentiert.

Das Projekt "Wiener Typologien" nimmt die prognostizierte Bevölkerungszunahme zum Anlass für eine Studie über neue, noch zu definierende Wohnungstypologien, die sich auf zu erwartende Lebensmuster im beobachteten Zeit- und Lebensraum beziehen. Vergleicht man Wien mit anderen Großstädten, so nahm und nimmt die Stadt in der Verwirklichung großer, relevanter Projekte im Rahmen des sozialen, geförderten Wohnbaus eine Sonderstellung ein. Betrachtet man jene Wohnungstypologien, die derzeit in Wien am Markt angeboten werden, so finden sich die meisten Erneuerungen in Hinsicht auf eine zunehmende Öffnung der Grundrisse durch frei in den Raum gestellte Küchen, ein Abnehmen herkömmlicher Ganglösungen und Lösungsansätze in Kombinationen von Wohnen und Arbeiten. Weniger Erneuerungen finden sich bei der Konstruktion der Gebäude - die größte Konstante bleibt jedoch die Wohn- und Gebäudetypologie. Zwischen Einraum- und Vierzimmerwohnung, Geschosswohnung und Maisonette, punktförmiger Erschließung und Laubengang finden sich nur selten Angebote, die auf die sozialen und kulturellen Zusammenhänge zukünftiger Wohn- und Lebensformen näher eingehen. Es existieren also experimentelle Ansätze, es gibt jedoch keine Aufarbeitung der räumlichen, funktionalen und kulturell-sozialen Bedingungen für ein Wohnen nach zukünftigen Bedingungen. Es stellt sich also die Frage nach neuen Wohnungstypen und neuen Erschließungs- bzw. Organisationssystemen ebenso wie die Frage nach neuen Darstellungsmöglichkeiten für Faktoren wie Flexibilität, Austauschbarkeit, Veränderbarkeit, Mehrfachnutzung, Gendergerechtigkeit etc.

In der vorliegenden Studie "Wiener Typologien" werden die Bedingungen für zukünftige Wohnungstypologien untersucht. Methodisch werden vorerst vorhandene experimentelle Wohnungstypologien auf ihre räumlichen, funktionalen und qualitativen Parameter hin analysiert. Im Anschluss daran werden prototypische Wohnungstypologien entwickelt, die auf kommende Lebensmuster und -formen unter den Bedingungen im Raum Wien (gängige Bauklassen und Trakttiefen) Bezug nehmen. Es wird davon ausgegangen, dass sich jene Lebensmuster und -formen innerhalb der nächsten Jahrzehnte stark verändern werden. Die Veränderungen beziehen sich auf die bekannten demographischen Erwartungen, aber auch auf politische sowie gesellschaftliche Veränderungen, also auf Grenzöffnungen und Grenzverschiebungen im mitteleuropäischen Raum, auf veränderte Arbeitsbedingungen sowie auf veränderte Identitäten von Mann und Frau. Schließlich beziehen sich die Veränderungen auch auf einen neuen ökonomischen Druck, der zum einen Wohnungsgrößen neu überdenken lässt, zu anderen werden kollektiv organisierte Modelle mit räumlichen und sozialen Synergien zunehmend wieder interessant. Faktoren, die neue Wohnungstypologien bestimmen, sind die Zunahme der älteren Bevölkerung, der aktiven SeniorInnen und der Singles aller Altersstufen, eine erhöhte Mobilität zwischen unterschiedlichen Standorten, die Zunahme an Patchworkfamilien und Wohngemeinschaften aller Art, ein vermehrtes und verändertes Nebeneinander verschiedener Kulturen, die Zunahme an gleichgeschlechtlichen Beziehungen und an allein erziehenden Personen sowie ein in Relation geringeres Kapital, das für die Wohnung und deren Erhaltung zur Verfügung steht.

Über die Aufarbeitung einiger wichtiger historischer und neuerer Beispiele wird ein Set aus abstrakten Darstellungen und Beschreibungen für eine Reihe von noch zu definierenden neuen Typologien für zukünftige Wohn- und Lebensformen entwickelt. Die Entwicklung und Aufzeichnung der Typologien erfolgt über die Ausarbeitung zukünftiger NutzerInnenprofile (z.B. Personen, die in Wien alleine leben, aber z.B. Bratislava arbeiten; ältere Personen, die selbständig wohnen, jedoch gewisse Bereiche des Lebens mit anderen teilen wollen; Personen, die alleinerziehend sind, jedoch teilweise in einer neuen Partnerschaft leben etc.), textliche Beschreibungen der notwendigen Qualitäten wie etwa Ein- oder Zweigeschossigkeit, Offenheit oder Einraumqualität, Austauschbarkeit, Veränderbarkeit, Teilbarkeit etc., ergänzt durch ein grafisches System sowie über abstrakte Grundriss- und Raumkonfigurationen von einzelnen Wohnungseinheiten und Erschließungssystemen. Die entwickelten Grundrisse werden ergänzt durch Systeme von variablen Möblierungen (etwa im Sinne eines multifunktionalen, minimalen Küchenschranks der 1920er Jahre).
Fakten
  • Projektträger
    Köb & Pollak Architektur
  • Projektleitung/Bearbeiter
    Sabine Pollak
    Roland Köb
    Daniele Kárász
    Julia Zillinger
    Eva Kratochwill
    Anja Aichinger
  • Laufzeit
    Jänner bis Dezember 2008
  • Kontakt
    sabine.pollak[at]ufg.ac.at
  • Downloads
  • Abstract 66.96 KB
    Projektbericht 2.63 MB