Kunst macht Stadt?!

Die vorliegende Studie beschäftigt sich mit Kunst- und Kulturprojekten in Wien, die sich in ihren Aktivitäten auf den umgebenden Stadtraum beziehen. Mit dem Begriff der "new public genre art" werden diese Projekte als Stadtteilprojekte verstanden, die in ihrer Umgebung Aufwertungsimpulse generieren und vorhandene Ressourcen nutzen bzw. Potenziale aktivieren. Die Interaktion von Kunst- und Kulturprojekten mit dem umgebenden Stadtraum steht im Kontext von städtischen Aufwertungs-diskursen über Stadträume, die von einer Phase der Desinvestition gekennzeichnet sind. Die "kreative Klasse" (vgl. Florida 2005) spielt sowohl für soziostrukturelle Verdrängungsprozesse im Rahmen von Gentrificationprozessen, als auch für den sozioökonomischen und stadträumlichen Umbau zur kreativen Stadt eine Hauptrolle.

Die Stadt Wien hat die spezifische Stellung von Kunst- und Kulturprojekten in Prozessen der Stadtentwicklung und -erneuerung erkannt und misst ihr einen wesentlichen Stellenwert für die Realisierung nachhaltiger Aufwertungsbe-strebungen bei. Die Interaktion zwischen Kunst und Kultur auf der einen Seite und dem städtischen Raum auf der anderen Seite wurde auf Projektebene bzw. auf Stadtteilebene bisher nicht systematisch zusammen gefasst und zueinander in Beziehung gesetzt, sodass bisherige Erfahrungswerte unerschlossen geblieben sind.

Forschungsfragen

Die Studie "Kunst macht Stadt?!" nähert sich der wechselseitigen Interaktion von Stadt und Kunst von zwei Seiten:

  1. Welche Auswirkungen haben Kunst- und Kulturprojekte auf die Stadtstruktur? - Am Beispiel des Brunnenviertels werden die Auswirkungen des Kunstfestivals SOHO IN OTTAKRING dargestellt, wobei die Komplexität von Aufwertungsprozessen - und die Interaktion und Gleichzeitigkeit verschiedener Faktoren und Bestrebungen ein Ursache-Wirkung-Denken hinfällig macht.
  2. Welche Rahmenfaktoren bedingen den Einfluss von Kunst / Kultur auf die Stadtentwicklung? - Anhand der Kunstprojekte SOHO IN OTTAKRING, Aktionsradius Augarten, cultural sidewalk und WOLKE 7 werden die Rahmenbedingungen untersucht, unter denen sich diese Projekte entwickeln konnten, gehemmt oder gefördert wurden.

Aus der Beantwortung dieser Forschungsfragen soll Wissen und Verständnis für zukünftige Prozesse in anderen Stadtgebieten Wiens generiert werden. Die vorliegende Studie bietet allerdings keine Handlungsanleitung für die "Installation" von Kunst- und Kulturprojekten als Lösung für aus Sicht der Stadtplanung problematische Stadtgebiete, sowie deren Nutzbarmachung für Zwecke der Stadtplanung.

Methodik

Die Forschungsfragen erfordern die Erschließung und Bearbeitung qualitativer und quantitativer Daten, wobei aufgrund des anwendungsorientierten, transdisziplinären Erkenntnisinteresses der Auftraggeberin ein Schwerpunkt auf dialogische Elemente gelegt wurde. Einen zentralen Stellenwert nimmt dabei die Generierung von personenbezogenem Wissen ein. Gemeinsam mit einer Resonanzgruppe wurden vier Fallstudien (SOHO IN OTTAKRING, Aktionsradius Augarten, cultural sidewalk und WOLKE 7) ausgewählt, anhand derer die Forschungsfragen beantwortet werden.

Zur Darstellung möglicher Wirkungsgefüge zwischen SOHO IN OTTAKRING und dem Brunnenviertel wurden die Nutzung der Erdgeschoßzonen sowie die bauliche Substanz kartiert. Die Darstellung der Daten erfolgt in Form von Gebietskarten, die als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen zur baulich-räumlichen Entwicklungs-dynamik dienten. Die Datengrundlage für die Analyse soziodemo-grafischer Daten bildeten primär quantitativ-statistische Daten, die von der MA 18 zur Verfügung gestellt wurden. Eine zentrale Datengrundlage bildeten die Interviews mit den ExpertInnen: insgesamt 14 ExpertInnen wurden im Brunnenviertel an ihrem Arbeitsort interviewt, zusätzlich wurden sieben ProjektbetreiberInnen bzw. -initiatorInnen von Kunst- und Kulturprojekten interviewt. Mittels Netzwerkanalysen wird die Struktur und die soziale Interaktion der Kunstprojekte untersucht und mit einer Interaktionsmatrix dargestellt. Medienberichte bildeten die Grundlage für eine Medienberichtsanalyse, die den Imagewandel des Brunnenviertels in den letzten zehn Jahren darstellt.

Kunst macht Stadt - Wechselwirkungen

In insgesamt sechs Dimensionen werden die Wechselwirkungen zwischen dem Brunnenviertel und SOHO IN OTTAKRING dargestellt. Das Brunnenviertel ist seit den späten 1990er Jahren von einem umfassenden Aufwertungsprozess gekenn-zeichnet, der durch ein intensives und komplexes Zusammenwirken unterschiedlicher Verwaltungs- und Politikebenen, Institutionen, Interessensvertretungen und AkteurInnen charakterisiert ist. Die erkennbaren Veränderungen aus diesem kontinuierlichen Prozess bestehen in einer Erneuerung der baulichen Struktur (das Brunnenviertel weist eine der höchsten Sanierungsquoten Wiens auf), der Investition der öffentlichen Hand in die Neugestaltung des öffentlichen Raums, einer kleinteiligen Umstrukturierung der lokalen Ökonomie in Richtung Creative Industries, sowie ein Imagewandel vom städtebaulichen Problemgebiet zum nachgefragten KünstlerInnenviertel. Eine signifikante Änderung der bevölkerungsstrukturellen Zusammensetzung im Sinne des Gentrifizierungsparadigmas kann mittels quantitativer Daten nicht erkannt werden. Die qualitativen Daten zeichnen eine doppelte Dynamik in der Veränderung der Wohnbevölkerung: den Zuzug gut gebildeter, junger und kaufkräftiger Schichten und einen weiteren Zuzug migrantischer Bevölkerungsgruppen. Deren räumliche Verteilung und schwache soziale Interaktion zeigt Charakteristika von Inselurbanismus. Zur weiteren Bearbeitung dieser Entwicklung wäre eine Untersuchung auf der Ebene von Parzellen und darunter durch zu führen, was im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich war.

Für den Einfluss von SOHO IN OTTAKRING auf die beschriebenen Entwicklungen gibt es keine eindimensionale Wirkungsrichtung. Stattdessen ist von einem vielfältigen Wirkungsgefüge zwischen Kunst und Stadt auszugehen, das durch die spezifische Arbeitsweise von SOHO IN OTTAKRING - mit dem vorgefundenen Stadtraum zu arbeiten - verstärkt wird. SOHO IN OTTAKRING wurde durch seine Integration in die Aufwertungsbestrebungen seit 1999 sukzessive als Label entwickelt, das dem Viertel eine thematische Fokussierung verleihen konnte. Allerdings versuchte das Projekt stets, innerhalb dieses Diskurses beweglich zu bleiben und kritische Diskurse anzuregen, die die Art und Weise der Aufwertungsprozesse und deren öffentliche Wahrnehmung beeinflussten. Die jährliche Durchführung des Kunstfestivals und seine Konzeption als lokale Plattform haben SOHO IN OTTAKRING zu einem selbstverstärkenden Netzwerkknoten werden lassen, der die Sphären der Kunst, Wirtschaft, der Politik und der lokalen Bevölkerung integriert. Die Temporalität des Projektes auf zwei Wochen im Jahr ermöglicht eine Bündelung von Kräften und produziert einen "Ausnahmezustand", wodurch das Brunnenviertel zu einem Möglichkeitsraum wird. Verbunden damit ist auch eine hohe mediale Aufmerksamkeit, die sich in einer starken Konnotation des Imagewandels mit SOHO IN OTTAKRING manifestiert. Das Projekt leistet mit einem dezentralen Raumkonzept und der künstlerischen Bearbeitung des öffentlichen Raums eine wesentliche Vorleistung zur Attraktivierung des öffentlichen Raumes. Seine intensive Nutzung während des Kunstfestivals führt nicht nur zu einer verstärkten Wahrnehmung, sondern auch zu einer Vermittlung darüber, was öffentlicher Raum sein könnte. Für die Positionierung des Brunnenviertels als Kreativstandort ist der Aufhänger SOHO als ebenso wichtig einzuschätzen wie die bereits etablierte Kunst- und Kulturszene. Die Effekte davon bestehen in der Etablierung von aufwertungsrelevanten Leitbetrieben. Für den baulichen Erneuerungsprozess wurde SOHO als Imageträger verwendet, dessen Vermarktung gemeinsam mit dem Brunnenmarkt eine attraktive Investitions-atmosphäre schaffen konnte. Wesentliche Vorleistungen dafür wurden durch die kontinuierliche Abfolge unterschiedlicher Erneuerungs- und Aufwertungsprogramme seitens der öffentlichen Hand geleistet.

Kunst in der Stadt - Drei Blitzlichter

Zur Vertiefung der Wissensbasis um die Entstehung und Entwicklung von Kunst- und Kulturprojekten im dichtbebauten Stadtraum von Wien werden drei ausgewählte Kunstprojekte dargestellt:

Der Aktionsradius Augarten wurde im Jahr 1989 gegründet und ging aus Initiativen von AnrainerInnen des Augartens hervor. Die Initiativen wurden von der Gebietsbetreuung aufgenommen und unterstützt, später wurde der Aktionsradius Augarten gegründet. Der Wunsch nach einer positiven Veränderung im Viertel wurde durch eine Vielzahl von Aktivitäten transportiert, wobei ein Schwerpunkt im öffentlichen Raum und in der Etablierung des Stadtteilzentrums in einem Erdgeschoßlokal am Gaußplatz zu erkennen ist. Charakteristisch für die einzelnen Projekte und Aktionen ist ein grundlegend gesellschaftspolitischer Anspruch, der einen kritischen Blick auf das Augartenviertel wirft. Die Finanzierung erfolgte über verschiedene Ebenen und Einrichtungen der öffentlichen Hand. Die Aktivitäten des Aktionsradius haben dem Stadtteil Aufmerksamkeit und dem Augarten ein Image des modernen Kulturparks verschafft.

Cultural sidewalk - eine Aktion mit zeitgenössischer Kunst - wurde einmalig im Herbst 2000 in der unteren Gumpendorferstraße umgesetzt. Die beiden Initiatorinnen wollten einen kritischen Diskurs über die Situation der Gumpendorferstraße anregen und konzipierten ein Projekt zur Belebung des Straßen- und Stadtraums. Die Finanzierung des Projekts wurde nach mühsamen Überzeugungsgesprächen mit der Zusage eines ansässigen Wirtschaftsbetriebes sicher gestellt. In weiterer Folge konkretisierten weitere FördergeberInnen (Bezirk, Stadt, WK Wien) und private SponsorInnen ihre Unterstützung. Das Projekt war als ‚Sternschnuppe' konzeptioniert, in dem 35 Veranstaltungen mit etwa 80 KünstlerInnen an zwölf Veranstaltungsorten im öffentlichen Straßenraum, in Geschäftslokalen und an privaten Orten durchgeführt wurden.

Das Projekt WOLKE 7 wurde 2002 auf Bezirksebene initiiert und mit der Finanzierungszusage durch die EU als INTERREG-Projekt mit einer Laufzeit von 2004 bis 2006 realisiert. Seit 2007 wird das Projekt weiter vom Bezirk unterstützt. WOLKE 7 ist als Stadtteilprojekt zu bezeichnen, das auf unterschiedlichen Ebenen versucht, das Viertel um die Kaiserstraße aufzuwerten. Kunst und Kultur wird dabei als Beteiligungsstrategie verstanden, die Netzwerkbildung, Image- und Diskursbildung unterstützt und ermöglicht. Das interdisziplinäre Bearbeitungsteam wurde von der Stadt Wien beauftragt. Einzelne Personen des Teams wurden aus Eigeninitiative bereits in der Frühphase des Projekts aktiv und hatten die Möglichkeit, den Arbeitsauftrag selbst zu definieren.

Schlussfolgerungen - Stadt macht Kunst

Bei allen untersuchten Projekten war ein starker Bezug zum konkreten Ort erkennbar. Die spezifischen Eigenschaften dieser Orte waren die Basis für deren Entwicklung und ermöglichten die Interaktion mit den Kunstprojekten. Das Vorhandensein unter- oder ungenutzter Räumlichkeiten stellt einen ersten Ankerpunkt dar, der einerseits Spielräume erwarten lässt, dessen mangelnde Verfügbarkeit aber schließlich limitierend für die Projektentwicklung ist. Eine hohe soziale Dichte und eine räumliche Konzentration einzelner bevölkerungstruktureller Merkmale stellen Ansatzpunkte für die künstlerische Bearbeitung dar, der das "Wie" der Einbeziehung thematisiert. Dabei spricht die Kombination unterschiedlicher Kunstformen- und formate unterschiedliche Bevölkerungsgruppen an. Die Struktur des öffentlichen Raums bildet eine wesentliche Ressource, da wesentliche Arbeits- aber auch Aushandlungsprozesse im Rahmen der untersuchten Projekte im öffentlichen Raum stattfinden. Weiters stellt das Zulassen von Aktivitäten und Impulsen, ohne deren genaue Wirkung im Vorfeld abschätzen zu können, eine wesentliche Vorbedingung für die Etablierung der Projekte dar. Es geht vorerst darum, eine Initiative nicht zu behindern.

Auf Projektebene stellt die lokale Verwaltungsebene die zentrale Anlaufstelle dar, deren Kunstverständigkeit daher von großer Bedeutung ist. Eine geschäfts-gruppenübergreifende Koordination der Querschnittsmaterie Kunst wird zum Erfolgsfaktor, wenn verschiedene Politik- und Verwaltungsebenen "hinter einem Projekt" stehen. Insbesondere am Projektbeginn sind mangelnde Finanzierungs-zusagen, unsichere und prekäre Arbeitsverhältnisse ein zentraler Hemmfaktor für die weitere Entwicklung der Projekte. Weiters bildet die Vereinnahmung durch externe Interessen bzw. Eigeninteressen der fördernden Stellen ein Hemmnis. Klare definierte Konzepte mit einer Offenheit bezüglich der Projektergebnisse einerseits und einer offenen Auftragsstruktur andererseits haben sich dagegen als fördernd erwiesen.

Das soziale Netzwerk bildet einen wesentlichen Erfolgsfaktor. Insbesondere die Einbeziehung der lokalen Wirtschaft und der lokalen AkteurInnen sind von Bedeutung. Der zentrale Faktor für das Gelingen oder Scheitern eines Projektes wird den ProjektinitiatorInnen zugewiesen: das Qualifikationsprofil besteht in außergewöhnlicher Kommunikations- und Netzwerkfähigkeit, Frustrationstoleranz, Ausdauer und Selbstbewusstsein. Laut ProjektwerberInnen sind die Unterstützung bei Marketing, Medienarbeit, Sponsoring und vor allem die Verbindung zu lokalen Playern wie einer Gebietsbetreuung sehr vorteilhaft.

Die Studie ist im Herbst 2009 als Buch erschienen und kann beim VS Verlag bestellt werden.
Fakten
  • Projektträger
    Universität für Bodenkultur
    Department für Raum, Landschaft und Infrastruktur, Institut für Landschaftsarchitektur; PlanSinn GmbH
  • Projektleitung/Bearbeiter
    Philipp Rode
    Bettina Wanschura
    Christian Kubesch
  • Laufzeit
    02/2008 - 12/2008
  • Kontakt
    philipp.rode[at]boku.ac.at
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