Soziale Nachhaltigkeit im Wohnbau

Eine Untersuchung anhand von (gelungenen) Beispielen, Modellversuchen und neuen Ansätzen.

Im Wiener Wohnbau wurden bislang vor allem ökonomische und ökologische Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt. Aktuell wird angedacht, den Aspekt "Soziale Nachhaltigkeit" neu einzuführen. Unklar ist jedoch noch, was genau darunter zu verstehen ist.

Das Forschungsprojekt "Soziale Nachhaltigkeit im Wohnbau - Eine Untersuchung anhand von (gelungenen) Beispielen, Modellversuchen und neuen Ansätzen" versucht eine Definition und untersucht die Möglichkeiten, die sich innerhalb der gesamten Planungs-, Bau- und Nutzungsphase eines Wohngebäudes für sozial nachhaltige Zielsetzungen ergeben. Daneben wird in der Recherche ein Hauptaugenmerk auf die Umsetzung der Zielsetzungen und die Erfahrungen von Bewohner/innen und Wohnbauunternehmungen gelegt. Dafür wurden Evaluierungen von Modellprojekten und von Wohnbauten mit sozialer Zielsetzung verwendet. Die Erfahrungen der Nutzer/innen sind ein Indikator, an dem soziale Nachhaltigkeit gemessen werden kann.

Soziale Nachhaltigkeit ist eine Querschnittsmaterie die sich sowohl entlang des Lebenszyklus eines Wohnbaus als auch entlang der Organisation und dem Wohnprozess erstreckt. Ich habe folglich die Untersuchung in vier Themenkreisen durchgeführt:
 
  • Aspekte der Planung
  • bauliche Aspekte (Wohnung, Wohnhaus, Sanierung / Umbau)
  • Aspekte der Nutzungsphase (Mitbestimmung, Teilselbstverwaltung)
  • Hausverwaltung (soziales Management, Sanierung / Umbau)

Das Forschungsprojekt ist zudem in drei Abschnitte geteilt: Der erste Abschnitt behandelt die oben genannten Themenkreise in theoretischen Überlegungen und anhand praktischer Beispiele; im zweiten Abschnitt werden Interviews mit verschiedenen Menschen zum Thema "ideales Wohnen" geführt (ein Schwerpunkt sind Gespräche mit Jugendlichen ab 11 Jahren); im dritten Abschnitt werden Wohnbaubeispiele seit 1991 aus Deutschland, der Schweiz und aus Österreich gezeigt, die sozial nachhaltige Ziele als Ausgangspunkt hatten.

Handlungsfelder zu denen es bereits und aktuell viele Forschungsbeiträge gibt (altersgerechtes Wohnen; Wohnen für Migrant/innen; Freiraum) sind in der Untersuchung nur am Rande berücksichtigt. Das Thema "Leistbarkeit", das eines der Grundelemente sozialer Nachhaltigkeit ist, konnte wegen seines Umfangs nicht gesondert betrachtet werden, ist aber als Ausgangspunkt in alle Recherchen eingeflossen.

Soziale Nachhaltigkeit im Wohnbau

Zur Definition sozialer Nachhaltigkeit verwende ich die Analyse von Claudia Empacher und Peter Wehling vom Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) in Frankfurt/Main und füge speziell für den Wohnbau noch das Kriterium "Alltagstauglichkeit" hinzu. (Claudia Empacher, Peter Wehling: Soziale Nachhaltigkeit. Perspektiven der Konkretisierung und Operationalisierung (Hsg.: Institut f. sozial-ökologische Forschung) Frankfurt/Main 1998, http://www.isoe.de/projekte/sozdim.htm)

Die Analyse von Empacher / Wehling beschreibt fünf Kernelemente: langfristige Aufrechterhaltung der Existenzsicherung für alle, Erhalt und Weiterentwicklung der Sozialressourcen, Chancengleichheit beim Zugang zu Ressourcen und Partizipation. Als fünftes Element "das alle anderen durchdringt, ist die Erhaltung der Entwicklungsfähigkeit sozialer Prozesse und Strukturen zu benennen."

Auch mir scheint die Anpassbarkeit vorhandener Strukturen (baulicher, aber, bezogen auf den Wohnprozess, vor allem auch organisatorischer Strukturen) für soziale Nachhaltigkeit im Wohnbau maßgebend. "Das Ziel von Nachhaltigkeit kann nicht alleine in der Aufrechterhaltung bestehender Strukturen liegen, sondern Systeme müssen auf Veränderungen innerhalb des Systems oder der Umwelt flexibel reagieren können, wenn sie langfristig bestehen wollen. (ebd., http://www.isoe.de/projekte/sozdim.htm)

Insofern kann die Berücksichtigung sozialer Nachhaltigkeit im Wohnbau nicht nur Wohnqualität für die Betroffenen erzielen. Sie kann auch eingesetzt werden, um (sozialen) Wohnbau leistungsfähiger zu machen und flexibel auf Veränderungen innerhalb des Wohnbaus und der Gesellschaft reagieren zu können.

Aspekte der Planung

In der Untersuchung hat sich gezeigt, dass für ein Gelingen der Umsetzung sozial nachhaltiger Ziele diese bereits sehr früh in der Planung mit einfließen müssen. Nicht als konkrete architektonische Planung, sondern zunächst als sorgfältiger und vernetzter Planungsprozess. "Fehler" die bereits in der Planung angelegt sind, können später nur mehr schwer oder nur sehr kostenaufwändig oder gar nicht (z. B. Standort) beseitigt werden.

Bauliche Aspekte

Für die bauliche Planung gilt vor allem das Kriterium der "Alltagstauglichkeit". Dafür ist es sinnvoll, Handlungsabläufe der Bewohner/innen und die Voraussetzungen des Alltags zu berücksichtigen.

Zu den Wohnungsgrundrissen wird von Seiten der Architektur versucht, durch variable oder nutzungsneutrale Räume Anpassbarkeit an die unterschiedlichen Bedürfnisse der jeweiligen Bewohner/innen zu ermöglichen. Dies entspricht sicherlich dem Wohnen als Prozess und auch der Vielfalt an Lebensentwürfen.
Dagegen wird aber häufig zu wenig oder gar kein Augenmerk auf Bereiche wie Vorraum, Stauraum, Übergänge öffentlich-privat oder auch auf das Thema ausreichende Schallisolierung gelegt. "Lärm" z. B. (Verkehrslärm, aber in gleichem Maße auch Nachbarschafts- und Gewerbelärm) ist eine der Haupt-erschwernisse beim Wohnen, das auch konkrete Auswirkungen auf die Gesundheit der Betroffenen hat.

Klar zu Tage getreten ist auch einerseits ein größerer Wunsch nach Rückzugsmöglichkeit und Privatsphäre - auch innerhalb der eigenen Wohnung - und andrerseits ein Wunsch nach Nachbarschaft und Kommunikation. Nicht überraschend ist, dass ein funktionierendes nachbarschaftliches Netzwerk wichtiger von Bewohner/innengruppen erachtet wird, die in ihrem Alltag darauf angewiesen sind (Kinder, Familien, Alleinerziehende, ältere Menschen).

In dem Forschungsprojekt werden unter den baulichen Aspekten vor allem die Übergangsbereiche zwischen privat und öffentlich, die Erschließungsflächen eines Wohngebäudes und vorhandene reale und virtuelle Gemeinschaftsräume auf ihre kommunikative Funktion hin untersucht.

Aspekte der Nutzungsphase

In der Untersuchung zeigt sich, dass für sozial nachhaltige Zielsetzungen im Wohnbau vor allem die Mitsprachemöglichkeiten der Bewohner/innen während der Nutzungsphase von Bedeutung sind. Mitsprache, Verantwortung und die Durchführung selbstständiger Aktivitäten sind wichtige Kriterien sozialer Nachhaltigkeit.

Es wird dabei auch deutlich, dass sie nicht konfliktfrei erfolgen, nicht von allen Bewohner/innen gleichermaßen mitgetragen werden (können) und nicht "planbar" sind. Es bedarf aber jedenfalls dafür klarer Kompetenz-strukturen, Flexibilität von Seiten aller Beteiligten, der nötigen Dosis Pragmatismus und Geduld. Erschwerend sind zu hohe Erwartungen. Das kann vielleicht für soziale Nachhaltigkeit insgesamt gelten.

Es wird aber in den recherchierten Evaluierungen von Modellprojekten auch erwähnt, dass ein Konflikt, der Umgang mit ihm und eine gemeinschaftlich gefundene Lösung bereits eine sozial nachhaltige Funktion haben können.

Rolle der Haus- und Liegenschaftsverwaltungen

Den Hausverwaltungen kommt in Hinblick auf soziale Nachhaltigkeit im Wohnbau eine entscheidende Bedeutung zu. Ihre Bereitschaft, die Aufgabenbereiche der klassischen Verwaltung zu verlassen und auch "soziales Management" zu übernehmen, ist dafür eine Voraussetzungen.

Dabei geht es meines Erachtens nicht vordergründig um einen zusätzlichen Betreuungsaspekt. Es geht zunächst um einen gegenseitigen Austausch von Informationen, damit die Veränderungsfähigkeit sowohl innerhalb des Wohnprozesses als auch innerhalb der Verwaltung gewährleistet werden kann. Das nach Empacher / Wehling fünfte Kernelement sozialer Nachhaltigkeit, die Entwicklungsfähigkeit sozialer Systeme, ist hier ausschlaggebend.

Erst danach kommen die Bereiche, die als wohnbegleitende neue Dienstleistungen genannt werden, wie z. B. betreutes Wohnen für betagte Menschen und Menschen mit besonderen Bedürfnissen, Angebote zur Intensivierung von Nachbarschaften, Unterstützung von Aktivitäten und Initiativen der Mieter/innen und soziales Management in schwierigen Situationen. Vor allem in der Miteinbeziehung der Betroffenen selber liegt eine große Chance.

Erkenntnisse

Die Schlüsselbegriffe für eine gelungene Umsetzung sozialer Nachhaltigkeit im Wohnbau liegen nach den Erkenntnissen des Forschungsprojekts in Sorgfalt, Pragmatismus und Geduld.

  • Sorgfalt in allen Bereichen der Planung, in der Materialauswahl und in der Berücksichtigung konkreter Wohnerschwernisse (wie Stauraummangel, Lärm, mangelnder Hitze- und Windschutz etc.)
  • Pragmatismus, da soziale Nachhaltigkeit auf Dauer keine "good will"-Aktion sein kann, sondern die Energie-, Zeit- und Finanzressourcen der beteiligten Personen und Unternehmen berücksichtigen muss. Pragmatismus aber auch in der Erkenntnis, dass Lösungen, die möglichst viele Faktoren berücksichtigen dauerhafter sind.
  • Geduld ist in der Umsetzung sozial nachhaltiger Zielsetzungen notwendig. Die Untersuchung zeigt, dass in der Praxis nicht sofort Erfolge erwartet werden können. Auch bereits eingetretene Erfolge müssen eventuell wieder an veränderte Bedingungen angepasst werden. Dabei treten die Vorteile einer sorgfältigen und
  • vorausschauenden Planung zu Tage.

Ausblicke

Soziale Nachhaltigkeit ist bezogen auf den Wohnbau ein neuer Aspekt. Er ergänzt und durchdringt die bisherigen Aspekte ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit. In dem Forschungsprojekt wird der Versuch unternommen, das Thema konkretisierbar zu machen, sowohl seinen Beitrag zur Wohnqualität als auch seine möglichen Grenzen.

Für zukünftige Untersuchungen in dieser Richtung und für eine weitere Vertiefung des Themas scheinen mir folgende Bereiche besonders erwähnenswert:

  • die Kosten im gesamten Lebenszyklus eines Wohngebäudes
  • Jugendliche und wohnen
  • Sanierungen und Umbauten von Wohnhäusern bzw. Wohnhausanlagen der 1950er bis 1980er Jahre.
Fakten